
If Hongkong burns...
SPOTLIGHT. In Hongkong hat sich eine Zivilgesellschaft herausgebildet, die einmal erlangte Bürgerrechte seit Monaten verteidigt. Gegen einen übermächtigen Gegner. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte.
Schon wer zu seiner eigenen Wohnung gehen will, kann in Hongkong in diesen Tagen schnell ein Problem mit der Polizei bekommen. Patrouillen fahren durch die Straßen, Sperren wurden errichtet, Zugänge beschränkt, und an immer neuen Punkten formieren sich Menschen in Hongkong zu spontanen Demonstrationen. Erst kürzlich veröffentlichte die renommierte „South China Morning Post“ ein Video, in dem AktivistInnen in der Nacht ihre Laser-Pointer auf Fenster von Privatwohnungen richten, in denen Polizeibeamte wohnen. Seit Juni protestieren zehntausende EinwohnerInnen der Sonderverwaltungszone gegen die kommunistische Führung der Volksrepublik China. Anlass war ein umstrittenes Auslieferungsgesetz, doch es geht längst um mehr. Seit dem Abzug Großbritanniens aus der ehemaligen Kolonie 1997 hat sich in Hongkong eine BürgerInnengesellschaft gebildet, die ihre Rechte gegenüber Beijing verteidigt. Viele sind besorgt, rechtsstaatliche Standards wie etwa die Unabhängigkeit der Justiz und die Einhaltung der Menschenrechte zu verlieren, sobald die kommunistische Partei ihren Zugriff verstärkt. Und auch wenn ein Schriftzug an einer Häuserwand „If Hongkong burns, the world burns“ übertrieben scheint, so beließ man es in Peking bislang bei Drohungen.
Freie Presse
Hintergrund der Proteste ist aber auch, dass China seit 2003 viel Kapital nach Hongkong fließen ließ, was eine Explosion der Preise etwa auch bei Immobilien auslöste. Gerade für junge Menschen ist es schwer, eine Wohnung zu finden. Studierende und eine junge Mittelklasse sind die zentralen Träger der Proteste, die aber eine breite Basis haben. Es gibt keine Führung, über Social Media werden „Picknicks“ oder Meditationen wie z.B. im Tamar Park organisiert. Es wird von einer Website berichtet, die Aktionen im MTR, dem Hongkong U-Bahn Netzwerk, organisiert. Eine politische Beobachterin berichtet, dass sie Menschen sieht, die bisher still waren und sich nun erstmals politisch artikulieren. Die Angst vor dem Verlust von Freiheitsrechten eint die Zivilgesellschaft. Videos wie jene der „South China Morning Post“, die schwere Ausschreitungen zeigen, auch, wie Sicherheitskräfte auf Demonstrierende einprügeln und wie diese wiederum Tränengaspatronen über Barrikaden zurück zu den Polizisten werfen. Im Internet der Volksrepublik China würden es diese Bilder nicht durch die Zensur schaffen. Zuletzt wurde berichtet, dass selbst ein zwölfjähriges Kind verhaftet wurde, seit Juni landeten über 800 Menschen vorübergehend in Gefängnissen, die Vorwürfe reichen von illegaler Versammlung bis zu Widerstand gegen die Staatsgewalt. Auch Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam gerät zunehmend in Kritik, weil sie das Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ nicht entschieden verteidigt. In Hongkong befürchten viele, dass die Proteste die letzte Chance wären, um eine Kontrolle Festlandchinas zu verhindern. Tatsächlich ist es nicht die erste solche Bewegung, die Hongkong erlebt. 2014 richteten sich die Proteste gegen den Beschluss Pekings, wonach ein 1.200-köpfiges Komitee jene KandidatInnen bestimmt, über die die Bevölkerung von Hongkong abstimmen darf. Es war der Beginn der Regenschirm-Bewegung, auf die man sich jetzt erneut bezieht. Immer wieder sieht man in der Menschenmenge aufgespannte Regenschirme. Im Jahr 2016 wurde die damals 25-jährige Oppositionelle Yau Wai-ching in den Legislativrat gewählt. Bei ihrer Angelobung fiel sie dadurch auf, dass sie ihren Eid nicht auf China sondern auf Hongkong ablegte. Yau, damals Sprecherin der Oppositionsbewegung Youngspiration, wurde durchaus ambivalent wahrgenommen. Sie verlangte die Unabhängigkeit Hongkongs als einzig mögliche Freiheitsgarantie – eine Forderung, die zuletzt auch zu hören war. Mitte August bildeten sich lange Menschenketten in mehreren Vierteln der Stadt. Man orientierte sich am „Baltischen Weg“, als man im Sommer 1989 in Estland, Lettland und Litauen die Unabhängigkeit von der Sowjetunion forderte.
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