„Heute ist die FPÖ eine radikalisierte Partei“
Die FPÖ liegt in Wahlumfragen seit geraumer Zeit an erster Stelle. Der ehemalige Grünen-Nationalratsabgeordnete Karl Öllinger im Gespräch über seine Plattform „Stoppt die Rechten“, zunehmende Waffenfunde in Österreich und warum die FPÖ noch mehr Aufmerksamkeit bräuchte.
Interview: Christof Mackinger, Fotos: Karin Wasner.
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MO-Magazin: Herr Öllinger, warum haben Sie 2010 die Online-Plattform „Stoppt die Rechten“ gegründet?
Karl Öllinger: Unser Ziel war es, die antifaschistische Arbeit etwas zu systematisieren und eine tagesaktuelle Berichterstattung zu den Themen in der öffentlichen Aufmerksamkeit zu halten. Das ist mit viel Mühe gelungen. Man muss dazu sagen, es ist fast eine „never ending“-Story: Rechtsextreme Aktivitäten haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Für unser kleines Team ist das ein unglaublicher Arbeitsaufwand. Außerdem wollte ich damit versuchen, die antifaschistische Szene besser zu vernetzen.
„Die starke Zunahme von Waffenfunden ist wirklich erschreckend“, meint der ehemalige Grünen-Abgeordnete Karl Öllinger. Darunter sind auch Sprengmittel und funktionsfähige Kriegswaffen.
Womit beschäftigt sich die Plattform?
Wir wollen uns eigentlich allen Bereichen widmen: Die Neue Rechte, Neonazismus und Rechtsextremismus, bis hin zu den immer deutlicher nach rechts kippenden Rechtskonservativen. Etwas unterbelichtet sind bei uns sicher christlich-fundamentalistische Organisationen. Gut informiert sind wir im Bereich Burschenschaften, dem klassischen Rechtsextremismus, der in die Neonazi-Szene hineinmündet. Und natürlich ist auch die FPÖ ein immer stärker werdendes Thema für uns.
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„Die Gewöhnung an das, was die FPÖ darstellt,
ist schon sehr weit fortgeschritten“
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War die FPÖ nicht schon immer ein Thema für Antifaschist:innen?
Ja, aber da wurde der Fehler gemacht, dass man die Partei schon in der Vergangenheit ganz eindeutig als rechtsextrem oder neonazistisch betitelt hatte und dadurch die qualitativen Änderungen, welche die FPÖ jetzt tatsächlich vornimmt – im ideologischen und personellen Bereich – nicht mehr wirklich benennen kann. Ich war da immer eher vorsichtig. Für mich war die FPÖ eine rechte Partei mit rechtsextremen Merkmalen.
Mittlerweile ist die FPÖ eine deutlich rechtsextreme, rassistische Partei, in der „normale“ Rechte oder Rechtskonservative nur mehr wenig Platz finden. Heute ist die FPÖ eine radikalisierte Partei, die sich innerhalb weniger Jahre unter Herbert Kickl dem Rechtsextremismus mehr oder minder bedingungslos geöffnet hat. In der politischen Debatte wurde das von anderen Parteien bisher kaum beachtet. Erst jetzt, wo eine Wahl näher rückt, bekommt die FPÖ wieder mehr Aufmerksamkeit.
Die andere Seite aber ist, dass die Gewöhnung an das, was die FPÖ ausmacht und darstellt, schon sehr weit fortgeschritten ist. Andreas Mölzer hat schon in den 1990er-Jahren von einer „Umvolkung“ gesprochen. Heute heißt das bei der FPÖ „Der große Austausch“.
Aber die Verschwörungserzählung vom „großen Austausch” hat doch die rechtsextreme Identitäre Bewegung ins Spiel gebracht ...
Ja, aber beide Begriffe verweisen auf ihre vermeintlichen Urheber. Bei den Identitären ist das etwas breiter angelegt, nicht mehr so deutlich in Richtung Juden und Jüdinnen, obwohl man sie damit meint. Bei der FPÖ hat eine Übernahme des ganzen völkischen Vokabulars stattgefunden, vom „Bevölkerungsaustausch“ über den „Great Reset“, bis hin zum „Tag X”, also den herbeigesehnten Zeitpunkt des Zusammenbruchs der verfassungsmäßigen demokratischen Ordnung. Herbert Kickl, der FPÖ-Chef, ist vorsichtiger und sagt sinngemäß: „Wenn wir kommen, wird abgerechnet.“ Das ist eine vornehme Umschreibung für den „Tag X“. Die Erzählungen werden also immer ähnlicher.
Sie gelten als einer der informiertesten Kenner der Neonazi-Szene Österreichs. Sehen Sie sich mit vielen Drohungen konfrontiert?
Auf Facebook wurde ich früher viel beschimpft. Mit vielen Tricks wurde versucht, mich fertigzumachen. Das hat abgenommen. Ich werte das als Indiz dafür, dass sich die Rechtsextremen aus den offenen sozialen Medien wie Facebook & Co. eher zurückziehen und in Strukturen wechseln, wo sie nicht mehr die Auseinandersetzung suchen, wie auf Telegram.
Die Plattform „Stoppt die Rechten“ macht in Kooperation mit der Initiative Prozessreport Prozessbeobachtung. Es gebe mehr Prozesse wegen NS-Wiederbetätigung, doch die abschreckende Wirkung sei futsch, da tagesaktuelle Medien kaum darüber berichten, sagt Karl Öllinger.
Wie gelangt Ihr Team an all die Informationen?
Sehr viel Internetrecherche. Die Arbeit hat sich etwas erschwert. Früher gab es ein Online-Forum. Dort waren Neonazis und Rechtsextreme in allen Schattierungen auf einem Haufen beieinander. Heute beschäftigen wir uns fast ausschließlich mit sozialen Medien: Facebook, Telegram, Twitter … Unsere größte Neuerung der letzten Jahre ist die Prozessbeobachtung in Kooperation mit der Initiative Prozessreport. Prozesse wegen NS-Wiederbetätigung haben in tagesaktuellen Medien quasi überhaupt keine Öffentlichkeit mehr gefunden. Damit ist die abschreckende Wirkung futsch, weil niemand davon erfährt. Heute wissen wir: Es gibt mehr Prozesse wegen NS-Wiederbetätigung, mehr beobachtete Prozesse und tendenziell auch mehr Freisprüche. So bekommt man jedenfalls auch Einblick, was in der Szene läuft.
Wo ist der Rechtsextremismus in Österreich denn am gefährlichsten?
Vor zehn, fünfzehn Jahren hätte ich folgende Bereiche gesagt: Der Fußballplatz, die Musik und das Internet. Dort waren die Rechten sehr aktiv. Heute muss man dem Internet die sogenannten „alternativen Medien” hinzufügen. Die systematische Medienarbeit, die gerade in Österreich stattfindet, ist wirklich ein sehr bedrohliches Phänomen. Das ist ein breites Spektrum mittlerweile von rechten und rechts-offenen – also Medien, die nicht rechtsextrem sind, aber entsprechenden Positionen Raum geben – bis hin zu offen rechtsextremen Medien. Da war die FPÖ weit vor den anderen Parteien aktiv. In diesen Bereich fließt viel Geld. Das hat in den letzten Jahren dazu beigetragen, dass immer mehr Leute völlig abdrehen und in einer Parallelwelt leben.
Stichwort gefährlich: Ihre Initiative „Stoppt die Rechten“ führt eine Statistik zu Waffenfunden seit 2019 im rechten bzw. rechtsextremen Milieu in Österreich. Aktuell zählen wir 38 Fälle. Wie ist das einzuordnen?
Das ist eine erstaunliche Menge. Die starke Zunahme von Waffenfunden ist wirklich erschreckend. Vor allem, weil da einige Waffenfunde dabei sind, wo es um Sprengmittel oder sogar funktionsfähige Kriegswaffen geht, von Handgranaten bis zur Panzerabwehr. Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass Leute mit solchen Gerätschaften bei sich zu Hause durchdrehen und andere attackieren oder gar töten. Das ist sehr beunruhigend. Außerdem kann man davon ausgehen, dass nur ein Bruchteil der Waffen tatsächlich gefunden wird, durch Hausdurchsuchungen oder Zufallsfunde. „Stoppt die Rechten“ hat versucht, das zu dokumentieren. In dem Bereich fehlt es an der notwendigen Sensibilität auf allen Ebenen: Bei uns sind die Waffengesetze zu lax, sowohl was den Kauf als auch den Besitz angeht. An der Uni Heidelberg gab es 2022 einen Amoklauf. Der Täter hat die Waffen in Österreich gekauft, weil es hier so einfach geht.
Dazu kommt, dass die Strafen im Bereich von Kavaliersdelikten sind. Und dann noch die Benennung dieser Menschen in den Medien als „Waffennarren”. Das klingt, als wären das lustige Burschen, die sich da ein bisschen verrannt haben. Das sind aber Leute, die unzählige Waffen horten, natürlich nicht nur um sie zu bestaunen. Wir stellen auch eindeutige Bezüge zur rechtsextremen Szene fest, oder Menschen, die ganz gezielt vorhaben, mit ihren Waffen Anschläge auszuführen.
Sind Sie mit der Polizei-Arbeit in dem Bereich zufrieden?
Natürlich erwarte ich mir mehr von der Polizei. Fallweise finden irgendwelche Show-Auftritte im Bereich Rechtsextremismus statt, aber es fehlt die systematische Auseinandersetzung mit der extremen Rechten. Das fällt der Polizei auch deshalb schwer, weil sie mit Rechtsextremismus innerhalb der eigenen Reihen zu kämpfen hat.
Wenn die FPÖ-Personalvertretung innerhalb der Polizei die Verpflegung der Beamt:innen bei Demonstrationen besorgt, finde ich das unerträglich. Das ist die Aufgabe des Dienstgebers und nicht der freiheitlichen Fraktion! Das führt natürlich zu einer nicht geringen Anhängerschaft unter Polizeibeamt:innen. Und das setzt sich fort bis hin zu Einheiten, die eigentlich den Rechtsextremismus beobachten sollen.
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„Ein dringender Appell an die Parteien,
nicht die Themen der Rechtsextremen zu imitieren“
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Was wäre bei der Polizei zu tun?
In Deutschland gibt es Grüne und Linke, die in der Polizei verankert sind und dort auch als solche wahrgenommen werden. In Österreich gibt es so etwas nicht. Zumindest früher gab es in Deutschland Grüne, die versucht haben, ein Programm für die Polizei zu entwickeln. Das war zwar nicht mehrheitsfähig, aber es ist ein Versuch, mit der Polizei in Dialog zu treten. Man wird auch in einem besseren, demokratischen System eine demokratisch strukturierte und sensibilisierte Polizei brauchen – lieber als irgendwelche Dumpfbacken.
Was, denken Sie, muss gesamtgesellschaftlich getan werden, um die Rechte bzw. Rechtsextremismus zurückzudrängen?
Das ist die Elferfrage! Ich versuch’s: Da wäre einmal der dringende Appell an die Parteien, nicht die Themen der Rechtsextremen zu imitieren. Dann bräuchten wir so etwas wie eine demokratische Brandmauer gegenüber Rechtsextremismus – hat leider in Österreich bisher nur in sehr seltenen Momenten funktioniert. Und schließlich eine Politik mit Leidenschaft, die auf die Menschen zugeht, sie ernstnimmt, Ängste auflöst und nicht schürt.
Christof Mackinger ist freier Journalist. Er recherchiert zur extremen Rechten, zur Klimakrise, zu sozialen Themen und vielem mehr.
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