Fake Industry
Werner Bootes neuer Film „The Green Lie - Die grüne Lüge“ handelt von den Ökolügen der Konzerne. Expertin Kathrin Hartmann schärft dabei unseren Blick.
Text: Gunnar Landsgesell, Fotos: Filmladen
Es ist eine Lehrstunde, wie die Natur dem Kapital geopfert wird. Als Regisseur Werner Boote und die Buchautorin Kathrin Hartmann auf Grande Isle in Louisiana einen Fischereibetrieb besuchen, holt Firmenchef Bob Dudley einen frisch gefangenen Shrimp mit schwarzen Kiemen aus einem Behälter. Das Tier hat beim Einatmen die hochgiftige Chemikalie Corexit und Teer aufgesaugt. Als 2010 eine Leasingfirma des Ölkonzerns BP auf der Ölförderplattform „Deepwater Horizon“ gesetzliche Sicherheitsstandards umging, um vor Ablauf der Fördererlaubnis noch so viel Öl wie möglich aus dem Meeresboden zu pumpen, kam es zur Explosion. Die Ölpest war die schlimmste dieser Art in der Geschichte der USA. Bob Dudley bot BP seine Fischerboote an, um das Öl von der Meeresoberfläche abzuschöpfen. Doch BP war das laut Dudley zu teuer. Die Devise war, das Öl lieber verschwinden zu lassen. Sie schütteten große Mengen an Chemikalien in den Golf von Mexiko, so dass das Öl verklumpte und auf den Meeresboden sank und diesen mit dem giftigen Gemisch aus Chemie und Teer verseuchte. Nicht lange darauf startete BP eine große Marketingaktion, und lud die beiden Buchstaben mit neuem Sinn auf: Das Unternehmen wollte fortan lieber als „better people“ und „Beyond Petrolium“ assoziiert werden, obwohl die Umsätze des Konzerns aus anderen Energieträgern gering sind. Ein Fall von Greenwashing, bei dem eine umweltschädliche Technologie durch freches Marketing in etwas anderes verwandelt wird.
Doppelconference statt erhobener Zeigefinger
Fälle wie diese sind es auch, denen Boote und Hartmann in „The Green Lie“ nachspüren. Sie reisen um die halbe Welt und erschüttern das Vertrauen in die grünen Versprechen der Wirtschaft nachhaltig. Boote, der im Stil des US-amerikanischen Dokumentarfilmers Michael Moore wie in seinem Film „Plastic Planet“ als Conferencier gerne selbst durch seine Filme führt, setzt diesmal auf eine Doppelconference mit Kathrin Hartmann. Die Journalistin und Sachbuchautorin („Ende der Märchenstunde“, „Aus kontrolliertem Raubbau“) ist eine der profundesten Kennerinnen zu Fragen der Nachhaltigkeit und wie die Industrie mit dem Begriff Konsumenten täuscht. Boote spielt im Film den aus Bequemlichkeit gutgläubigen, tatsächlich ignoranten Konsumenten, der nur zu gerne bereit ist, an die ökologische Wende zu glauben. Hartmann kontert mit schlüssigen Argumenten. Das wirkt manchmal etwas theatral, in anderen Momenten aber wieder als witziges Konzept. Immerhin umgeht Boote so, sein Kinopublikum mit erhobenem Zeigefinger zu belehren. Beim Thema dieses Films, der von krassen Missständen erzählt, wäre das Bedürfnis dazu wohl groß.
Feinstaub nach Schweden
Das spannende an diesem Film ist, wie er Verhältnisse lüftet, die geradezu unsichtbar sind, weil sie derart gut in unsere Normalität eingepackt sind. Landschaften werden einem als Naturschutzgebiete verkauft, E-Autos als umweltfreundlich, Kohlekraftwerke dank Filter als sauber, und Palmöl als nachhaltig. Eine grüne Welt, in der wir leben, und in der wie die Windkrafträder als Verschandelung der Natur empfinden, während kleinste Feinstaubpartikel, die man nicht mehr aus den Lungenbläschen bekommt, munter vom Ruhrpott bis nach Schweden fliegen. Die Industrie, sagen Hartmann und Boote, will nichts verändern, außer ihr Marketing. So lobbyiert sie bei der Politik, und ist dabei höchst erfolgreich.
Eine der eindrücklichsten Szenen von „The Green Lie“ ist wohl jene, in denen Boote und Hartmann auf einer schwarz verkohlten Fläche auf Sumatra stehen, die kurz zu vor noch Regenwald war. Zwei Meter unter ihnen glost der Torfboden vor sich hin, es sind fast unauslöschliche Funken, die sich unterirdisch fortsetzen, während immense Mengen von bis dahin gebundenem CO2 die Klimaerwärmung weiter befördern. Immer wieder wird im Interesse von Palmölproduzenten Primärwald in Ländern wie Indonesien oder Malaysia niedergebrannt, um dort Monokulturen anzubauen. Das ist zwar gesetzlich nicht erlaubt, findet aber dennoch in großem Stil statt. Die Gewinnmarchen für Lebensmittel auf dem europäischen Markt konnten dank billigem Palmöl einmal mehr erhöht werden. Und auch Indonesien als weltgrößter Exporteur von Palmöl kann sein Bruttoinlandsprodukt auf diese Weise deutlich steigern. So gesehen verwundert es nicht, wenn der indonesische Innenminister sich auf der Palmöl-Konferenz IPOC über NGOs lustig macht, die ein paar Orang Utans retten wollen. Tatsächlich starben 2015 rund 100.000 Menschen, als Teile des indonesischen Regenwaldes niedergebrannt wurden. Es war die schlimmste Ökokatastrophe in der Geschichte des Landes. Bis heute sind mehr als eine halbe Million Menschen an den Langzeitfolgen gestorben. Der Aktivist Feri Irawan, der die Praktiken von Konzernen und Regierung dokumentiert, kann indes berichten, wie oft solche Feuer illegal gelegt werden. Der Staat ist in solchen Momenten fern. Als Boote auf einer Fachmesse kritisch nachfragt, ob garantiert kein Regenwald für dieses Produkt vernichtet wurde, vermag der Firmenvertreter kaum zu erklären, ob Produkt-Info und Realität tatsächlich übereinstimmen. Ehrlichkeit wirkt manchmal geradezu entwaffnend, als ein Verkäufer erklärt, die Aufschrift „Organic“ bedeute nur, der Inhalt sei weniger giftig als bei anderen Erzeugnissen.
Chomsky fordert Systemwechsel
Man könnte denken, Greenwashing funktioniert besonders gut, wenn die Distanzen zwischen Produzent und Konsument besonders weit sind. Den Regenwald zu schützen, dafür dürften AktivistInnen schon öfters ein mitleidiges Lächeln geerntet haben, so abgedroschen klingt dieser Satz. Im gigantischen schwarzen Schlund des Braunkohlereviers Garzweiler, wo Boote mit einem umweltfreundlichen Tesla anreist, kommt es Kathrin Hartmann zu, die ökologische Frage mal gründlich zu klären. Energie für Individualverkehr, Rohstoffe für seltene Erden, das Fehlen einer Kreislaufwirtschaft, all das sei mitverantwortlich für die fortschreitende Klimaerwärmung und durch ein Elektroauto sicherlich nicht durchbrochen. Der Konsument als gutgläubiger Mensch, dieses Sujet wird im Film an dieser Stelle wohl am deutlichsten. Hartmann ist in „Green Lie“ nicht die einzige Stimme, die eine systemische Veränderung einfordert. Am MIT in Massachusetts besuchen Boote und Hartmann einen der bekanntesten Intellektuellen der USA, Noam Chomsky. In diesem knapp gehaltenen Interview formuliert Chomsky das, was aus seiner Sicht getan werden müsse: Die Macht der Konzerne, insbesondere deren Einfluss auf die Regierungen, müsse gebrochen werden, während die Ökonomie unter die Kontrolle der Öffentlichkeit gestellt werden müsse. Utopisch, meint Boote sinngemäß. Chomsky kontert: Das hätten die Herrscher im Mittelalter wohl auch gesagt, hätte ihnen jemand von einer demokratischen Gesellschaftsform erzählt. Bis dahin könne es aber noch lange dauern, während man sich heute noch mit den bösesten Effekten des Green Movement beschäftigen muss. Der Wissenschaftler und Autor Raj Patel bringt es auf den Punkt: Es wird einem immer das Gefühl vermittelt, dass man als Kunde selbst entscheiden kann, welches Produkt man kauft. Doch gerade darin liege die Perfidie: Wir alle werden damit als KundInnen individualisiert, doch, so Patel, durch Einkaufen könne man keine Gesetze ändern. Bleibt die Frage, wieso Gesetze so verfasst sind, dass man sich als Kunde, als Kundin überhaupt Sorgen machen muss?
Kathrin Hartmann
Die grüne Lüge. Weltrettung als profitables Geschäftsmodell
Karl Blessing Verlag 2018
ISBN: 978-3-89667-609-2
240 Seiten, 15,50 Euro
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