„Den Behörden muss klar sein: Bei Unrecht haftet die Republik“
Rechtsanwältin Mara-Sophie Häusler von der Wirtschaftskanzlei Leitner & Häusler erstritt für ihre zu Unrecht abgeschobene Mandantin einen Verdienstentgang vor dem Obersten Gerichtshof. Der Staat Österreich muss die betroffene Nigerianerin für zwei verlorene Schuljahre entschädigen.
Interview: Milena Österreicher.
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Was ist die Vorgeschichte der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (OGH) zu Ihrer Mandantin?
Amara* hatte seit 2014 in Österreich gelebt. Ihre Mutter arbeitete an der nigerianischen Botschaft. Im Februar 2019 wurde Amara gemeinsam mit ihren zwei Geschwistern abgeschoben. Der Aufenthaltstitel der Mutter war nicht mehr aufrecht. Amara hatte allerdings einen Antrag auf ein Schülervisum gestellt. Sie ging zu dem Zeitpunkt in die siebte Klasse und war noch im laufenden Verfahren. Das Bundesverwaltungsgericht stellte danach fest, dass die Abschiebung zu Unrecht erfolgt war und kein Sachverhalt erkennbar war, der „auch nur im Ansatz“ die Abschiebung während des laufenden Verfahrens gerechtfertigt hätte.
Amara kam im darauffolgenden Herbst wieder nach Österreich. Was passierte dann?
Da sie zu Schulbeginn noch nicht hier war, wurde sie von der Schule abgemeldet. Weil sie bei ihrer Rückkehr mit siebzehn Jahren nicht mehr schulpflichtig war, wurde ihr aber auch der Wiedereinstieg nicht ermöglicht. Wir übernahmen ihren Fall durch Verfahrenshilfe, brachten ihn bis zum Höchstgericht und klagten Verdienstentgang ein. Amara hat durch die Abschiebung zwei Schuljahre verloren und kann somit erst zwei Jahre später ins Berufsleben einsteigen. Ende Oktober 2023 entschied der Oberste Gerichtshof nun, wenn Amara in den nächsten Jahren einen konkreten Verdienstentgang nachweisen kann, steht ihr ein entsprechender Schadensersatz zu. Die genaue Summe wird noch ausverhandelt.
Welche weiteren Konsequenzen hat die zu Unrecht durchgeführte Abschiebung für Ihre Mandantin?
Sie hat dadurch nun beispielsweise schlechtere Karten, um einmal um die österreichische Staatsbürgerschaft anzusuchen. Sie hatte zuvor bereits viereinhalb Jahre in Österreich gelebt. Durch die Abschiebung wurde ihr Aufenthalt in Österreich unterbrochen. Für die Staatsbürgerschaft muss sie aber einen langen, durchgängigen Aufenthalt hier vorweisen können.
Welche Bedeutung hat die OGH-Entscheidung nun insgesamt?
Eine wichtige Aussage der OGH-Entscheidung ist die Feststellung, dass das Fremdenrecht nicht nur den Zweck hat, vor unerlaubter Zuwanderung zu schützen. Es muss genauso Fremde, die Anspruch auf Bleiberecht haben, umfassend schützen. Es gab auch kurz zuvor eine Entscheidung, wo ebenfalls gesagt wurde, dass bei schuldhaft langen Verfahrensdauern den betroffenen Fremden ein Verdienstentgang zustehen kann. Das halte ich für eine wesentliche Entwicklung. Den Behörden muss klar sein: Wenn das Recht in unvertretbarer Weise angewendet wird, führt das dazu, dass die Republik Österreich für die Folgeschäden haftet und voller Schadenersatz zu leisten ist. Ich habe die Hoffnung, dass sich dieses Bewusstsein künftig auch in der Verfahrens- und Entscheidungspraxis niederschlägt.
*Name von der Redaktion geändert
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