
Neues aus der Parallelgesellschaft
Österreichische Muslime werden oft als religiöse Fanatiker oder als Parallelgesellschafter portraitiert, den Durchschnitt sucht man vergeblich. Ein persönlicher und humorvoller Blick auf den Alltag einer wienerisch-muslimischen Suderantin. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Kolumne: Nour El-Houda Khelifi
Als wienerisch-muslimische Suderantin hat es mich unlängst nach Berlin verschlagen und ich muss feststellen: Wien und Berlin sind sich politisch und gesellschaftlich ähnlich und gleichzeitig auch wieder nicht. Ich spaziere an einem McDonalds vorbei, neben deutschen und englischen Infos zu Kasse oder Klo finde ich auch welche in türkischer Sprache. Ebenso in Apotheken oder anderen Geschäften, manchmal sogar auf arabisch oder anderen Sprachen. Wo bleibt hier der Alarmismus? Nach meinem letzten Informationsstand heißt es immer noch Bundesrepublik Deutschland und nicht Muslimische Republik Deutschland. Was machen die in Deutschland richtig und wir in Österreich falsch? In den regulären Supermärkten vermutet man in der Sektion „Regionales“ eben typisch regionale, traditionelle Produkte. Was erblicken meine pollengeschädigten Äuglein neben geräucherter Salami und Bioheumilch? Genau, Halalwurst, Halalwürstchen, Halalschinken. In Österreich unmöglich. 2015 hatte die Supermarktkette Spar Halalfleisch testweise in den Supermärkten angeboten. Was danach folgte, war gratis Kabarett. Wutbürgerinnen und Wutbürger der Extraklasse auf Facebook und Twitter, welche alle gemeinsam auf der Shitstormwelle gesurfed sind, was das Zeug hielt. Die Menschen taten regelrecht so, als ob das Halalfleisch kein normales Fleisch wäre, sondern vom Bauernbund des IS kommen würde. Wie aufgeregt kann Mensch sein? Hasskommentare auf Facebook und Twitter, allesamt auf Spar und die frechen Musliminnen und Muslime losgelassen, woher die sich das Recht nehmen, nach Halalfleisch zu verlangen. Wem’s ned passt, der soll sich wieder zurückschleichen. Oh okay, dann fahr ich eben wieder nach Favoriten zurück. Auf jeden Fall hat Spar aus „unbegründeten Vorwürfen“, das Halalfleisch aus dem Sortiment genommen und damit geschickt eine Marktlücke weiterhin nicht genutzt. Währenddessen gehen Deutsche entspannt in türkische und arabische Supermärkte und Konditoreien, kaufen, essen und genießen. Ich wünsche mir das für meine österreichischen Landsleute auch. Kulinarisch mehr ausprobieren, mehr genießen, dann jammern wir Wiener vielleicht auch mal weniger. Das Leben besteht aus vielmehr, als nur Würstl, Gulasch und Palatschinken.
Kulinarische Außengrenzen schützen?
Worüber wir uns in Österreich ständig in die Hosen machen, jahrzehntelang diskutieren und alles in hirnrissigen Szenarien enden lassen, haben die Deutschen einfach durchgezogen. Und sie leben immer noch. Es ist mittlerweile Standard, dass in Supermärkten Ramadan-Kalender oder Halalprodukte angeboten werden. Die meisten Halalprodukte gibt es mittlerweile sogar laktosefrei!! Ich habe in meinem Leben noch nie laktosefreien Ayran in Wien gesehen. Oder Ayran mit verschiedenen Geschmäckern. Kultureller Austausch heißt nicht Mord und Totschlag, eher Humus und Sauerkraut. Denn das Zauberwort hier lautet nicht Integration, sondern Inklusion. Die Teilhabe und Teilnahme an allem. Ohne Inklusion wären wir alle aufgeschmissen. Insbesondere kulinarisch. Was würden all die Hipster essen, wenn ihnen Falafel verwehrt geblieben wären? Ich könnte mich nicht als Wienerin bezeichnen, wenn ich nicht in den Genuss eines halal Leberkäse gekommen wäre. Nicht alles was anders ist oder Verbindungen zum Islam oder Muslimen hat, muss als fremd und gefährlich angesehen werden. A Eitrige hat noch niemandem wehgetan, Döner genauso wenig. Deswegen lasst uns wenigstens durch das Essen zusammenkommen und so neue Verbindungen schließen. Wir brauchen keine Politikerinnen und Politiker, die vielleicht das halbe Leben lang an einem braunen Stück undefinierbarer Masse knabbern und daran festhalten, weil sie Angst haben, was Neues auszuprobieren. Semmelknödel mit der scharfen Harissa-Paste sind wirklich super. Vielleicht gibt's da draußen eine edgy Haubenköchin oder einen Koch, die einen kulinarischen Frontex nicht hinnehmen wollen.
Unterstützen Sie jetzt unabhängigen Menschenrechtsjournalismus mit einem MO-Magazin-Solidaritäts-Abo