
Verschleierungsfaktor Migrationshintergrund
Verschiedene Medien haben das Infektionsgeschehen nach Herkunft recherchiert. Was soll das bringen? Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Alexander Pollak
Es war keine Sternstunde der ORF-Sendung „Report“: Ende April versuchte ein Redaktions-team mittels Namenslisten von Patientinnen und Patienten den Beweis zu erbringen, dass überdurchschnittlich viele „Menschen mit Migrationshintergrund“ auf Corona-Intensivstationen liegen würden. Eine seriöse Reportage-Sendung, die Menschen aufgrund ihrer Namen kategorisiert? Wie kam es dazu?
Kanzler machte den Anfang
Der Druck zur Corona-bezogenen Kategorisierung von Menschen anhand ihres „Migrationshintergrunds“ baute sich schon im vergangenen Jahr auf. Den Anfang machte der Bundeskanzler, als er angesichts steigender Infektionszahlen „insbesondere“ Menschen, die „den Sommer in ihren Herkunftsländern verbracht haben“ für die „Hereinschleppung“ des Virus verantwortlich machte, so der O-Ton. Kurz darauf meinte der Wiener Neustädter ÖVP-Bürgermeister Klaus Schneeberger, der „riesengroße Migrationsanteil“ in seiner Stadt sei für die geringe Beteiligung am Corona-Massentest verantwortlich. Die FPÖ zog heuer nach, indem sie behauptete, Intensivbetten seien „zu mehr als der Hälfte von Migranten belegt“, außerdem würden sich „Migranten an keinerlei Sicherheitsmaßnahmen halten“.
Daraufhin tauchten in immer mehr Medien Faktenchecks zu „Migranten auf Intensivstationen“ auf. Die Rechtfertigung für die Medienchecks war dann, dass es ja bloß darum gehe, Probleme aufzuzeigen und den Betroffenen zu helfen. Auch das Team des ORF-Reports wollte mittels der Namenslisten lediglich eine sozioökonomische Schieflage thematisieren, so die Erklärung. Man hätte eben keine anderen Datensätze als die Namen von Patient*innen parat gehabt.
Kategorie „Migrant“
Doch Kategorien wie „Migrant“ oder „Mensch mit Migrationshintergrund“ oder „Mensch mit Name, der nach Mensch mit Migrationshintergrund klingt“ sind denkbar ungeeignet, um konkrete Probleme zu identifizieren oder gar zu lösen. Mit derart diffusen Einteilungen, die ein breites Spektrum an unterschiedlichsten Menschen erfassen sollen, lässt sich nahezu nichts erklären.
Schlimmer noch: Solche Gruppenkategorien verschleiern die tatsächlich relevanten konkreten Infektions-Faktoren, etwa die Beschäftigungs- und Wohnsituation von Menschen, ihren Bildungsstand, ihre Sprachkenntnisse oder ihr Vertrauen bzw. Misstrauen in Institutionen.
Weit verbreiteter Vorurteilsdiskurs
Warum aber sind dann diffuse Gruppenkategorien wie etwa „Migrant“ so attraktiv für Politik und Medien? Weil sie erstens in einem weit verbreiteten Vorurteilsdiskurs eingebettet sind und weil sie zweitens zu den wenigen Kategorien gehören, die von Behörden zumindest teilweise erhoben werden.
Wer jedoch wirklich Probleme lösen und Menschen helfen will, sollte nicht mit Vernebelung arbeiten, sondern sich die konkrete Lebenssituation und deren Auswirkungen anschauen. Das würde Spaltung verhindern und im Kampf gegen eine Pandemie tatsächlich helfen.
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