Vernetzte Hass-Kultur
Sexismus ist kein Online-Phänomen. Dennoch wuchert im Netz der Frauenhass ganz besonders. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Brigitte Theißl
Wer den Namen Anita Sarkeesian in eine Suchmaschine eintippt, stößt ziemlich schnell auf widerliche Dinge. Hasserfüllte Videos gekränkter Maskulinisten, rassistische Fotomontagen, sexistische Kommentare. Vor rund sechs Jahren hat die amerikanisch-kanadische Kommunikationswissenschafterin und Videobloggerin all das in geballter Form erlebt. Sarkeesian plante eine Video-Serie zu sexistischen Stereotypen in Videospielen und sammelte dafür Geld auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter. Eine Frau, die die Männerdomäne „Gaming“ feministisch analysiert, war offenbar schon Provokation genug. Allein die Ankündigung des Projekts sorgte für einen wochenlangen Shitstorm, ihr Youtube-Kanal wurde als „terroristisch“ gemeldet, ihr Wikipedia-Eintrag verunstaltet, in einem Spiel mit dem Titel „Beat Up Anita Sarkeesian“ konnte auf ihr Gesicht eingeschlagen werden, das sich dabei zusehends blau verfärbte.
Anonymität enthemmt
Anita Sarkeesians Geschichte ist kein Einzelfall. Hasskommentare und Drohungen können prinzipiell jede und jeden treffen, der sich im Internet bewegt. Und doch haben sie System. Denn die strukturelle Diskriminierung der Offline-Welt ist auch im Netz wirkmächtig: Sexismus oder auch Rassismus, Homofeindlichkeit und Klassismus (aufgrund sozialer Herkunft) treffen Menschen in sozialen Netzwerken ebenso wie in der U-Bahn oder auf dem Schulhof. Sexismus im Netz lässt sich auch mit Zahlen untermauern. So zeigt eine US-amerikanische Studie aus dem Jahr 2017, dass junge Frauen im Netz doppelt so häufig mit sexueller Belästigung konfrontiert sind wie gleichaltrige Männer. Beim britischen „Guardian“ wertete man 70 Millionen LeserInnen-Kommentare nach bestimmten Kriterien quantitativ aus. Ein Ergebnis: Unter den zehn JournalistInnen, die die meisten Hasskommentare erhielten, befanden sich acht Frauen. Die beiden betroffenen Männer waren schwarz.
Dass Menschen Frauenfeindlichkeit und Sexismus – ebenso wie andere Formen der Diskriminierung – oft so ungehemmt im Netz ausleben, könnte nicht zuletzt mit der Anonymität der NutzerInnen zu tun haben. WissenschafterInnen sprechen von einem „Online-Enthemmungseffekt“: Wer im Internet mit einer anderen Person kommuniziert, kann ihr nicht in die Augen sehen, keine Gestik und Mimik wahrnehmen und entwickelt somit weniger Empathie. Die Hemmschwelle, anderen gehässig zu begegnen und sie zu beleidigen, sinkt. Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, bekommen das besonders heftig zu spüren: kaum ein Fernsehauftritt einer Politikerin oder Journalistin, der nicht von untergriffigen Kommentaren begleitet wird. Der Hass, ein Hintergrundrauschen des Alltags. Immer mehr Betroffene machen das auch öffentlich. So wandte sich Umweltministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) im Oktober an jene Hass-Poster, die ihre Figur nach der Geburt ihres Kindes kommentierten, sie beschimpften und abwertend über ihre Schwangerschaft sprachen.
Hass-Kampagnen
Angriffe gegen Frauen, insbesondere feministische Aktivistinnen, passieren im Netz aber auch konzertiert. Was 2014 mit einem verleumderischen Posting des Expartners der Spieleentwicklerin Zoë Quinn begann, mündete in eine monatelange Hasskampagne gegen Quinn und zahlreiche Kolleginnen, die als „Gamergate“ bekannt wurde. User im Umfeld rechter Gruppierungen verabredeten sich gezielt in Foren und entwickelten dort Ideen für weitere Aktionen. Eine Plattform, die dabei eine wesentliche Rolle spielte, nennt sich „4chan“. Das 2003 gegründeten Imageboard, das durch Anonymität und lasche Kontrolle geprägt ist, entwickelte sich im Laufe der Jahre zu einer regelrechten Brutstätte menschenfeindlicher Diskurse. Auf 4chan und ähnlichen Seiten, wo sich Gleichgesinnte in relativ geschlossenen Gruppen treffen, kommt ein gefährlicher Verstärker-Effekt zum Tragen: Nutzer werden in ihrer Weltsicht bestätigt – und vielleicht sogar von anderen zu Hass und Hetze ermutigt. Das Resultat ist oftmals ein „Silencing“ von Betroffenen: Insbesondere Frauen, die auf Facebook oder Twitter mit frauenfeindlichen Kommentaren und Drohungen konfrontiert sind, schränken die Sichtbarkeit ihres Profils ein oder ziehen sich ganz aus den Netzwerken zurück. Das ist gerade deshalb so problematisch, da das Internet einen immer höheren Stellenwert in unserer alltäglichen Kommunikation einnimmt. Auf sozialen Netzwerken werden nicht nur alte Freundschaften gepflegt und Katzenfotos gepostet, sondern auch politische Debatten geführt. #MeToo machte zuletzt eindrucksvoll deutlich, welche Schlagkraft feministischer Aktivismus im Netz entwickeln kann: Tausende Frauen weltweit teilten ihre Erfahrungen mit Sexismus, Belästigung und sexualisierter Gewalt und inspirierten so unzählige Initiativen.
Hilfestellung
Gewalt, die sich im Netz gegen Frauen richtet, beschäftigt mittlerweile auch die Politik. Immer wieder machen Fälle deutlich, dass Gesetze Betroffene von Online-Attacken nur unzureichend schützen. Für internationales Aufsehen sorgte zuletzt der Fall Sigi Maurer: Die ehemalige Politikerin der Grünen wurde wegen übler Nachrede verurteilt, nachdem sie die sexuell belästigenden Nachrichten eines Mannes via Facebook veröffentlich hatte.
Sich gegen GewalttäterInnen im Netz zu wehren, kostet somit nicht nur Überwindung, sondern birgt für Betroffene auch juristische Fallstricke. Wer online mit Drohungen, Belästigung oder Mobbing konfrontiert ist oder Betroffene in seinem Umfeld unterstützen möchte, sollte unbedingt Hilfe bei einer Beratungsstelle suchen. In Österreich betreibt der Verein ZARA – Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit die Beratungsstelle #GegenHassImNetz. Juristische und psychosozial geschulte MitarbeiterInnen informieren dort über rechtliche Grundlagen und mögliche Handlungsoptionen. Hasspostings werden darüber hinaus auch bei den jeweiligen IT-Unternehmen wie Facebook oder YouTube gemeldet, um eine Löschung zu erwirken. Gerade von diesen Unternehmen wird man oft allein gelassen. Noch immer agieren die CEOs der Silicon-Valley-Riesen äußerst zurückhaltend, wenn es darum geht, Verantwortung dafür zu übernahmen, was in Facebook-Gruppen oder auf Youtube-Channels passiert: Hass, Hetze und Manipulation in erschreckendem Ausmaß rufen längst nach juristischen und auch technischen Lösungen. Die Videobloggerin Anita Sarkeesian ist nach wie vor – erfolgreich – im Netz aktiv. Viel zu viele Frauen haben indes ihren Account gelöscht.
ZUR AUTORIN:
Brigitte Theißl ist Redakteurin beim feministischen Magazin „an.schläge“, Freie bei der Tageszeitung „dieStandard“, Bloggerin und Social-Media-Nutzerin der ersten Stunde. Beleidigungen und Drohungen gehören für sie als „Netzfeministin“ zum Alltag.
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