
Für die Würde der Roma in Europa: Roma Pride!
Manifest aus Anlass des Roma Pride Tages am 7. Oktober:
Romanes Version des Manifests
"Ermüdung und Verzweiflung könnten sich mittlerweile bei uns breit machen. Werden Roma und Sinti nicht schon seit Jahrhunderten verfolgt? Überspannen diese Vorurteile nicht schon mehrere Jahrhunderte, Länder und politische Regime? Ist es nicht illusorisch eine Situation ‚normalisieren’ zu wollen, die dermaßen aussichtslos scheint?
Die Gewalt gegenüber den Roma in Europa scheint in der Tat endlos zu sein. Die Hürden, die ihnen zur vollen Integration in die europäischen Gesellschaften in den Weg gestellt werden, wirken unüberwindbar.
Zum Beispiel existiert in Mitteleuropa und auf dem Balkan eine Geisteshaltung gegen Roma und Sinti, die oft sogar durch physische Vertreibung, ihre Eliminierung aus dem öffentlichen Raum anstrebt. In vielen Städten und Dörfern werden Roma in abgetrennte und ummauerte Bezirke gesteckt, in denen es keinen Zugang zu fließendem Wasser, Elektrizität oder öffentlichen Dienstleistungen gibt. Im speziellen sind davon Roma in Ostrava (Tschechische Republik), Michalovce, Košice, Prešov und Svinia (Slowakei), sowie in Tarlungeni und Baia Mare (Rumänien) betroffen. In Baia Mare wurden die Roma vor kurzem sogar in eine stillgelegte Chemiefabrik mit hoher toxischer Belastung verwiesen. Außerdem gibt es in Bulgarien unzählige urbane Ghettos, in denen 2011 von der rechtsextremen Partei Ataka Anti-Roma Proteste organisiert wurden. In 20 Städten wurde mit Slogans wie ‚Tod dem Volk der Roma’ und ‚Macht Seife aus den Roma’ demonstriert. In Ungarn werden Roma von den paramilitärischen Gruppen der Jobbik-Partei terrorisiert, die sie, wie in Gyongyospata, zur Flucht aus ihren Dörfern zwingen. Regelmäßig rufen diese Gruppen rassistische Gewalt hervor. Währenddessen errichtet die ungarische Regierung unter dem Vorwand des Kampfes gegen Sozialhilfebetrug unverhohlen Arbeitslager für Roma.
Darüber hinaus laufen auch in Frankreich trotz der neuen politischen Machtverhältnisse Ausweisungen und Deportationen wieder an. Dieselbe Praxis findet sich auch weiterhin in Deutschland, Schweden und Italien. Täglich gibt es in Ländern wie dem Kosovo, Portugal, Serbien, Kroatien und Polen, rassistisch motivierte Diskriminierung; sei es im Gesundheitswesen, auf dem Arbeitsmarkt, im Bildungssystem sowie in der Freizeit.
Diese erschreckenden Verhältnisse könnten uns verzweifeln lassen, tatsächlich motivieren sie uns aber zu noch größerer Hingabe in unserem Kampf für Würde und Gleichheit. Darum werden wir am Sonntag, den 7. Oktober, in unseren Ländern auf die Straße gehen, mit der geeinten europäischen Zivilgesellschaft im Rücken. Von Norwegen bis Serbien, von Portugal bis Polen, in Italien, Rumänien, Ungarn und Bulgarien werden wir besonnen, aber bestimmt gemeinsam ausrufen: „Für die Würde der Roma! Roma Pride!“. Gemeinsam werden wir durch politische Versammlungen und kulturelle Veranstaltungen eine sowohl politische als auch kulturelle Mobilisierung einleiten.
Entgegen dem, was SchwarzmalerInnen und Verzweifelte sagen, wird unser Bestreben nach der Anerkennung der individuellen Würde jener Menschen, deren Communities schon lange in Europa existieren, nicht vergebens sein.
Auf der institutionellen Ebene hat die Europäische Union durchaus schon einige Schritte in die richtige Richtung gemacht: Auf Bestreben der Kommission und von ein paar Mitgliedern des Europäischen Parlaments mussten 2011 alle Mitgliedsstaaten erstmalig eine ‚Nationale Strategie zur Integration der Roma’ verfassen und der Kommission präsentieren. Allerdings bleibt fragwürdig, wie manche dieser Strategien ohne Finanzierung und konkrete Planung wirklich etwas verändern sollen. Wie könnten wir da nicht vermuten, dass hier eine wirkliche Auseinandersetzung vermieden werden soll? Klar ist: Ohne echte Auseinandersetzung kann der Fortbestand von Gewalt und Diskriminierung nicht verhindert werden.
Doch trotz aller Widrigkeiten entwickelt sich in Europa gerade eine Roma-Elite mit einfachen und klaren Zielen: die volle Gleichheit von Rechten und Verantwortungen. Diese Elite, bestehend aus politisch engagierten Frauen und Männern, Intellektuellen, KünstlerInnen und AktivistInnen, steht nicht nur für sich selbst. Sie ist tief verwurzelt in den verschiedenen Roma-Gemeinschaften, sie ist verteilt über den ganzen Kontinent, und sie ist vollwertiger Teil der europäischen Zivilgesellschaft.
Roma Pride ist ein Initiator und Unterstützungsmechanismus für eine selbstständige Roma-Emanzipation. Da wir durch Universalismus inspiriert werden und eine volle Integration unser gemeinsamer Anspruch ist, wird Roma Pride von einer Zivilgesellschaft verwirklicht, die sich aus Organisationen und Individuen, unabhängig von Herkunft, zusammensetzt.
Diese Integration stellt keine Gefahr für bestehende Kulturen oder die Weitergabe von Identitäten und Traditionen dar, die – in all ihrer Vielfalt – Teil eines Europäischen Erbes sind. Integration heißt überall das Ende rassistisch motivierter Morde, die Auflösung von Ghettos, das Ende der Stigmatisierung von Roma zu politischen Zwecken, ein Ende der diskriminierenden Gesetzgebung und „Ausnahmeregelungen“, die in der Praxis oft auf Roma abzielen, wie es zum Beispiel bei Bestimmungen des Schengen-Abkommen der Fall ist, mit denen die Freizügigkeit in Europa eingeschränkt wird. Integration bedeutet, die entschlossene Dekonstruktion von Vorurteilen voranzutreiben; Integration heißt, Diskriminierungen auf Arbeits- und Wohnungsmärkten zu bekämpfen und der Segregation in den Schulen ein Ende zu bereiten. Integration bedeutet auch die Anerkennung der individuellen und nationalen Verantwortungen für die Verfolgung von Roma, vor allem durch jene europäischen Länder, die im Zweiten Weltkrieg mit Nazi-Deutschland alliiert waren.
Um endlich die volle Integration aller Menschen in die europäische Gesellschaft sowie Respekt für die Würde und Rechtsgleichheit aller auf dem ganzen Kontinent voranzutreiben, lasst uns am 7.Oktober gemeinsam in ganz Europa auf die Straßen gehen: für die Würde der Roma, für Roma Pride!"
Benjamin Abtan, Präsident des European Grassroots Antiracist Movement – EGA, sowie nach Herkunftsland:
Albanien : Aldo Merkoci, Präsident von Mjaft ! Movement, und Adriatik Hasantari, Präsident von Roma Active
Bosnien & Herzegowina : Alma Masic, Direktorin von Youth Initative for Human Rights – Bosnien & Herzegowina
Bulgarien : Krassimir Kanev, Präsident des Helsinki Komitees, und Deyan Kolev, Präsident des Roma Zentrums Amalipe für interethnischen Dialog und Toleranz
Dänemark : Anne Nielsen, Präsidentin von SOS mod racism, und Ferdi Sabani, Vorsitzender von Roma Forzning i Danmark
Deutschland : Serdar Yazar, Sprecher der Türkischen Union in Berlin-Brandenburg (TBB)
Finnland : Janette Grönfors, Koordinatorin von Rasmus, antirassistisches Netzwerk, und Gründungsmitglied von Nevo Roma
Frankreich : Cindy Léoni, Präsidentin of SOS Racisme, und Alain Daumas, Präsident der French Union of Gypsy Associations
Griechenland : Ahmed Moawia, Koordinator des Greek Forum for Migrants
Italien : Angela Scalzo, Präsidentin von SOS Razzismo, und Olga Bala, Präsidentin von Partita Romilor
Kosovo : Raba Gjoshi, Direktorin der Youth Initiative for Human Rights – Kosovo, und Osman Osmani, Director of Initiativa 6
Kroatien : Mario Mazic, Direktor der Youth Initiative for Human Rights – Kroatien
Lettland : Sigita Zankovska-Odina, Forscherin im Latvian Center for Human Rights
Moldawien : Nicolae Radita, Präsident des Roma National Center
Montenegro : Boris Raonic, Präsident der Civic Alliance, und Teuta Nuraj, Präsidentin von Nacionalni Savjet Roma i Egipcana
Norwegen : Kari Helene Partapuoli, Direktorin des Antirasistisk Senter
Österreich : Claudia Schäfer, Geschäftsführerin von ZARA, Alexander Pollak, Sprecher von SOS Mitmensch, und Andrea Härle, geschäftsführende Direktorin von Romano Centro
Polen : Kasia Kubin, Direktorin des Foundation Forum for Social Diversity, Paula Sawicka, Präsidentin der Open Republic Association, und Roman Kwiatkowski, Präsident der Roma People Association in Poland
Portugal : Bruno Gonçalves, Vize-Präsident des Centro de Estudios Ciganos
Rumänien : Marian Mandache, geschäftsführender Direktor von Romani Criss
Russland : Svetlana Gannushkina, Vorsitzende des Migration Rights Network of Memorial
Schweden : Mariam Osman Sherifay, Vorsitzende des Centrum mot Rasism
Serbien : Maja Micic, Direktorin der Youth Initiative for Human Rights – Serbia, und Jovana Vukovic, Koordinatorin des Regional Centre for Minorities
Slowakei : Irena Bihariova, Präsidentin von Ludia proti rasizmu
Tschechische Republik : Anna Šabatová, Präsidentin des Helsinki Komitees und Jarmila Balážová, Präsidentin von Romea
Türkei : Selcuk Karadeniz, Präsident der Roma Youth Association, und Cengiz Algan, Sprecher von Durde !
Ukraine : Zola Kundur, Präsident des Roma women fund Chiricli
Ungarn : Janos Farkas, Präsident des Government of the Roma minority of Gyongyospata, und Erika Muhi, Direktorin von NEKI