Rechte Politik und ihre Follower
Gerüchte und gestreute Falschmeldungen sind taugliche Mittel rechter Politik. Selten war sie damit so erfolgreich wie in sozialen Medien. Warum eigentlich? Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Zoran Sergievski
Plötzlich war Eltaf H. einer der meist gehassten Menschen im Land. Irgendjemand hatte ihn auf einem Foto auf die Facebook-Seite einer anderen Person verlinkt. Während der mittelgroße Lehrling Eltaf H. schlank und gepflegt wirkt, war auf dem verlinkten Facebook-Profil jedoch ein dicker Hüne mit Rauschebart zu sehen. Trotz der offensichtlichen Verwechslung entflammte der virtuelle Scheiterhaufen. Den Inquisitor gab der freiheitliche Klubobmann Johann Gudenus, er bezeichnete Eltaf H. in Presseaussendungen und auf Facebook als „Fan einer Terrororganisation“ und verwies dabei auf das Foto mit dem besagten Link zu einer anderen Person. Es ist eines von vielen Fotos der Initiative „Ausbildung statt Abschiebung“, die Eltaf mit Oberösterreichs Landesrat Rudi Anschober und Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeigen.
Im Kampagnen-Video der Initiative lobt Eltafs Chef, der eine Supermarkt-Filiale in Neumarkt im Hausruck leitet, den Halbwaisen aus Afghanistan als fleißig und gesellig. Der Junge käme zu jeder Firmenfeier. Dieser Bursche sollte ein Terrorfan sein? Der Boulevard blies zum Marsch gegen den „Vorzeigeflüchtling“. Gudenus zeigte ihn an. Als schließlich bewiesen war, dass es sich um eine Verwechslung handelte, wies der blaue Politiker jede Verantwortung zurück. Wieso sollte er sich bei Eltaf H. entschuldigen? Anschober sei für seine Facebook-Seite selbst verantwortlich, und damit für den Link zu der falschen Person. Später stellte die Staatsanwaltschaft auch das Ermittlungsverfahren gegen diese andere Person ein, denn auch im Facebook-Account dieser Person seien keinerlei Hinweise auf terroristische Vereinigungen gefunden worden, so die Staatsanwaltschaft.
Bewährtes Rezept
Die Geschichte enthält alle Zutaten aus der rechtsextremen Hexenküche: „Stichhaltige“ Gerüchte, eine Falschmeldung und schließlich Strohmann-Argumente, mit denen die Schuld einfach auf den Gegner abgewälzt wird. Ein Rezept, das die Linguistin Ruth Wodak auch bei der aktuellen Bundesregierung ausmacht. Die ÖVP habe durch die Übernahme des FPÖ-Stils im Wahlkampf den Rechtsextremismus in die „Mitte“ der Gesellschaft geholt, urteilt sie im Aufsatz „Schamlose Normalisierung“.
Daran erinnert auch der Fall des Lehrlings Eltaf H. Ein geflüchteter Jugendlicher, der als Lehrling in Österreich arbeitet, löst bei einigen Menschen symbolische und existenzielle Ängste aus. Emotionen, die rechtspopulistische Politiker geschickt zu übersetzen wissen: Es geht wiedermal um Muslime, die das Schnitzel verbieten und Mädchen verhüllen wollen. Und es geht um Fremde, die österreichischen Jugendlichen die Stelle wegnehmen. Beide Erzählungen funktionieren, wobei laut Studien rechte Politiker die symbolisch-kulturelle Ebene bevorzugen, weil diese sich als wirksamer erwiesen hat. Die Politologin und Autorin Natascha Strobl sieht darin einen einfachen Grund: „Die extreme Rechte hat auf ökonomischer Ebene nichts Neues anzubieten außer denselben ungezügelten Neoliberalismus oder einen biederen Protektionismus. Das unterscheidet sie von der Linken gravierend. Deswegen verlegt sie die Kämpfe auf die kulturelle Ebene.“
Der Kommunikationswissenschaftler Jakob-Moritz Eberl von der Universität Wien verweist darauf, dass gerade die FPÖ mit ihren Postings zu Migration „eine Lawine an Wut-Emojis“ erzeugt. Es sei erwiesen, dass wütende BürgerInnen aufmerksamer und eher mobilisierbar sind. Das wüssten die Freiheitlichen zu nützen. Für Natascha Strobl ist es am wichtigsten, nicht auf solche Inszenierungen hereinzufallen. Das bedeute vor allem, „ihre Bilder nicht ungebrochen weiter zu verbreiten, denn das ist genau das Kalkül. Bilder wirken stärker als Worte. Selbst wenn warnende Worte bei einem Bild stehen, bleibt am Ende der Eindruck des Bildes selbst über.“ Solche Bilder nicht zu verschicken sei eine leichte, aber effektive Maßnahme, um die Botschaft nicht unbeabsichtigt zu verstärken. So wie das erst jüngst wieder passiert ist: Als die Freiheitlichen Arbeitnehmer auf Facebook die Kürzung der Familienbeihilfe für Kinder im Ausland feierten, illustrierten sie das mit der Fotomontage einer Muslima. Das Bild wurde zwar scharf kritisiert aber auch zu diesem Zweck vielfach geteilt.
Neue Parteimedien
Daher sei es zu kurzsichtig, die Kritik auf soziale Medien zu beschränken, mahnt Strobl: „Was wir gerade sehen, ist ein tiefgehendes Aufbrechen gesellschaftlicher Gewissheiten. Das passiert nicht wegen Facebook oder Twitter, sondern wird eben auch von etablierten Medien befeuert.“ Dort sei ein deutlicher Rechtsdrall sichtbar, meint die Forscherin: „Manche Stimmen kommen einfach gar nicht vor, etwa die von Armutsbetroffenen.“
Jakob-Moritz Eberl fordert die Einhaltung der Gemeinschaftsstandards der Online-Plattformen ein. Doch selbst wenn weder die noch Gesetze gebrochen werden, kann ein Hassklima entstehen. Dabei unterstütze gerade der Boulevard PolitikerInnen und Parteien dabei. Die extreme Rechte hat laut Strobl „daraus schon früh, um 2000, ihre Schlüsse gezogen und eine eigene Medienparallelwelt geschaffen.“
FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache und Klubchef Johann Gudenus setzen insbesondere auf Facebook (siehe Tabelle):
Die FPÖ gehörte zu den „early-adopters, den Allerersten und Effektivsten“, die auf solche Strategien gesetzt haben, sagt Eberl. Damit sind vor allem Straches Facebook-Account und die YouTube-Auftritte der FPÖ gemeint. Das Erfolgsrezept für Straches starke Social-Media-Präsenz sei eine durch-und-durch personalisierte Kommunikationspolitik. „Was sich bei anderen Parteien auf Einzel-Accounts verschiedener Akteure verteilt und daher nicht so leicht managen lässt, wird bei der FPÖ über die Facebook-Seite des Parteichefs organisiert. Zusätzlich bietet sich die Politik der kurzen und vereinfachenden Antworten besonders für Facebook an“, sieht Eberl ein Zusammenspiel von Online-Medium und simpler Botschaft. Während die Freiheitlichen gerne gegen den „Staatsfunk“ und die „ORF-Zwangsgebühren“ wettern, haben sie sich vor bereits sechs Jahren auf YouTube einen eigenen Kanal eingerichtet. FPÖ-TV berichtet über politische Ereignisse streng aus blauer Perspektive und versucht so, an junge User anzudocken. Auch TV-Diskussionen, etwa aus dem ORF, sind hier zu sehen. Allerdings werden sämtliche MitdiskutantInnen herausgeschnitten, was bleibt, ist eine One-Man-Show statt des Wettstreits der Argumente. Das machte auch bei den Nachbarn in Deutschland Eindruck. „Vor allem die AfD schielt in den letzten Jahren deutlich nach Österreich. Mit AfD Kompakt TV wurde das FPÖ-TV bereits kopiert“, erklärt der Experte. Auch die Expertise holte man sich aus Österreich, bei AfD Kompakt TV gibt ein Burschenschafter und Ex-Mitarbeiter von „unzensuriert.at“ den Ton an, wie der „Falter“ enthüllte.
Medien wie diese als Parteimedien einzusetzen ist neu. Dabei steht weniger der Dialog als das Verlautbarungsorgan im Vordergrund. Kommentare, die andere Meinungen vertreten, verschwinden systematisch, stellte der „Der Standard“ 2017 fest. Und wenn die Postings doch auf die Seite durchgestellt werden, sind sie als konträre Meinung in diesem Umfeld nicht unbedingt wirksam. Allerdings ist das Konzept der Filterblase, also einer für den Nutzer eingeschränkten Welt, umstritten. Jakob-Moritz Eberl verweist auf Studien, die zeigen, dass junge Menschen auf sozialen Medien eher auf gegenteilige Meinungen treffen als sie das bei der täglichen Morgenlektüre ihrer zwei bevorzugten Tageszeitungen tun würden. Ganz grundsätzlich plädiert Eberl für verstärkte Medienbildung für die Generation der Baby-Boomer. Sie wären eher anfällig für Fake News und Hassbotschaften und teilen diese öfters.
„Orte gelebter Solidarität“
Dass Menschen sich unter Gleichgesinnten bewegen, sei jedenfalls nicht unnatürlich. Es liege „ja grundsätzlich im Kern unseres Sozialverhaltens“, ergänzt Eberl. Das habe es auch früher, im Zeitalter analoger Medien gegeben: „Wir nehmen viel eher neue Informationen auf, wenn sich diese mit unseren vorhandenen Einstellungen decken. Soziale Medien machen diesen Vorgang nur viel einfacher, quasi mit einem Mausklick.“
Natürlich haben Internet-Foren auch positive Seiten. Für Eberl erlauben sie eine stärkere Einbindung der BürgerInnen in politische Prozesse. Natascha Strobl erinnert daran, „dass soziale Medien auch Orte gelebter Solidarität und Demokratie sein können.“ Das erfuhr sie persönlich, nachdem jemand auf ihr Küchenfenster schoss und sie das Foto des Lochs teilte. Ihre Facebook-Freunde sprachen ihr Mut zu. Strobl, Ko-Autorin von „Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa” über die Identitäre Bewegung, engagiert sich zwar weiterhin, wurde bei ihren Aktivitäten allerdings vorsichtiger: „Das ist nicht schön und genau das Ziel dieser Anfeindungen gegen einzelne Menschen.“ Verständlich also, dass auch der Lehrling Eltaf H. nach dem Trubel und den Anwürfen von Gudenus nicht mehr mit den Medien reden möchte. Auch nicht für diese Geschichte, heißt es in Rudi Anschobers Pressebüro. Johann Gudenus hat sich, soweit bekannt, bei Eltaf H. nicht entschuldigt. Auch auf seiner Facebook-Seite erfolgten weder ein Widerruf noch eine Entschuldigung. Eine Anfrage für diesen Beitrag blieb unbeantwortet. Im September hatte die FPÖ Oberösterreich und danach der Parlamentsklub die Behauptungen gegen den jungen Afghanen widerrufen und die „Unannehmlichkeiten“ bedauert. Rudi Anschober ist das zu wenig, er bereitet Klagen wegen des Verdachts der üblen Nachrede und Verleumdung und des damit einhergehenden „Rufmordes an einem Lehrling“ vor. Interessant wird in diesem Zusammenhang auch der angekündigte Regierungsgipfel gegen Hass im Netz. Was ist von dieser Initiative zu erwarten? So viel „wie von einem Wolf, der Schafe hüten soll: nichts. Die Hetzer sitzen in dieser Regierung“, sagt Natascha Strobl.
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