
"Islamisierung der Probleme in der Bildungspolitik"
Die Kindergartenstudie des Islamforschers Ednan Aslan sorgte 2015 für viel Aufsehen. Was blieb von den Radikalismusvorwürfen über islamische Kindergärten? Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Nour-El-Houda Khelifi
Einen ‚islamischen Kindergarten’ per se gibt es ja gar nicht und der ist in der Magistratsabteilung 11 auch nicht als solcher aufgelistet“, stellt Sara H. (Name geändert, Anm.) fest. Abgesehen davon sei das „Islamprogramm“ bei ihren Kindergruppen nicht so dominant im Bildungsplan vertreten, als dass man es sich groß auf die Fahne schreiben könne. Die 42-jährige Österreicherin betreibt drei Kindergärten im Wiener Gemeindebezirk Favoriten. 2008 eröffnete sie mit ihrer Schwester den ersten privaten Kindergarten, er wird von der Stadt Wien gefördert. Sara H. sitzt auch im Vereinsvorstand und kümmert sich um die Organisation. Die pädagogische Leitung übernehmen Leute vom Fach. In der Debatte würde sie sich mehr Interesse wünschen, denn „bisher wurden unsere Stimmen als Kindergartenbetreiberinnen ausgelassen.“ Lediglich der Boulevard und populistische Politiker kämen zu Wort.
Im Fokus
Seit einigen Jahren sind islamische Kindergärten und -gruppen verstärkt in den Fokus geraten. Rechte Politiker machen Stimmung, indem sie vor Radikalisierung warnen, und 2015 sorgte eine polarisierende Studie des Religionspädagogen Ednan Aslan für einigen Wirbel. Doch dazu später. In den Medien wird der Anschein erweckt, islamische Kindergärten unterstünden nicht der Kontrolle der Stadt Wien, das Bild von nebulosen Gruppen, von denen niemand so recht weiß, was dort passiert, geistert umher. Auch die Frage, ob es Mädchen verboten werden soll, in Kindergärten und Volksschulen ein Kopftuch zu tragen, ist fixer Bestandteil der Diskussionen. Wenige Wochen vor dem Ende von Schwarzblau wurde ein Kopftuchverbot im Nationalrat beschlossen. Anfang Mai gewann aber auch der SPÖ-Gemeinderat Omar al-Rawi eine Klage vor dem Handelsgericht gegen die Kronen Zeitung. Sie hatte im Juni 2017 Fotos von Mädchen mit Kopftuch veröffentlicht und behauptet, Bilder aus einem islamischen Kindergarten in Liesing zu zeigen. Titel: „Kopftuch: Bei Kindern Alltag.“ Damit sollte belegt werden, dass sich in Kindergruppen radikale Tendenzen breitmachen. Laut Al-Rawi handelte es sich aber um Aufnahmen vom Islamischen Zentrum in Wien. Was ist also dran an wiederkehrenden Vorwürfen von Radikalismus und fehlender Kontrolle der Kindergärten?
Tatsächlich unterstehen privat geführte (islamische) Kindergärten genauso wie auch öffentliche dem Bildungsplan der MA10. Der Wiener Bildungsplan steckt die pädagogischen Rahmenbedingungen ab und soll die Qualität des Betriebes gewährleisten. Regelmäßig kontrolliert das Magistrat, ob der Plan eingehalten wird. InspektorInnen besuchen dafür unangekündigt die Kindergärten. In den Medien, die sich auf Aslans Studie beziehen, wird kritisiert, dass Pädagoginnen auf Arabisch oder Türkisch statt auf Deutsch mit den Kindern sprechen. Die Kindergartenbetreiberin Sara H. weist das scharf zurück. „Es gibt Vorgaben von der MA11, an die wir uns strikt halten.“ Die diplomierte Lebens-und Sozialberaterin weist darauf hin, dass es rechtlich gar nicht möglich sei, pädagogische Fachkräfte einzustellen, die nicht zumindest ein Deutschniveau C1 und die pädagogische Assistenz B2 vorweisen können. Tatsächlich seien „die Vorgaben für die Eröffnung einer Tagesstätte früher aber viel lockerer“ gewesen. Als 2009 das verpflichtende Kindergartenjahr eingeführt wurde, gab es nicht genügend Kindergartenplätze. Die Stadt Wien war damals auf privat geführte Kindergruppen angewiesen, die plötzlich boomten, so die 42-Jährige. „Um eine Kindergruppe zu führen, ist lediglich eine Mini-Ausbildung notwendig gewesen.“ Bereits nach 90 Einheiten konnte eine private Kindergruppe geleitet werden, eine ausgebildete pädagogische Fachkraft musste man dafür nicht sein. Diese Zeit sieht Sara H. kritisch. „Viele haben finanziell motiviert eine Kindergruppe gegründet, da standen das Wohl und die Erziehung des Kindes ganz weit unten.“ Die Stadt Wien hätte damals die Fördermittel gezielter einsetzen und auf den Nachweis einer vollwertigen pädagogischen Ausbildung drängen müssen.
Stärkere Kontrollen
Richtig befeuert wurde die Kritik an islamischen Kindergruppen durch eine Studie von Ednan Aslan, die 2015 unter dem Titel „Islamische Kindergärten und -gruppen“ erstellt wurde. Darin entstand an mehreren Stellen der Eindruck, dass sich radikale Entwicklungen breitmachen. Die Stadt Wien verlangte daraufhin eine genaue Auflistung der problematischen Kindergärten und -gruppen, die sie bis heute nicht vom Studienleiter erhielt. In einem Interview mit dem ORF erklärte Aslan, dass „Radikalität im Kindergarten beginnt“ und erhob schwere Vorwürfe gegen die Stadt Wien, die daraufhin den Religionspädagogen klagte. Der Rechtsstreit endete in einem Vergleich. Aslan ließ laut einer Presseaussendung 2018 alle Vorwürfe mit der Begründung fallen, diese Behauptungen würden „nicht zutreffen“. Die Stadt Wien reagierte indes auf Defizite und setzte einige Schritte. Man adaptierte das Kindergartengesetz, erhöhte die 90 Unterrichtseinheiten auf 400, stockte die Anzahl der Kindergartenkontrolleure auf, und gab nun eine wissenschaftlich fundierte Kindergartenstudie in Auftrag. Die Ergebnisse wurden im Winter 2017 präsentiert. Was waren die Erkenntnisse? Dass man es weniger mit extremistischen Handlungen zu tun hatte, sondern Fehler in anderen Bereichen fand. Lediglich ein Kindergarten und fünf Kindergruppen von insgesamt rund 600 Einrichtungen (genaue Zahlen werden nicht erhoben) wurden aufgrund pädagogischer oder baulicher Sicherheitsmängel geschlossen. Gegen den Betreiber eines Kindergartens läuft derzeit ein Verfahren wegen des Verdachts auf Missbrauch von Fördergeldern.
Aslans Studie wurde später selbst wissenschaftlich durchleuchtet. Zwar konnte man Aslan wissenschaftlich kein Fehlverhalten vorwerfen, doch wurde die Studie qualitativ als mangelhaft beurteilt. Man stellte fest, dass Mitarbeiter des damaligen Außen- und Integrationsministers Sebastian Kurz mehrere Passagen zugespitzt und verändert hatten. Unter anderem auch inhaltliche Einschätzungen, die vorherrschende Stereotype gegenüber MuslimInnen bestätigen. Für die Feindbildpolitik im Wahlkampf war das ein gefundenes Fressen. Das sieht auch Jürgen Czernohorszky (SPÖ) so, der seit 2017 amtsführender Wiener Stadtrat für Bildung und Integration ist. Czernohorszky sagt, viele Aussagen aus der Studie seien von Schwarz-Blau für eine „sehr polemische Diskussion missbraucht“ worden. Die Ergebnisse der von der Stadt Wien 2017 veröffentlichten Studie („Pluralität in Wiener Kindergärten“) lesen sich deutlich anders. Der Blick ist differenzierter, der Befund nüchterner. Stadtrat Czernohorszky beteuert, durch verstärkte Kontrollen und strengeren Auflagen wolle man die schwarzen Schafe im Bereich der Wiener Kindergärten finden – flächendeckend, nicht nur im privaten und islamischen Bereich.
Interkulturelle Kompetenz
Unbeeindruckt davon setzen die Freiheitlichen ihre Linie fort. Als der umstrittene Buchautor Thilo Sarrazin im März 2019 auf Einladung der FPÖ zu Gast in Wien war, warf Ex-Vizekanzler Heinz Christian Strache wieder die Rhetorikmaschine an. Er wetterte von „über 150 islamischen Kindergärten, wo mit Hasspredigten die Kinder zu Märtyrern erzogen werden“, blieb aber konkrete Angaben schuldig. Auch die ÖVP bediente sich in der Folge der Studie Aslans und ließ den Nährboden für antimuslimischen Rassismus nicht austrocknen. Für Sara H. Ist klar, dass es Verbesserungspotenzial gibt. Sie fordert aufgrund steigender Anforderungen aber auch, dass finanziell nachgebessert wird. „Ich kann nicht die pädagogische Leitung entlasten und eine weitere Pädagogin ins Team holen, während ich jeden Cent umdrehen muss, weil das von der MA11 finanziell nicht getragen wird“, so die Kindergartenbetreiberin. Für eine bessere Qualität im Kindergarten müssten auch Ressourcen zur Verfügung stehen. „Wenn wir aber als Kindergarten mit Kindergruppen in einen Topf geworfen werden, färbt das auf uns Kindergärten ab“, fürchtet Sara H. Sie warnt zudem davor, Probleme der Pädagogik und Bildungspolitik zu „islamisieren und auf dem Rücken von Kleinkindern auszutragen.“ Auch Stadtrat Czernohorszky ärgert es, dass Kinder für populistische Debatten herangezogen werden. „Wir als Stadt wollten dieses Thema immer wissenschaftlich fundiert aufarbeiten, um auf der Grundlage von Fakten zu diskutieren“, so der Stadtrat.
Über „salafistische Tendenzen“ ließ sich seit der Pilotstudie indes wenig eruieren. Studien der Stadt Wien und auch mehrere Lokalreporte wie „Inside Islamkindergärten – Eine Undercover Reportage“ der Zeitschrift Biber fanden keine Indizien für extremistische Handlungen. Sara H. betont, dass in der Praxis vielmehr Interreligiosität wichtig sei. Neben islamischen Feiertagen würden ebenso Feste wie Weihnachten und Ostern thematisiert, zumal auch viele nichtmuslimische Kinder den Kindergarten besuchen. „Diese Kinder wachsen mit der Selbstverständlichkeit auf, dass eine Kindergartentante Kopftuch trägt und wir alle gemeinsam das Zuckerfest oder den Advent feiern.“ Interkulturelle Kompetenz ist auch aus Sicht der Stadt Wien immer stärker gefragt. Sie ließ einen Religionsleitfaden für alle konfessionellen Betreuungseinrichtungen erarbeiten. Jürgen Czernohorszky möchte speziell für den Raum Wien an Bildungseinrichtungen einen Schwerpunkt in der interkulturellen Kompetenz setzen. Das soll vom „Ausbau der Schulungen im Bereich Sprachförderung bis zu neuen Materialien zum Thema Sprache in den Kindergärten“ gehen. Mit den verschiedenen Religionsgemeinschaften soll verstärkt zusammengearbeitet werden. Auch die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) sei dabei, religionspädagogische Konzepte für Kindergärten zu entwickeln. Ex-Präsident Ibrahim Olgun wurde beauftragt, einen Kriterienkatalog zu erstellen, eine Anleitung darüber, wie der Islam im Kindergarten thematisiert wird. Kindergartenbetreiberin Sara H. sieht das mit gemischten Gefühlen. Sie sieht religiöse Erziehung immer noch in der Verantwortung der Eltern. Was man im Kindergarten tun könne, sei, bestimmte islamische Themen pädagogisch so aufzuarbeiten, dass Kleinkinder sie spielerisch verstehen können, etwa prophetische Geschichten. „Mehr können Kinder zwischen drei und sechs Jahren auch nicht aufnehmen.“ Auch sei es schwer, einen inhaltlichen Konsens zu finden, mit dem die Eltern zufrieden sind, zumal jede Familie ihren Glauben anders lebt. Sara H. ist sich der großen Aufgabe, die ihre Pädagoginnen im täglichen Betrieb leisten jedenfalls bewusst. Sie sieht eine Fehlerkultur bei der Stadt Wien entstehen und zeigt sich über die Zusammenarbeit dieser zufrieden. „Transparenz in solchen Zeiten“ sei sehr wichtig, insofern begrüße sie es, wenn differenziert und offen über Probleme in der Bildungspolitik gesprochen wird.
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