
Ein kleiner Schneeball kommt ins Rollen
Zur Abschiebung von Tina und der Familien: Selbst wenn wir uns in Österreich für die harte Linie entscheiden und darauf bestehen, Recht muss Recht bleiben. Dann gilt auch: Kinderrecht muss Kinderrecht bleiben. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Kommentar: Tertiarschwestern
„Gratuliere zu eurer tollen Aktion!“, das schrieben uns in letzter Zeit viele Menschen. Dabei war gar nichts Tolles dabei. Es war eine Spontanaktion, angeregt bei einem Gespräch über die Abschiebungen, die wir einfach nicht verstehen konnten. Eine Schwester hatte die Idee, ein Transparent zu malen, eine andere wählte, ohne viel nachzudenken, ein Zitat aus der Rede des Bundespräsidenten, malte das Transparent und hängte es an die Außenmauer des Klosters. Die Fotos kamen auf unsere Homepage und wir posteten sie auf Facebook und verschickten sie über WhatsApp.
Dann gab es so etwas wie einen Schneeballeffekt. Das Foto wurde oft geteilt und verbreitete sich schnell auf verschiedenen sozialen Medien. Printmedien und Onlinezeitungen meldeten sich und viele österreichische Ordensgemeinschaften schlossen sich dem Protest an.
Warum protestierten wir? Jesus sagte einmal den weisen Satz: „Der Sabbat ist für den Menschen da und nicht der Mensch für den Sabbat.“ Für ihn stehen Gesetze im Dienste des Menschen und müssen zum Wohle der Menschen ausgelegt werden. Das ist ein klarer Grundsatz mitten aus dem Evangelium und mitten aus dem Leben. Wir sollten mit dieser Richtlinie umgehen wie mit einer guten Seife – möglichst oft anwenden.
Im Gegensatz dazu steht: „Wir haben ein Gesetz und nach diesem Gesetz muss er sterben.“ Tina und die anderen Kinder sind kürzlich unter die Räder dieser Sichtweise gekommen. Auch nach diesem Grundsatz können wir handeln, aber da sollten wir uns vorher fragen, wie sich das auf das Klima in unserer Gesellschaft auswirkt. Papst Franziskus sagt, dass aus der Verbindung von Gier, Gleichgültigkeit und Abgeschottetheit eine individualistische Traurigkeit entsteht. Wollen wir eine solche Gesellschaft, die wir durch unseren Egoismus in einen Dunstschleier der Traurigkeit tauchen?
Die Stimme erheben die Tertiarschwestern und mit ihnen zahlreiche Frauenorden, Männerorden und Pfarren.
Für uns ist der Fall klar: Wenn diese Familien in Österreich geblieben wären, hätte das für uns keinerlei Nachteile gebracht. Aber für die Kinder bringt die Abschiebung gewaltige Nachteile: das Zerplatzen von Zukunftsträumen, den Verlust ihrer Heimat, ihrer Freund*innen, ihrer Bildungslaufbahn ... Darum sind diese Abschiebungen nicht zu rechtfertigen.
Und noch etwas: Selbst wenn wir uns für die harte Linie entscheiden und darauf bestehen: Recht muss Recht bleiben. Dann gilt auch: Kinderrecht muss Kinderrecht bleiben. Die Kinderrechte bauen auf 4 Prinzipien auf, zwei davon wurden hier klar verletzt:
- Wann immer Entscheidungen getroffen werden, die sich auf Kinder auswirken können, muss das Wohl des Kindes vorrangig berücksichtigt werden.
- Alle Kinder sollen als Personen ernst genommen, respektiert und in Entscheidungen einbezogen werden.
Das wurde in diesem Fall nicht beachtet. Es freut uns, dass sich so viele jungen Menschen damit nicht abfinden wollen und sich jetzt lautstark zu Wort melden. Vielleicht gelingt es doch noch, die Regierung zum Einlenken zu bewegen, so dass die Familien zurückkehren können in das Land, das sie als ihre Heimat betrachten und in dem sie auch gebraucht werden.
ZUR PERSON
Die Tertiarschwestern des heiligen Franziskus sind eine internationale Gemeinschaft mit dem Mutterhaus in Brixen/Südtirol.
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