Was können wir tun?
Krisenzeiten schaffen Unsicherheit und drängen gesellschaftliche Probleme verstärkt an die Oberfläche. Doch was können wir tun, um nicht in Angst zu verharren und um Negativspiralen zu durchbrechen? Das MO-Magazin bat Expert:innen um ihre Empfehlungen.
Zusammenstellung: Milena Österreicher.
Ein Beitrag im neuen MO - Magazin für Menschenrechte.
Jetzt mit einem MO-Solidaritäts-Abo unterstützen!
… bei Angst wegen der Klimakrise, Frau Amberg?
„Angst oder Besorgnis wegen der Klimakrise kennen immer mehr Menschen. Das kann sich sowohl auf Extremwetter-Ereignisse als auch auf Folgen solcher Ereignisse für Gesundheit, Leben und Gesellschaft beziehen. Angst ist Teil des menschlichen Warnsystems vor Bedrohungen und Gefahren – behandlungsbedürftig ist sie nur, wenn sich Betroffene dadurch in ihrem Alltag stark eingeschränkt fühlen, etwa durch ständiges Grübeln oder Schlafstörungen.
Dennoch kann Angst lähmen. Daher ist es wichtig, bewusst damit umzugehen: Zuerst geht es darum, anzuerkennen, dass diese Angst angesichts der fortschreitenden Klimakrise ein berechtigtes Warnsignal ist. Besonders schwerwiegend wird Angst empfunden, wenn sie mit Gefühlen von Ohnmacht und Hilflosigkeit einhergeht. Hier hilft es, ins Handeln zu kommen.
Da die Reichweite individuellen Handelns in Bezug auf die Klimakrise eher begrenzt ist, empfiehlt sich das Engagement in einer passenden Gruppe, sei es, um regionale Entwicklungen anzustoßen, sei es, um Veränderungen in der Politik zu bewirken. Dies stärkt das Selbstwirksamkeitserleben, was ein wichtiger Schutzfaktor im Umgang mit Angst ist.
Und da es dabei einen langen Atem braucht, sollten von Anfang an Erholung und Pausen ebenso dazugehören wie das Feiern von (kleinen) Erfolgen.“
Martina Amberg ist Diplom-Psychologin, Achtsamkeitstrainerin und Coach in Hannover. Sie ist bei Psychologists / Psychotherapists for Future aktiv.
… gegen Einsamkeit, Frau Gutiérrez-Lobos?
„Einsamkeit fußt entgegen landläufiger Meinung weder auf persönlichem Scheitern noch betrifft sie hauptsächlich ältere Menschen. Neben Folgen für die Gesundheit hat sie auch gesellschaftliche Relevanz. Erste Forschungsergebnisse weisen auf den möglichen Zusammenhang von Einsamkeit mit Politikvertrauen und demokratischer Partizipation hin. Daher: Maßnahmen „in all policies“ unter Einbeziehung der Betroffenen bei der Gestaltung. Sie umfassen Interventionen, die an sozialen Determinanten von Gesundheit und Sozialleben, wie etwa Arbeitslosigkeit, Armut, Zugang zum Gesundheitssystem, Diskriminierung, ansetzen. Es geht um die Förderung von Inklusion, Chancengleichheit und gesellschaftlicher Teilhabe. Darüber hinaus geht es auch um die Schaffung eines öffentlichen Bewusstseins für die Ursachen und Probleme von Einsamkeit und die Beachtung von Brüchen und Übergängen im Lebensverlauf (schulische und betriebliche Maßnahmen). Wichtig ist auch der niederschwellige, kostenfreie Zugang zu qualitätsvollen Begegnungsmöglichkeiten. Und nicht zuletzt darf die Förderung von Forschung, um unser Wissen über Ursachen und geeignete Maßnahmen zur Reduktion von Einsamkeit zu verbessern, nicht vernachlässigt werden.“
Karin Gutiérrez-Lobos ist Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie und Mit-Initiatorin der Plattform gegen Einsamkeit in Österreich.
… gegen Extremismus, Frau Karakuyu?
„Wir verstehen Extremismus als Bündel von Elementen, in deren Zentrum Ungleichheitsvorstellungen, Autoritarismus, Verschwörungserzählungen, dichotome Weltbilder und Gewalt stehen.
Extremismus kann nicht nur an Einzelpersonen festgemacht werden, sondern muss politisch, sozial und global betrachtet werden. Menschen aus allen Schichten und Altersklassen können extremistische Tendenzen zeigen.
Wenn wir gegen Extremismen vorgehen wollen, ist es wesentlich, die Frage zu stellen, wie ein friedliches Zusammenleben in einer pluralen Welt funktionieren kann, so dass alle Teile einer Gesellschaft ihren Raum und ihre Stimme bekommen. Entscheidend ist, dass alle Menschen eine Perspektive für sich sehen.
Dazu braucht es einen wertschätzenden und anerkennenden Zugang hinsichtlich unterschiedlicher Lebenserfahrungen und Lebenswelten. Es liegt an uns allen, dagegen aufzutreten, bestimmte Personengruppen pauschal vorzuverurteilen und auszugrenzen.
Die Menschenrechte, die allen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht, ihrem Glauben, ihrer Nationalität oder ihrem ökonomischen Status und aller anderen Differenzen, die uns Menschen ausmachen, dieselben Rechte garantieren, bieten für diese Prozesse einen klaren Rahmen.“
Eşim Karakuyu ist Sozialpädagogin bei bOJA – Beratungsstelle Extremismus.
… gegen Furcht vor Migration, Herr Džihić?
„Seit den frühen 1990er Jahren wird die Furcht vor Migrant:innen, vor dem „Fremden“, den „anderen“ ganz allgemein, von der FPÖ und den rechten Kreisen in Österreich systematisch genährt. Heute mehr denn je wird daran gearbeitet, die Gesellschaft zu spalten. Politik mit der Angst (wie von der Sprachwissenschaftlerin Ruth Wodak beschrieben) ist längst im Mainstream der österreichischen politischen Landschaft angekommen.
Wie und was kann man dagegen tun? Erstens braucht es Fakten – Migration ist ein Teil der österreichischen Erfolgsgeschichte. Man soll sich Österreich nur einen einzigen Tag ohne seine Migrant:innen aus allen Generationen vorstellen – es würde stillstehen.
Zweitens braucht es statt populistischer Angstmache Investitionen in eine moderne Migrations- und Integrationsgesetzgebung und -praxis, die nicht auf Abwehrhaltung aus ist. Dazu gehört auch ein modernes Staatsbürgerschaftsgesetz. Dort, wo es Probleme und Konflikte gibt, zum Beispiel in manchen Schulen und bei Jugendlichen, soll investiert werden – mehr Personal, zeitgemäße Integrationspolitik, Dialog.
Letztlich ist es entscheidend, dass man gegen das öffentliche Klima der Angstmache ankämpft, nicht schweigt, die menschenverachtenden Pläne der Rechtsextremen an den Pranger stellt, sich generell engagiert. Die letzten großen Demonstrationen unter dem Motto „Demokratie verteidigen“ sind der Wegweiser. Österreich darf keine Insel der Angst werden.“
Vedran Džihić ist Politikwissenschaftler. Er forscht am Österreichischen Institut für Internationale Politik und lehrt an der Universität Wien und der Universität für angewandte Kunst in Wien.
… gegen Gewalt an Frauen, Frau Markanović-Riedl?
„Um Gewalt an Frauen und Kindern zu verhindern, braucht es flächendeckende und langfristige Bewusstseins- und Präventionsarbeit wie es von unserem Projekt „StoP - Stadtteile ohne Partnergewalt“ geleistet wird. Das Projekt ermutigt Menschen, sich aktiv gegen Gewalt an Frauen zu engagieren und zeigt konkrete Handlungsmöglichkeiten auf, was jede:r Einzelne tun kann. Mit StoP appellieren wir an die Zivilgesellschaft, sich aktiv einzusetzen und sich eindeutig und klar gegen Gewalt an Frauen und Kindern zu positionieren. So können Nachbar:innen die Idee der Zivilcourage verwirklichen und Gewalthandlungen unterbrechen, indem sie anläuten und nach etwas Unverfänglichem fragen, z. B. Zucker ausleihen.
Die Politik muss ihrerseits eine langfristige und gesicherte Finanzierung für eine echte Gleichstellungs- und Gewaltschutzpolitik garantieren. Angesichts der immens hohen Folgekosten von Gewalt braucht es eine signifikante und inflationsangepasste Erhöhung der Mittel für Gewaltschutz auf 228 Mio. Euro, unter anderem für eine langfristige, österreichweite Bewusstseinskampagne, damit die Nummer der Frauenhelpline 0800 222 555 jedem und vor allem jeder bekannt ist. Denn wir alle haben das Recht auf ein gewaltfreies Leben.“
Maja Markanović-Riedl ist Co-Geschäftsführung von AÖF - Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser.
… gegen Hass im Netz, Frau Khalil?
„Die voranschreitende Digitalisierung hat unser Leben zweifellos bereichert, bringt jedoch auch Herausforderungen mit sich. Wir stehen vor der Aufgabe, dem Hass im Netz wirksam entgegenzutreten.
Wichtig zu betonen ist, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist. Auch bei Accounts ohne Klarnamen besteht die Möglichkeit, gegen rechtswidrige Inhalte vorzugehen.
Sobald wir Hass im Netz erkennen, ist es wichtig, durch aktives Tun online Zivilcourage zu zeigen. Dabei kann der Fokus sowohl auf der betroffenen Person als auch auf den Täter:innen liegen. Verschiedene Strategien ermöglichen ein aktives Eingreifen gegenüber den Täter:innen und/oder die Unterstützung der Betroffenen durch solidarisches Handeln. Auch das Melden von problematischen Inhalten bei den Plattformen selbst oder Organisationen, die sich auf Hass im Netz spezialisiert haben, kann eine Form von Online-Zivilcourage sein.
Die eigene Weiterbildung und Sensibilisierung, wie Hass im Netz entsteht und wie wir damit umgehen können, spielen eine zentrale Rolle. Workshops und Trainings ermöglichen ein tieferes Verständnis und stärken die Fähigkeit, aktiv dagegen vorzugehen.
Es empfiehlt sich, bei zuständigen Organisationen eine Beratung in Anspruch zu nehmen, um eine juristische Einschätzung zu erhalten und gegen
Hass im Netz vorzugehen.“
Dunia Khalil ist Leiterin der Rechtsberatung der Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit & antimuslimischer Rassismus.
… gegen soziale Ungleichheit, Frau Blaha?
„Beim Vermögen gibt es keinen Mittelstand. Das reichste Prozent Österreichs besitzt die Hälfte des gesamten Vermögens hierzulande. 50 Prozent, also 4,5 Mio. Menschen können sich hingegen um ein paar Brösel raufen, sie haben zusammen (!) nicht einmal vier Prozent des Vermögens.
Dass einige wenige Menschen exzessiv Vermögen anhäufen können, ist kein Naturgesetz. Es ist die Folge politischer Entscheidungen. 80 von 100 Steuereuros kommen aus Arbeit und Konsum, nur lächerliche vier aus dem Vermögen. Arbeit wird im Vergleich zu Reichtum übermäßig besteuert. Leistung lohnt sich in Österreich nicht. Erben schon. Sieben von zehn Leuten in Österreich sind überzeugt: Das Einkommen und das Vermögen in Österreich sind ungerecht verteilt. Ihr Wunsch nach einer Politik, die in Verteilungsfragen wieder für mehr Balance sorgt, ist groß.
Acht von zehn Österreicher:innen – egal ob arm oder reich – finden, dass die Politik die Schere wieder schließen muss. Wer arbeitet, soll weniger beitragen müssen. Und wer erbt oder Gewinne mit seinem Vermögen macht, soll mehr beitragen. Dann wären unsere Steuern im Schnitt für alle niedriger – statt wie jetzt für ein paar wenige viel zu niedrig.“
Barbara Blaha ist Gründerin des Politkongresses Momentum und des Thinktanks Momentum Institut sowie Herausgeberin des dazugehörigen Moment Magazin.
… gegen toxische Männlichkeit, Herr Leeb?
„Wir können Buben so erziehen, dass sie früh lernen, sich mit Gewalt auseinanderzusetzen und sie dadurch verstehen, dass sie Teil einer geschlechtergerechten Welt sein müssen, um Chancen für alle Menschen zu schaffen. Kinder müssen lernen, dass Rechte von Frauen und LGBTIQA+-Personen etwas Selbstverständliches in unserer Welt sind und niemand Angst haben sollte. Wir sollten einen Buben nicht als Mann sehen, sondern als ein Wesen, das in der Welt einen Platz finden muss und wir begleiten ihn dabei.
Männer allen Alters und jeglicher Herkunft sollten sich mit ihrer Männlichkeitsgeschichte auseinandersetzen und herausfinden, was unserer Welt guttut und diese Seiten an ihnen mehr pflegen. Sie sollten Frauen zuhören und ihnen erzählen, was sie bewegt, Freundschaften mit diversen Menschen pflegen und sich Hilfe holen, wenn es ihnen schlecht geht.
Buben brauchen Räume, die es ihnen ermöglichen, nicht Mann sein zu müssen, sondern wo sie darüber nachdenken können, was uns allen guttut. Bildung und Erziehung sind zentrale Orte gegen toxisches Verhalten, an denen wir wirklich etwas bewegen können.“
Philipp Leeb ist Gründer und Obmann von poika - Verein zur Förderung gendersensibler Bubenarbeit in Erziehung und Unterricht.
Unterstützen Sie jetzt unabhängigen Menschenrechtsjournalismus mit einem MO-Magazin-Solidaritäts-Abo