„Die Leute brauchen Journalismus“
Corinna Milborn, Puls-4-Infochefin, ist nie ganz weg vom Schirm. Nach dem Tod der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr, die von Coronaleugner*innen massiv bedroht wurde, griff die Journalistin auch im Urlaub in die Tasten. In ihrer „Würdigung“ warnt sie vor der Bedrohung durch radikale Onlinegruppen und denkt auch über die Rolle der Medien nach. Ein Gespräch über schwindendes Vertrauen in Medien und womit das zu tun hat. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Interview: Georg Eckelsberger, Fotos: Lukas Ilgner
Kürzlich ist eine Umfrage von OGM erschienen, wonach Medien im Vertrauensindex stark verloren haben – sie liegen auf dem vorletzten Platz, dahinter liegt nur noch die Regierung. Erschreckt Sie das?
Mich schockiert das nicht, Medien und Politiker*innen waren immer schon ganz hinten. Fernsehmoderator*innen liegen übrigens weiter vorne. Da sieht man eine Person, und es ist leichter, Vertrauen zu haben, weil man eine gewisse Beziehung aufbaut.
Am meisten vertrauen die Österreicher* innen der Polizei und dem Bundesheer. Was sagt das über den Zustand unserer Gesellschaft aus?
Dass Leute in der Unsicherheit nach Sicherheitsfaktoren greifen. Und dass die Regierung und die Medien nicht zu ihrer Sicherheit beitragen. Beide nicht.
Warum nicht?
Wir berichten darüber, was geschieht – und das ist derzeit durchwegs verunsichernd: Krieg, Energiekrise, Covid, Klimakrise. Es gibt bei jeder akuten Krise eine Phase, in der das Vertrauen in Medien enorm steigt, weil die Menschen Information und Einordnung brauchen und dafür dankbar sind. Zu Beginn der Covid-Krise war das besonders ausgeprägt. Aber wenn einem die Krise beginnt, auf die Nerven zu gehen, will man auch die Berichterstattung weniger hören, und einige suchen dann auch nach anderen Erklärungsmodellen. Dann sinkt das Vertrauen in Medien wieder.
Sie sind eine der bekanntesten Journalistinnen Österreichs. Merken Sie das Misstrauen in Ihrem Alltag?
Im direkten Kontakt mit dem Publikum ist es sogar umgekehrt. Da habe ich vielmehr das Gefühl, die Leute möchten sich an jemandem festhalten, den sie schon länger kennen und der für sie recherchiert und nachfragt. Aber ich merke gleichzeitig, dass die Desinformation über die Medien extrem durchschlägt. Vor allem bei manchen Onlinegruppen. Das waren früher kleine Ansammlungen, die meinten, alle sind gekauft und von irgendjemandem gelenkt. Mit Corona hat das stark zugenommen, und rechtsextreme Strukturen haben die Dynamik ausgenutzt. Die Gruppe derer, die dem ganzen System inklusive Medien misstraut – und das mit den immer gleichen Theorien begründet –, die ist echt größer geworden.
„Facebook und Google haben viel Aufmerksamkeit und Geld vom Werbemarkt abgesaugt.
Das führt zu echten wirtschaftlichen Problemen.“
Macht Ihnen das Sorgen?
Ja, es macht mir extreme Sorgen. Wenn die Leute einmal in den Glauben an eine umfassende Verschwörungstheorie gekippt sind, beschreiben sie es wie einen „Matrix“-Effekt. Sie haben das Gefühl, sie haben plötzlich alles durchschaut: Wer die Fäden zieht, wie alles funktioniert. In so ein Weltbild kann man alles einordnen, dann ergibt alles Sinn. Und deshalb ist es sehr schwierig, sie da wieder rauszuholen.
Wir kennen seit Jahren das Phänomen der Filterbubbles, also dass man zum Beispiel auf Facebook nur noch mit Gleichgesinnten zusammenkommt, die eigene Meinung verstärkt wird und es keinen wirklichen Austausch mehr gibt. Was hat sich durch die vermehrte Nutzung des Messengers Telegram geändert?
Diese Telegram-Gruppen sind völlig abgeschottet. Das ist eine eigene Welt, der man sich schwer entziehen kann, wenn man einmal darin liest. Denn es ist immer sehr persönlich. Diese Impfgegner kennen immer den Neffen einer Kollegin, der gestorben ist oder Ähnliches. Das nutzt Grundstrukturen der menschlichen Psychologie. Es erwischt einen zunächst emotional, dann muss man es rational abwehren.
Ein Problem mit dem Vertrauen in Medien ist auch der öfters geäußerte Vorwurf, dass etablierte Medien gekauft wären. Das Problem ist doch: Das ist nicht von der Hand zu weisen – zuletzt hat die ÖVP mit der Inseratenaffäre um Sebastian Kurz wieder einmal vorgeführt, dass Zeitungen käuflich sind.
Das Üble ist, dass so etwas dann alle trifft – und es geht ja nicht um alle. Es wird ganz konkret gegen ein Medium ermittelt, und ganz konkret gegen die Person Wolfgang Fellner. (Es gilt die Unschuldsvermutung.) Man könnte den Vorwurf auf den Boulevard ausweiten, der sehr viel Geld bekommt. Aber wir zum Beispiel kriegen aus öffentlichen Inseraten so gut wie gar nichts.
Puls24 bekommt auf offiziellem Weg Förderung von der Medienbehörde RTR, die jährlich Förderungen an private Medien vergibt. Die Behörde war allerdings kürzlich auch negativ in den Schlagzeilen.
Weil der Vorwurf aufkam, dass sie parteipolitisch besetzt wurde.
Jedenfalls war die Besetzung intransparent, es bleibt ein negativer Eindruck. Wie schon nach der Wahl des neuen ORF-Generaldirektors Roland Weißmann, dem Wunschkandidaten der ÖVP. Wie sehr schädigen solche Vorgänge wiederum das Vertrauen in die Medien?
Ich glaube sehr, weil wir Medienschaffende müssen es dann wieder erklären. Zum Beispiel, dass die RTR eben eine Behörde ist, die nicht Inserate schaltet, sondern Förderungen für eingereichte Projekte vergibt. Wie das Geld vergeben wird, ist zwar nicht leicht nachvollziehbar, aber das hat nichts mit Inseratenkorruption zu tun.
Was aber auch nicht sehr vertrauenserweckend klingt. Welchen Anteil hat denn die Medienbranche selbst am schwindenden Vertrauen?
Es gibt äußere Umstände: Zum Beispiel haben Facebook und Google sehr viel Aufmerksamkeit und auch wahnsinnig viel Geld vom Werbemarkt abgesaugt. Das führt zu echten wirtschaftlichen Problemen. Das ist übrigens auch ein Punkt, wieso Österreich im Pressefreiheitsranking so weit zurückgefallen ist. Es ist nicht einfach, in Österreich wirtschaftlich unabhängige Medien zu betreiben. Aber manche Medien haben auch selber viel Anteil an dem Vertrauensverlust. Weil sie teilweise sensationalistisch sind. Weil sie Interventionen zulassen und auf Druck eingehen. Weil Geschichten erscheinen, für die jemand gezahlt hat, oder weil es den Bericht zum Inserat dazu gibt. Natürlich haben Medien ihren Teil beigetragen. Und das schlägt dann auf alle durch, das trifft uns alle. Was wir dem entgegenhalten, ist, unsere Arbeit unabhängig und nach bestem Wissen und Gewissen zu machen. Das wird auch honoriert.
Gerade zum Thema der Inseratenkorruption hat die aktuelle Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) einen recht ambitionierten Ministerratsvortrag geschrieben. Wird sich etwas ändern?
Ich habe eine hohe Erwartungshaltung und hoffe, dass diese Regierung das auch durchzieht. Es ist das erste Mal, seit ich mich erinnern kann, dass jemand versucht, das Thema wirklich anzugreifen. Aber der Widerstand ist enorm. Man sieht ja, wie über die Regierung berichtet wird.
Stichwort Inseratenaffäre: „Bisher vergeben öffentliche Stellen hohe Inseratensummen recht
freihändig. Jene, die von diesem System profitieren, haben kein Interesse daran, dass das aufhört.“
Von wem kommt der Widerstand?
Bisher vergeben Ministerien und öffentliche Stellen sehr hohe Inseratensummen recht freihändig. Diejenigen, die von diesem System profitieren, haben kein Interesse daran, dass das aufhört.
Könnte mehr Transparenz das Vertrauen in die Medien wieder steigern, zum Beispiel,wenn es um Inseratenvergabe geht?
Das ist doch etwas für Feinschmecker, oder? ‚Dossier‘ schaut sich das dann an. Wenn man das liest, denkt man: Boah, Wahnsinn! Aber das tun ja nur sehr wenige Menschen, die sich schon auskennen. Das schafft auch kein Vertrauen in der breiten Bevölkerung. Ich glaube, es braucht gesetzliche Schranken und Qualitätskriterien für öffentliches Geld – ob Förderungen oder Inserate. Transparenz allein löst das Problem nicht.
Wir haben viel über Sorgen und Probleme gesprochen. Welche Hoffnungen haben Sie für den Journalismus in Österreich? Können Medien das verlorene Vertrauen wieder zurückgewinnen?
Wir haben mit Puls24 gerade einen Nachrichtensender gegründet, das macht man nicht, wenn man keine Hoffnung hat, dass es funktioniert. Und es funktioniert auch sehr gut, sogar schneller, als wir gedacht haben. Was man sieht, ist, dass alles, was lokal und live ist, nachgefragt wird. Also vielleicht wird man in Zukunft das Publikum nicht mit Serien halten können, weil die auch von irgendwelchen Plattformen gestreamt werden. Aber eines bleibt: Irgendwer muss berichten und erklären, was gerade passiert und wie man es einordnen kann, und welche Schlüsse man persönlich ziehen kann. Das war in der Pandemie besonders stark, weil es jeden betroffen hat. Darf ich am nächsten Tag raus oder muss ich eine Maske aufsetzen oder nicht? Die Leute brauchen Journalismus. Sie brauchen jemanden, der nachfragt und aufdeckt. Deswegen funktioniert es auch gut.
Sie würden also Meinungsumfragen und das niedrige Vertrauen in die Medien nicht überbewerten?
Ich kann nichts daraus lernen, wenn über ‚die Medien‘ etwas gesagt wird, denn ‚die Medien‘ gibt es nicht. Mir ist wichtig, ob unsere Zuseher*innen und unsere User*innen Vertrauen zu uns haben. Und da haben wir sehr starke Feedback-Kanäle und versuchen, sie einzubeziehen. Ob jemand Vertrauen in Wolfgang Fellner hat oder nicht ... Ich meine, es wäre ja in Wahrheit fatal, wenn jemand völliges Vertrauen in oe24 hätte. Wenn die Menschen ‚den Medien‘ so pauschal nicht vertrauen, ist das also eine gute Sache. Ich muss mich nicht bei allem mitgemeint fühlen, sondern meine Arbeit machen: guten, unabhängigen Journalismus liefern.
Georg Eckelsberger ist Mitgründer und stv. Chefredakteur der Rechercheplattform DOSSIER. Er unterrichtet Journalismus an der Fachhochschule Wien. www.dossier.at
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