
Türkisch ist eine Sprache, keine heiße Kartoffel
SOS Mitmensch ist empört über die Ankündigung des Unterrichtsministeriums, die Aufnahme von Türkisch in den AHS-Lehrplan für lebende Fremdsprachen weiter hinauszögern zu wollen. Der Sprachenlehrplan hinkt bereits jetzt der Realität um Jahrzehnte hinterher. Die Reform nur scheibchenweise durchzuführen und damit de facto wieder auf die lange Bank zu schieben, wäre ein politisches Armutszeugnis sondergleichen.
Über drei Jahre ist es her, dass SPÖ-Unterrichtsministerin Schmied im April 2011 aufgrund von - inzwischen überwundenen - koalitionärem Gegenwind ihre Pläne zur Einführung von Türkisch als Fremdsprachenmaturfach – neben Griechisch, Latein, Englisch, Französisch, Italienisch, Russisch, Spanisch, Tschechisch, Slowenisch, BKS, Ungarisch, Kroatisch, Slowakisch und Polnisch – wieder zurückzog. Nach dem Rückzieher versank die Debatte in einen tiefen Dornröschenschlaf und wurde erst im Juni dieses Jahres durch eine Initiative von SOS Mitmensch wieder wachgeküsst.
Klare Mehrheit für Türkisch als Maturafach
SOS Mitmensch präsentierte eine Umfrage unter 50 AHS-DirektorInnen. Schulen in sämtlichen Bundesländern wurden befragt. Die befragten Schulen (die mehr als ein Siebentel der Grundgesamtheit der AHS-Schulen darstellen) wurden nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Eine deutliche Mehrheit von 72 % der befragten DirektorInnen sprach sich für Türkisch als Maturafach aus.
Ministerium will abwarten
Laut Bericht des „Standard“, soll nun zwar im Herbst 2015 ein Türkisch-Lehramtsstudium in Graz starten, aber auf die Aufnahme von Türkisch in den Sprachenlehrplan will sich das Unterrichtsministerium noch nicht festlegen. Obwohl sich nahezu drei Viertel der AHS-DirektorInnen für die Aufnahme von Türkisch in das Sprachenmaturafach-Angebot ausgesprochen haben, möchte das Ministerium erst die Nachfrage nach einer solchen Ausbildung abwarten.
"Türkisch ist keine heiße Kartoffel"
SOS Mitmensch-Sprecher Pollak übt scharfe Kritik an dieser „Salamitaktik“. Pollak befürchtet, dass weitere Jahre zu vergehen drohen, bis Türkisch tatsächlich an Schulen im Rahmen des regulären Lehrplans als Sprachenmaturafach angeboten werden kann. „Türkisch ist eine Sprache, keine heiße Kartoffel. Es gibt keinerlei Rechtfertigung dafür, warum sich Türkisch nicht längst unter den rund ein Dutzend lebenden Fremdsprachen im Lehrplan befindet“, so Pollak.
Volle Umsetzung ab 2015
SOS Mitmensch fordert die volle Umsetzung der Reform ab 2015. AHS sollen ab dem kommenden Schuljahr die Möglichkeit erhalten, Türkisch als Sprachenmaturafach anzubieten. Bis zu den ersten Lehramtsabschlüssen sollen, wie das jetzt schon bei anderen Fächern, in denen Lehrkräftemangel herrscht, der Fall ist, übergangsweise auch Lehrkräfte eingesetzt werden können, die ein Übersetzerstudium abgeschlossen haben, so die Menschenrechtsorganisation.
Positive Effekte für Integration
Ein Großteil der im Juni befragten DirektorInnen rechnet bei einer Erweiterung des Fremdsprachenlehrplans mit einem positiven Effekt für die Grammatik und den Wortschatz der Jugendlichen. Betont wird auch die Bedeutung des guten Beherrschens der Muttersprache für das Erlernen weiterer Sprachen. Darüber hinaus würden Anreize für den Zugang zu höherer Bildung geschaffen. Als Gegenargumente werden die weltweit zu geringe Bedeutung von Türkisch genannt, sowie die Schwierigkeit, eine neue Sprache in der Organisationsstruktur von Schulen zu verankern. Von den 50 befragten DirektorInnen befürchten nur drei eine mögliche Abkapselung von SchülerInnen bei Einführung von Türkisch als Fremdsprachenmaturafach. Die klare Mehrheit der DirektorInnen erwartet hingegen einen positiven Effekt für die Integration und das Selbstwertgefühl der Jugendlichen.
Potenziale der Jugendlichen fördern
„Angesichts des emotionalisierten Themas sind die Ergebnisse der Umfrage wesentlich klarer ausgefallen als wir erwartet hatten. Insbesondere an Schulen mit einem hohen Anteil an türkischsprachigen SchülerInnen herrscht eine große Offenheit dafür, die Potenziale der Jugendlichen zu fördern und voll auszuschöpfen. Immerhin sprechen in Österreich mehr als 15.000 OberstufenschülerInnen neben Deutsch auch Türkisch, davon besuchen mehr als 6.000 eine maturaführende Schule“, so Alexander Pollak, Sprecher von SOS Mitmensch.
Deutsch und Englisch bleiben
„Um allfälligen Missverständnissen gleich vorweg vorzubeugen: Kein einziger Schüler soll davon entbunden werden, Deutsch und Englisch zu lernen. Es geht allein darum, den SchülerInnen die Chance zu geben, ihre oft nur umgangssprachlichen Muttersprachenkenntnisse zu vertiefen und auf Fremdsprachenmaturaniveau zu bringen. Es geht also um etwas, das längst selbstverständlich sein sollte und in Deutschland übrigens schon seit Jahren selbstverständlich ist. Nun ist Unterrichtsministerin Heinisch-Hosek am Zug, den Rückenwind zu nutzen und die entsprechenden Schritte zu setzen“, so Pollak.
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