Expert*innen zu humanitärer Aufnahme - Rawad Zyadeh, M.A.
„Humanitäre Aufnahmemodelle sollten quantitativ und qualitativ untersucht und ausgebaut werden.“ - Der Jurist Rawad Zyadeh kam selbst über Resettlement nach Deutschland und arbeitet jetzt beim Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge in Schleswig-Holstein:
„Ziel meiner Forschungsarbeit war es, den Erfolg von Resettlement-Programmen und anderer Arten von Flüchtlingsaufnahme aus Sicht von Betroffenen zu untersuchen. Dabei motivierte mich die Tatsache, dass ich selbst 2014 aus Syrien über ein humanitäres Aufnahmeprogramm nach Deutschland eingereist bin. Ich habe im Rahmen der Studie Interviews mit 20 syrischen Resettlement-Flüchtlingen in ganz Deutschland geführt und diese qualitativ ausgewertet. Die interpretierten Ergebnisse wurden dann mit den zentralen Ergebnissen der qualitativen Studie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zum Thema Resettlement in Deutschland verglichen.
Gelungene Bausteine der Flüchtlingspolitik
Da sich die meisten Flüchtlinge in Erstaufnahmeländern in weniger entwickelten Regionen der Welt befinden und Resettlement dazu beitragen kann, diese Länder zu entlasten, gehört es neben der finanziellen Unterstützung der Erstaufnahmestaaten zwingend zu den notwendigen Bausteinen einer gelungenen Flüchtlingspolitik. Resettlement und andere Aufnahmemodelle sollten quantitativ und qualitativ untersucht und ausgebaut werden, um so den Ansprüchen des nachhaltigen Flüchtlingsschutzes und der Verantwortungsteilung zwischen Staaten gerecht zu werden.
Falsche Erwartungen vermeiden
Meine Forschungsergebnisse zeigen, dass Resettlement-Flüchtlinge mit großen Erwartungen u.a. während der Ankunftsphase einreisen. Umfangreiche Orientierungskurse zu Beginn können helfen, Erwartungen und Realität zusammenzuführen. Darüber hinaus können Resettlement-Flüchtlinge, die bereits seit Jahren im Ankunftsland leben, als Mentor*innen eine entscheidende Rolle spielen. Werden sie mit den Menschen bereits vor ihrer Ankunft in Kontakt gebracht, bekommen diese Informationen aus erster Hand über das Leben in Deutschland und das bestenfalls in ihrer Muttersprache. Die Beschäftigung mit der Frage der Anerkennung von ausländischen Qualifikationen – auch vor der Einreise – hat beispielsweise eine wesentliche Bedeutung im Umgang mit Erwartungen hinsichtlich des Arbeitsmarktzugangs. Eine frühzeitige Aufklärung kann den Resettlement-Flüchtlingen und den Behörden Zeit und Aufwand sparen.
Blick stärker auf Integration richten
Aufgrund der relativ kleinen Kontingente und der hohen Aufmerksamkeit auf die große Zahl von Asylantragstellenden war Resettlement in Deutschland vielen bisher unbekannt. Mit der Erhöhung der Aufnahmequoten sollte sich der Blick nicht nur auf den Aufnahmeprozess, sondern auch stärker auf die nachhaltige Integration der Resettlement-Flüchtlinge richten. Insbesondere kommunale und lokale Integrationsakteur*innen sollten mehr Informationen über humanitäre Aufnahmeprogramme erhalten. Nachhaltige Integrationsperspektiven, unabhängig von Art und Dauer der Aufnahme, kommen sowohl Flüchtlingen als auch der Aufnahmegesellschaft zugute.
Betroffene miteinbeziehen
Der Erfolg von Resettlement und alternativen Aufnahmemodellen hängt letztlich auch davon ab, wie die Betroffenen selbst sie erleben: z. B. ob Programme zugänglich, transparent und fair sind, bzw. ob sie so wahrgenommen werden, ob persönliche Präferenzen und familiäre oder andere Verbindungen in einen Aufnahmestaat beachtet werden und Aussicht auf eine langfristige Lebensperspektive besteht. All dies beeinflusst, wie die Programme angenommen werden – oder ob Flüchtlinge die Dinge selbst in die Hand nehmen und z. B. auf irregulären Wegen einen Ausweg suchen oder von einem Aufnahmeland in ein anderes weiterziehen. Staaten und UNHCR sollten stärker als bisher die individuellen Präferenzen und Bedürfnisse berücksichtigen, nicht zuletzt, um die Chancen für eine nachhaltige Integration im Aufnahmeland zu erhöhen. Resettlement- und andere humanitäre Aufnahmeverfahren aus Sicht der Betroffenen zu betrachten und diese vermehrt in die Ausgestaltung miteinzubeziehen, ist unerlässlich.“
Ein Porträt von Rawad Zyadeh findet sich hier.
SOS Mitmensch hat gemeinsam mit Expert*innen und Betroffenen eine große Kampagne für die Wiederaufnahme von humanitären Aufnahmeprogrammen für besonders schutzbedürftige Menschen gestartet. Wir wollen die humanitäre Tradition Österreichs wiederbeleben und Menschenleben retten!
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