
Ich möchte einen Beitrag leisten
Der Wiener Anwalt Wolfram Proksch engagiert sich vielfältig. Seine Arbeit reicht von Facebook über die 3. Piste und Klimaschutz bis zu Sterbehilfe. Den schwachen Parlamentarismus in Österreich hält er aktuell für ein Problem. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Interview: Eva Maria Bachinger, Fotos: Karin Wasner.
Sie haben Max Schrems gegen Facebook vertreten, setzen sich für ein faires Asylrecht, für Klimaschutz und Sterbehilfe ein. Was ist Ihr Antrieb?
Mandate wie für Max Schrems oder die 3. Piste sind Teil meines Berufsverständnisses. Ich habe mir die Aufgabe auferlegt, meine Möglichkeit als Anwalt, das Recht mit zu entwickeln, tatsächlich zu nutzen. Ich möchte einen Beitrag zur Gesellschaft leisten. Das ist in Österreich leichter als in anderen Ländern, wo Anwälte für ihren Einsatz für Menschenrechte im Gefängnis sitzen oder ermordet werden. Es ist mir aber auch in die Wiege gelegt: Mein Vater und mein Großvater waren Anwälte.
Wo sehen Sie Grundrechte in Bedrängnis?
Ich habe den Eindruck, dass Rechte, die über viele Jahrzehnte blutig erkämpft wurden, jetzt sehr schnell erodieren. Unsere Schönwetterdemokratie seit dem Zweiten Weltkrieg erweist sich nun, da sie durch Populisten unter Druck kommt, leider als nicht so stark wie angenommen. Das fängt bei Umweltschutz an und reicht bis zum Sozialbereich, wo man in Grundrechte von marginalisierten Gruppen eingreift. Das ist ein schlimmer Marker, der einen Rückbau von Demokratie und Menschenrechten anzeigt. Dieser Trend ist nicht nur in Ungarn und Polen erkennbar, sondern leider auch in Österreich.
Auf welche demokratischen Institutionen kann man sich in Österreich verlassen?
Ich sehe bei allen drei Gewalten, der Legislative, der Exekutive und der Judikatur Probleme. Wir haben in Österreich einen schwachen Parlamentarismus. Es herrscht Klubzwang, die Fraktionen setzen die Vorgaben der Regierung ohne Widerspruch um. Die Gesetzgebung wäre stärker, würden die Abgeordneten freier entscheiden. Bei der Vollziehung in den Behörden habe ich den Eindruck, dass vorauseilender Gehorsam gegenüber der Regierung herrscht. Man braucht sich nur so manche Bescheide der Asylbehörden ansehen. In der Rechtsprechung haben wir eine offenkundige politische Besetzung bis zu den Höchstgerichten. Die FPÖ hatte ganz offen ihren Anspruch auf einen Verfassungsrichter auch in die Medien getragen. Das sehen wir in der Nationalbank genauso wie in der Hofreitschule.
Zu den einzelnen Projekten: Wird die Dritte Piste am Flughafen nun noch gebaut?
Ich habe die Hoffnung, dass wir dieses Projekt wirklich zu Fall bringen. Mir ist aber bewusst, dass es ein starkes politisches Interesse gibt, sie zu bauen. Es geht hier nicht nur um die Frage des Klimaschutzes oder um die Beeinträchtigung der unmittelbar betroffenen Bevölkerung. Ein Projekt kann ja nur dann verwirklicht werden, wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht. Das öffentliche Interesse wird in diesem Fall aber kaum diskutiert. Entgegen den Behauptungen des Flughafens haben wir einen Rückgang an Flugbewegungen: von 266.000 im Jahr 2008 auf 225.000 im Jahr 2017; im Jahr 2018 gab es einen leichten Anstieg auf 241.000 – der Trend ist aber immer noch fallend bzw. stagnierend. Wozu brauchen wir bei diesem geringen Wachstum einen Ausbau? Sollten wir nicht andere Verkehrszweige wie die Bahn stärker ausbauen, die Bahntickets weniger besteuern? Wir könnten auch fragen, warum die Flughäfen von der Grundsteuer befreit sind? Dazu kommt die wohl nur europäisch zu lösende „Quersubventionierung“ des Flugverkehrs durch eine Mineralölsteuerbefreiung von Kerosin und eine Umsatzsteuerbefreiung der Flugtickets. Wem nützt es tatsächlich, wenn der Flughafen Wien Schwechat ausgebaut wird? Im Grunde geht es wohl nur um Transitpassagiere und Transit-Cargo. Das ist aber nicht im öffentlichen Interesse, denn das dient vor allem den Großaktionären des australischen Pensionsfonds, der am Flughafen beteiligt ist, nicht aber dem Bund oder der Stadt Wien. Wir haben jedenfalls den Verwaltungsgerichtshof ersucht, die Sache direkt dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vorzulegen. Wir bereiten auch eine Beschwerde bei der EU Kommission vor.
Es sollen nun die Verfahren im Sinne der Standortsicherung beschleunigt werden. Ziehen Sie und andere Anwälte alles in die Länge?
Die Anrainer werden immer wieder als Querulanten dargestellt, sie würden für lange Verfahren sorgen. Doch das ist nicht der Fall: 2007 wurde das Projekt vom Flughafen Wien eingereicht. Da die Einreichung unvollständig und grob mangelhaft war, musste mehrmals nachgereicht werden. 2012 kam es zum ersten Bescheid mit 400 Seiten, wo mit einer einzigen Zeile auf die inhaltliche Kritik der Anrainer eingegangen wurde, aber all ihre Namen und Adressen aufgelistet wurden. Dagegen haben wir Beschwerde erhoben, die so lange liegenblieb, dass der Umweltsenat nicht mehr zuständig war. Erst 2015 kam es zu einer Verhandlung vor dem neu geschaffenen Bundesverwaltungsgericht. Eine Entscheidung dauerte wieder bis 2017. Den betroffenen Anrainern einen Vorwurf zu machen ist absurd.
Sie planen eine Staatshaftungsklage in Bezug auf Klimaschutz. Was kann man sich darunter vorstellen?
Da geht es um eine Klimaschutzklage gegen die Republik Österreich beim VfGH. Österreich ist sehr nachlässig, die völkerrechtlichen Verpflichtungen einzuhalten. Wir liegen bei den CO2-Emssionen weit über dem EU-Schnitt, wir erreichen die vereinbarten Ziele nicht. Die Klimaschutzstrategie der Bundesregierung ist zahnlos und wird auch noch mit kontraproduktiven Plänen wie 140 Km/h auf der Autobahn ergänzt. Es gibt Beispiele für solche Prozesse in der EU, insbesondere in den Niederlanden. Das Land wurde gerichtlich dazu verpflichtet, einen ehrgeizigeren Plan für Klimaschutz vorzulegen. Das ist beachtlich, denn die Regierung hat das tatsächlich auch gemacht.
Sie bringen nun auch eine Verfassungsklage gegen das Verbot der Sterbehilfe ein. Warum ist Ihnen das ein Anliegen?
Österreich fehlt seit Jahren ein ernstzunehmender Diskurs über Sterbehilfe und Suizid. Wir haben eine sehr hohe Zahl an Suizidversuchen, bis zu 40.000 pro Jahr. Das ist ein Zeichen dafür, dass gesellschaftlich ein hoher Druck vorhanden ist, der multiple Ursachen haben kann. Wir haben darüber hinaus eine mangelhafte Suizidprävention. Wenn jemand ernsthafte Suizidgedanken gegenüber seinem Arzt äußert, wird der Betroffene rasch ins Spital eingewiesen. Das hält aber viele davon ab, offen darüber zu sprechen. Ein ganz anderes nicht minder tragisches Thema ist: Wieso schaffen wir es nicht, einen offenen Diskurs darüber zu führen, dass sich voll geschäftsfähige Personen, die sich aus ihrer Sicht in einer unerträglichen Situation befinden, nur dann das Leben nehmen können, wenn sie es wirklich selbst tun, auf problematische, oft blutige Art und Weise, und nicht einen Arzt um Hilfe bitten dürfen?
Für diese Klage brauchen Sie Betroffene. Welche Rolle spielt dabei Ihr Aufraggeber, der Schweizer Sterbehilfeverein dignitas?
Dem Gründer von dignitas, Ludwig Minelli geht es um die Sache, darum, dass der Staat nicht vorzuschreiben hat wie jemand sein Lebensende sieht und dass er leiden muss. Er hält das für menschenrechts- und verfassungswidrig. Vor mehr als zwei Jahren habe ich die Anfrage von dignitas bekommen, ob ich bereit wäre, die betreffenden strafrechtlichen Paragrafen 77 und 78 verfassungsrechtlich zu einer Prüfung zu bringen. Das geht in Österreich tatsächlich nur über Individualanträge von Betroffenen. Nun könnte man sagen, derjenige, der selbst von einer schweren Krankheit betroffen ist, der kann sich ohnehin das Leben nehmen, der ist von der Strafbestimmung gar nicht adressiert. Die Norm verbietet ja nur dem Beitragstäter die Tat. Das ist ein Widerspruch in sich, denn wieso bestrafe ich einen Beitrag zu einer Tat, zum Suizid, der an sich nicht mehr strafbar ist? Das ist strafrechtlich inkonsequent. Ich vertrete derzeit drei Antragsteller, die für sich diese Möglichkeit beanspruchen, sowie einen Arzt. Es geht um das Recht auf selbstbestimmtes, würdiges Sterben. Das ist der menschenrechtliche Ansatzpunkt, mit dem wir das Verfahren führen.
Kritiker der Sterbehilfe sehen das anders: Sie fordern mehr Hospizeinrichtungen, um würdige Sterbebegleitung zu ermöglichen.
Menschen, die in der Sterbebegleitung tätig sind, leisten tagtäglich einen gewaltigen Job. Es bleibt aber ein Teil von Betroffenen, die sagen, bevor sie in eine totale Pflegesituation kommen oder unerträgliche Schmerzen haben, möchten sie sich das Leben nehmen. Das sind jene, die sich um eine Zulassung in der Schweiz bemühen. Da wird ein aufwändiges Prüfverfahren durchgeführt, mit medizinischen, psychiatrischen Gutachten. Mich ärgert die verkürzte Argumentation der Gegner von Sterbehilfevereinen, da gehe es nur ums Geschäft. Das ignoriert die Wünsche, die ja von den Betroffenen selbst kommen. In Deutschland darf Sterbehilfe zwar nicht „organisiert“ angeboten werden, ist aber zumindest unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Die Bioethikkommission und die überwiegende Mehrheit der Ärzte in dem Bereich sprechen sich dafür aus, Erwachsenen das Recht einzuräumen, sich bei Erkrankungen, die unheilbar sind, unerträgliche Schmerzen verursachen und unausweichlich zum Tod führen, mit ärztlicher Hilfe das Leben nehmen zu können.
In der Schweiz gibt es den Fall eines Strafgefangenen, der mit ärztlicher Hilfe sterben will. Oder die Beihilfe bei schwerkranken Kindern in Belgien. Führt das nicht in eine problematische Richtung?
Über all diese Fälle muss diskutiert werden. Was ist der Unterschied, wenn jemand mit 17 Jahren an einem unheilbaren Karzinom leidet oder mit 18? Muss er dann noch ein Jahr warten bis er sterben darf? Auch Strafgefangene haben ein Recht auf ein würdevolles Sterben.
Wir sind eine alternde Gesellschaft, die Kosten steigen. Entsteht durch solche Regelungen für Einzelfälle nicht Druck auf alte und kranke Menschen?
Dieser Vorwurf wird immer wieder erhoben. Ich kenn keinen einzigen Fall, bei dem es Angehörigen oder Behörden gelungen wäre, nachzuweisen, dass ein Betroffener gedrängt wurde, sich das Leben mit Hilfe zu nehmen, um seine Angehörigen und den Staat zu entlasten.
Ist das nicht ein subtiler Druck? Viele alte Menschen fühlen sich jetzt schon als Belastung.
Ich halte es für ein verlogenes Argument, denn es gibt viele alte Menschen, die sterben wollen und das Gefühl haben, der liebe Herrgott hat sie vergessen. Sie beklagen, dass sie gegen ihren Willen medizinisch künstlich am Leben erhalten werden. Wir haben sehr gute Pflege- und Altersheime, dennoch finden viele Menschen das unerträglich. Geplant ist nun, dass die Pflege vermehrt zuhause stattfinden soll. Das ist aber kaum machbar, auch finanziell nicht. Großfamilien existieren nicht mehr, viele Menschen sind am Ende ihres Lebens vereinsamt. Selbstverständlich soll niemandem das Sterben nahegelegt werden, aber der Staat soll es auch niemandem verbieten, der aus nachvollziehbaren Gründen um Sterbehilfe bittet.
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