Banan: „Heimat ist für mich der Ort, an dem ich meine Würde habe“
Banan kam Ende 2017 als 14-Jährige in Österreich an. Seit sie im vergangenen Jahr maturiert hat, hat sie den mehrsprachigen bundesweiten Redewettbewerb „Sag’s Multi“ gewonnen, tritt als Gitarristin auf, gibt Empowerment-Workshops, schreibt journalistisch und studiert Jus. Im Gespräch erzählt die in Damaskus geborene junge Frau von ihrem schwierigen Anfang in Wien, der Selbstbestimmung, die sie gefunden hat, und was für sie Heimat ist.
Redaktion & Fotos: Anna Johow
Banan, wie war es für dich in Wien anzukommen?
Ich war anfangs in Wien extrem exkludiert. Ich konnte kein Deutsch und mich deshalb nicht beteiligen. In der Schule war ich quasi unsichtbar und meine Hobbys und Fähigkeiten sind untergegangen. Ich konnte mich nicht ausdrücken und hatte kein Wissen. Die erste Schule, die ich besuchte, war eine schreckliche Erfahrung. Die Deutschförderklasse fand ich zynisch, weil ganz ehrlich, wenn ich schon mit dem Namen gerufen und aus der Klasse abgeholt werde, dann fühle ich mich schon mal anders und nicht als Teil dieser Gemeinschaft in der Klasse. Dann wechselte ich zur Anton-Krieger-Gasse in der Oberstufe, was ein Wendepunkt für mich war. Dort erhielt ich andere Unterstützung und das Deutsch lernen öffnete mir viele Türen. Es gab viele Momente, in denen sich weitere Türen geöffnet haben, aber der erste Erfolg, diese erste Flamme, kam durch das Erlernen der deutschen Sprache. Vor allem als ich den mehrsprachigen Redewettbewerb gewann. Dadurch ist alles andere ins Rollen gekommen.
Das hört sich so an, als hättest du dir deine Stimme und die Kraft so aktiv zu sein schon hart erkämpft. Fühlst du dich denn so als wäre deine Stimme in der Öffentlichkeit vertreten?
Ehrlich gesagt, sehe ich die Anliegen gerade von mehrsprachigen Frauen mit Migrationshintergrund in der breiteren Öffentlichkeit überhaupt nicht vertreten. Vor allem in Wien, wo ein Drittel der Bevölkerung nicht wählen kann, empfinde ich das als Schande. Es ist eine verpasste Chance, die Politik vielfältiger und bunter zu gestalten. Wien war schon immer eine vielfältige Stadt. Deshalb finde ich es sehr schade, dass man gewisse Gruppen in der Gesellschaft ausschließt von der politischen Teilhabe und das abhängig von der Staatsbürger*innenschaft macht. Das ist eine absolute Schwäche.
Aber ganz offensichtlich möchtest du das nicht einfach so hinnehmen und tust viel dafür, an dieser Situation etwas zu verändern.
Ich möchte diese Selbstbestimmung, die ich gefunden habe, die mir so viele Türen öffnet, nicht nur für mich haben. Ich möchte auch, dass andere Frauen empowert werden, im Tun und im Denken und, dass sie sich auch der Welt öffnen. Stereotypen über Frauen wie mich sollen gebrochen werden, z.B. im Zusammenhang mit Gehorsamkeit. Gewalt ist international, das gibt es überall. Und da eignet sich dieses VIDC-Projekt perfekt. Dort leite ich arabische Workshops zum Thema Selbstbestimmung. Es hilft Frauen aufmerksam zu werden. Okay, was mag ich eigentlich an meinem Körper? Was ist Gewalt in einer Beziehung? Vielleicht habe ich es bis jetzt ja gar nicht wirklich bemerkt? Vielleicht mache ich nur das, was mein Partner will? Darüber hinaus bin ich auch Integrationsbotschafterin des Roten Kreuzes und gebe im Rahmen von projektXchange Empowerment Kurse für Schüler*innen.
Ich kann mir vorstellen, dass das auch ziemlich fordernd sein kann. Vor allem neben deinem Studium und Job. Wie gehst du mit dem Druck, dem Stress um?
Mein Alltag ist schon stressig genug, neben meinem Studium assistiere ich auch noch in einer Anwaltskanzlei, aber ich fühle mich wirklich gestresst, wenn ich merke, dass ein Umfeld fehlt, in dem Solidarität herrscht. Das Unbehagen in mir wächst dann und ich möchte sofort Veränderungen herbeiführen. Das ist es, was mich am meisten stresst. Wenn ich sehe, dass bestimmte Grundwerte wie Mitmenschlichkeit, Mitgefühl, Solidarität, Gleichberechtigung und gleiche Chancen fehlen, steigt mein Stresslevel. Besonders in Krisenzeiten brauchen wir diese Werte mehr denn je. Genau da tendiert der Mensch dazu, eher an sich selbst zu denken. Aber da wünsche ich mir eher, dass man vielleicht nicht der ganzen Gesellschaft, aber seinem*r Nächsten, wirklich nur seinem*r Nächsten hilft.
Einen Ausgleich finde ich in der Musik. Die wollte ich deshalb nie zum Beruf machen. Es ist auch ein toller Beruf Musiker*in zu sein, aber für mich ist es eher etwas, was mich stärkt, mein Rückzugsort und Wohlfühlzone. Meine erste Gitarre, die habe ich immer noch. Ich habe sie aus Syrien mitgenommen, durch den Libanon, in die Türkei und dann nach Österreich, also auf der Fluchtreise war diese Gitarre auch immer dabei und sie hat wirklich einen signifikanten Teil meines Lebens mit sich.
Du hast an vielen Orten schon viele Leben gelebt. Was bedeutet Heimat für dich?
Für mich ist Heimat nicht der Ort, an dem man geboren wird. Natürlich habe ich Damaskus immer noch im Herzen. Wenn ich darüber spreche, dann rieche ich schon gleich den Jasmin und den Kaffee. Aber Heimat ist für mich der Ort, an dem ich meine Würde habe. Wenn ich in einem Umfeld bin, in dem ich nicht wachsen und nicht ich selbst sein kann, dann fühle ich mich unwohl. In Syrien werde ich komplett ausgeschlossen, wenn ich meine Meinung frei äußere. Dieser Gedanke ist sehr bedrückend. Ich fühle mich in Wien zu Hause, weil ich mich hier frei äußern kann – auch wenn ich mich politisch nicht beteiligen kann. Das ist auch schlimm, natürlich. Aber es gibt unterschiedliche Ebenen, wie schlimm etwas ist und wie frei man sein kann. Heimat ist für mich der Ort, an dem ich mich äußern und so sein kann, wie ich bin, ohne Angst zu haben, ich selbst zu sein.
Jeden Tag wird in Österreich über geflüchtete Menschen diskutiert. Vielfach wird pauschalisiert und instrumentalisiert. Die tatsächlichen individuellen Lebensrealitäten, Meinungen und Wünsche bleiben hingegen zumeist im Hintergrund. Besonders junge Geflüchtete sind öffentlich kaum vertreten. In unserer Porträtreihe „Stimmen geflüchteter Schüler*innen und Studierender“ lassen wir sie zu Wort kommen, weil sie ein Recht haben, ihre Geschichte selbst zu erzählen. Alle Porträts der aktuellen Reihe sowie unsere Porträtreihen der letzten Jahre sind hier nachzulesen: www.hierangekommen.at
Wenn Sie Geflüchtete ehrenamtlich unterstützen wollen, finden Sie HIER Infos und Kontakte.
Jetzt den SOS Mitmensch Newsletter abonnieren
Ermöglichen Sie mit einer Spende unsere weitere Menschenrechtsarbeit