
Wie man gegen Vorurteile vorgeht
CLARTEXT. Die Muslimische Jugend Österreich zeigte ein Jahr lang vor, wie man gegen Vorurteile ankämpft - nämlich die eigenen. Daran könnte sich die Politik ein Beispiel nehmen. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Eine Kolumne über Diversität und Migration, Illustration: Petja Dimitrova
Ja, auch in den islamischen Communities gibt es ein Problem mit Antisemitismus. Die Gründe sind vielfältig. Das Aufwachsen in einer Gesellschaft, die JüdInnen aus religiösen Gründen verteufelt, könnte einer davon sein. Katholikinnen konnten davon früher ein Lied singen, schließlich liegen die Wurzeln des Antijudaismus im Neuen Testament begründet. Das Verwünschen von JüdInnen aufgrund politischer Ansichten ist auch eine Realität. Stichwort: Nahost-Konflikt. Die neue muslimenfeindliche aber vorgeblich judenfreundliche Rechte wurde in den vergangenen Jahren nicht müde, diese Probleme herauszustreichen und für ihre Zwecke zu nutzen. So wird mittlerweile auch mit dem Argument, die jüdische Bevölkerung vor Antisemitismus schützen zu wollen, vor dem Zuzug von MuslimInnen nach Österreich und Europa gewarnt. Auch österreichischen Musliminnen hierzulande wurde oftmals pauschal Judenhass unterstellt, wenn Studien zeigten, dass Antisemitismus etwa unter Jugendlichen mit türkischen oder arabischen Wurzeln stärker ausgeprägt war als bei anderen.
Im vergangenen Jahr entschloss sich die Muslimische Jugend Österreich dazu, ein Projektjahr gegen Antisemitismus auszurufen. 1.000 Jugendliche wurden erreicht – mit Workshops, Diskussionen, Treffen mit einer Zeitzeugin und Besuchen in den NS Konzentrationslagern Mauthausen und Auschwitz-Birkenau. Die Jugendorganisation arbeitete mit dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands zusammen und ging auf die jüdische Gemeinde zu. Während die Israelitische Kultusgemeinde das Projekt zu Beginn verhalten beobachtete, war IKG-Chef Oskar Deutsch bei der Abschlussveranstaltung, die im Mai kurz vor dem Gedenktag der Befreiung vom NS-Regime stattfand, mit lobenden Worten dabei.
Die jungen MuslimInnen stellten sich Vorurteilen, Stereotypen und auch der Ignoranz in der eigenen Gemeinde. Das sollte man ihnen hoch anrechnen. Sie haben sich bemüht, gegen Antisemitismus vorzugehen, ihm den Nährboden zu entziehen – nicht zuletzt durch Information. Sechs Millionen Jüdinnen und Juden wurden vom NS Regime ermordet. Wie eine Umfrage unlängst ergab, wissen das 58 Prozent der ÖsterreicherInnen aber nicht. Im Laufe der Zeit offenbarten mehrere Europäische Wertestudien zudem, dass nicht wenige ÖsterreicherInnen Angehörigen ethnischer Minderheiten im Lande mit rassistischen Vorurteilen begegnen. Auf ein Projektjahr gegen Rassismus von politischen EntscheidungsträgerInnen warten Betroffene von Rassismus vergeblich. So wie auf den Mut, sich den eigenen Vorurteilen zu stellen, anzuerkennen, dass wir alle in Gesellschaften hineingeboren wurden, in denen Diskriminierung, Stereotypisierung und ja Rassismus Realität sind und wir daher davon nicht frei bleiben, aber dagegen ankämpfen können. Wie das gehen kann, haben die jungen MuslimInnen vorgezeigt.
Clara Akinyosoye ist freie Journalistin und Ex-Chefredakteurin von M-Media.
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