Fariyal, Dilara & Sana: “Egal wohin, wir gehen zusammen”
Fariyal (17) kommt aus Afghanistan. Dilara (17) und Sana (18) kommen aus Syrien. Sie sind alle innerhalb der letzten 4 Jahre, ohne Angehörige, in Österreich angekommen. Kennengelernt haben sie sich in einem Wohnprojekt von Tralalobe. Seitdem trotzen sie gemeinsam einem System, das junge Geflüchtete wie sie leider oft im Stich lässt. Im Gespräch erzählen sie über Heimat, Rassismuserfahrungen, Zukunftsträume und ihre Freundschaft, die sie durch all das trägt.
Redaktion & Fotos: Maiko Sakurai
Was bedeutet der Begriff „Heimat“ für euch?
Dilara: Im Grunde bedeutet es für mich „Frieden“. Aber meiner Meinung nach haben wir zwei Heimaten. In meiner ersten Heimat kann ich wegen dem Krieg nicht zur Schule gehen oder studieren. Ich werde dort geliebt, aber sie können mir nicht helfen, denn Krieg ist nun mal Krieg. Und deshalb sind wir hierhergekommen, unserer zweiten Heimat. Hier haben wir Perspektiven.
Sana: Hier habe ich vieles nicht, was ich in meiner ersten Heimat hatte. Meine Familie zum Beispiel. Aber hier, in meiner zweiten Heimat, habe ich ein Zimmer, eine Ausbildung und ich habe euch.
Fariyal: Österreich wurde sozusagen zu meiner „Familie“, weil hier mein Lebensmittelpunkt ist. Wir haben unsere Heimatländer verlassen und sind hierhergekommen. Das scheint unmöglich, aber wir haben es geschafft. Wir haben es ganz alleine geschafft! Wir haben viele Dinge gesehen, aber jetzt sind wir hier um unser Leben selbst zu gestalten.
Schön, dass ihr Österreich als eure 2. Heimat anseht. Wie war es hier für euch anzukommen und wie geht es euch jetzt?
Dilara: Mein Heimatland ist wie meine „erste Familie“ und Österreich ist meine „zweite Familie“. Wir wurden hier aufgenommen und man kümmert sich um uns. Hier fragt man uns: „Willst du lernen? Willst du studieren?“ Wir sprechen oft darüber. Wir waren alle so klein. Ich war 13, Sana auch. Wenn ich dann zum Beispiel daran denke, dass mein Deutsch noch nicht perfekt ist, dann sage ich mir: „Niemand ist perfekt.“ Ich bin nicht perfekt, aber auch das werde ich schaffen. Ich kann lernen.
Sana: Ich bin zweigeteilt. Auf der einen Seite steht meine „erste Familie“, wo meine Eltern und Geschwistern sind und auf der anderen Seite ist meine „zweite Familie“. Hier habe ich so viele Optionen und es stehen mir so viele Türen offen. Man sollte von beiden Seiten das Beste nehmen und zusammentun. Deshalb versuche ich auch seit 2 Jahren meine Familie nachzuholen und habe, so wie wir alle, um Familienzusammenführung angesucht.
Fariyal: Manchmal ist es nicht leicht. Es gibt gute, aber auch schlechte Menschen hier. Gestern waren wir zum Beispiel mit einem Mann im Zug, der laut über uns geredet hat. „Warum sind die hier, die sollen ihre Fahrkarten zeigen, vielleicht haben die gar keine Tickets...“ Leider gibt es solche Leute hier, aber zum Glück gibt es auch so viele gute Menschen.
Dilara: Ich trage normalerweise keinen Hijab. Aber dieses eine Mal habe ich einen Hijab getragen. Ich stand vor der U-Bahn und die Leute schauten mich an, als ob ich etwas falsch machen würde. Wieso? Sonst haben sie auch kein Problem mit mir, aber mit Hijab auf einmal schon? Die Leute haben mich angesehen, als würden sie mich fragen wollen, was ich hier verloren habe. Ich fühlte mich total alleine.
Es tut mir sehr leid, dass euch so etwas wiederfahren ist. Niemand sollte euch so ein Gefühl geben. Hilft euch eure Freundschaft dabei, mit solchen Situationen umzugehen?
Dilara: Ich war lange Zeit alleine oder hatte Freund*innen, die versucht haben mich schlecht zu beeinflussen. Aber hier in Österreich habe ich Freundinnen gefunden, mit denen ich Dinge teilen kann, über die ich noch mit niemandem sprechen konnte. Früher war ich eine Person, die sehr verschwiegen war, aber mit meinen Freundinnen hier ist das anders. Selbst wenn ich etwas nicht sofort teile, dann spüren sie es und fragen nach. Es ist schwer solche Freund*innen zu finden.
Sana: Wir alle haben verschiedene Denkweisen und Vorlieben, aber trotzdem sind wir verbunden. Es ist so als wären sie ein Haus, in dem ich Zuflucht finden kann, jedes Mal wenn ich weinen oder über etwas sprechen möchte. Als ich hier angekommen bin war alles sehr schwer. Aber dann haben wir uns gefunden, obwohl wir eigentlich so weit voneinander entfernt sein sollten. Wir geben uns gegenseitig das, was wir brauchen. Wir ergänzen uns einfach und sind füreinander da.
Fariyal: Wir haben eine Verbindung, die andere Leute nicht haben. Wir sprechen verschiedene Sprachen und kommen aus unterschiedlichen Ländern. Ich spreche zum Beispiel Urdu, Englisch, Dari, Persisch und lerne Deutsch. Dilara und Sana sprechen Kurdisch, Arabisch, Englisch und Deutsch. Aber es geht dabei nicht um Sprache oder um Herkunft. Es ist einfach ein Gefühl und eine Verbundenheit.
Ich freue mich sehr für euch, dass ihr euch gefunden habt und füreinander da seid. Wie sieht eigentlich euer Alltag gemeinsam aus?
Dilara: Im letzten Jahr habe ich meinen Pflichtschulabschluss gemacht und im Juni beginne ich meine Lehre als Kaufmännische Assistentin. Im September starte ich dazu mit der Berufsschule. Ich habe auch einen Deutschkurs, Level B1, erfolgreich absolviert und darüber hinaus machen wir auch sonst viele Aktivitäten hier. Zum Beispiel machen wir gemeinsam einen Schwimmkurs und Yogaklassen und ich lerne auch Gitarre zu spielen.
Sana: Ich habe auch vor einem Monat meinen Pflichtschulabschluss gemacht. Und bald beginnt auch meine Lehre, so wie bei Dilara. Ich lerne Deutsch und mache eben auch die ganzen Kurse gemeinsam mit meinen Freundinnen. Im Grunde machen wir alles zusammen.
Fariyal: Ich bin gerade dabei meinen Pflichtschulabschluss zu machen, nächste Woche habe ich Abschlussprüfungen. Ich habe zusätzlich zu all den gemeinsamen Kursen auch noch Klavierstunden.
Wow, das klingt nach einem vollem Terminkalender. Seid ihr gerne so viel beschäftigt?
Fariyal: Manchmal tut es gut sich einfach abzulenken. Wenn wir nur zuhause herumsitzen, würden wir uns nur den Kopf zerbrechen. Über unsere Familien und was wir alles zu tun haben. Außerdem finde ich es toll viele Dinge zu Lernen und sich Wissen in verschiedenen Bereichen anzueignen. Wir lernen auch so viel voneinander.
Sana: Ja, wir könnten täglich einen Anruf mit schlechten Nachrichten von unseren Familien bekommen. Seit 2 Jahren ist es so. Deshalb ist es gut, dass wir viel zutun haben.
Dilara: Wir haben im Grunde jeden Tag Programm und jedes Wochenende auch. Ich weiß gar nicht, wie wir das eigentlich schaffen.
Und wie stellt ihr euch eure Zukunft vor?
Fariyal: Sehr erfolgreich. Ich will kein normales Leben leben. Ich will meine ganz Energie dazu verwenden meine Träume zu verwirklichen. Weil, jetzt haben wir die Chance dazu.
Mein Traum ist es Flugbegleiterin zu werden. Mein größter Wunsch ist es aber, dass die Familienzusammenführung endlich klappt. Ich will meine Familie hierherholen und ein gutes Leben haben.
Dilara: Ich möchte meine Lehre abschließen und danach studieren. Ich möchte auch noch mehrere Sprachen lernen. Vielleicht Spanisch als nächstes. Ich will einfach einen Job, am liebsten im medizinischen Bereich und dass alles gut ist. Vor allem keinen Stress mehr. Ich hoffe auch, dass meine Familie bald nach Österreich kommen kann.
Sana: Ich möchte Chirurgin werden, das weiß ich seit meiner Kindheit. Und ich möchte unbedingt Koreanisch lernen. Aber am wichtigsten ist es mir, in Zukunft unabhängig zu sein und auf eigenen Beinen zu stehen. Es wäre auch schön, wenn wir eines Tages alle zusammen in unsere Heimatländer reisen. Egal wohin, wir gehen zusammen.
Jeden Tag wird in Österreich über geflüchtete Menschen diskutiert. Vielfach wird pauschalisiert und instrumentalisiert. Die tatsächlichen individuellen Lebensrealitäten, Meinungen und Wünsche bleiben hingegen zumeist im Hintergrund. Besonders junge Geflüchtete sind öffentlich kaum vertreten. In unserer Porträtreihe „Stimmen geflüchteter Schüler*innen und Studierender“ lassen wir sie zu Wort kommen, weil sie ein Recht haben, ihre Geschichte selbst zu erzählen. Alle Porträts der aktuellen Reihe sowie unsere Porträtreihen der letzten Jahre sind hier nachzulesen: www.hierangekommen.at
Jetzt den SOS Mitmensch Newsletter abonnieren
Ermöglichen Sie mit einer Spende unsere weitere Menschenrechtsarbeit