„Wichtig, nicht die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen“
Die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, und somit auch von Autokratien wie Russland, hat für Christoph Dolna-Gruber von der Energieagentur keinen Platz in Österreichs Zukunft. Der Experte im Gespräch über künftige Energiesicherheit.
Interview: Naz Küçüktekin, Fotos: Lukas Ilgner
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Bis 2040 soll Österreich CO₂-neutral werden. Wie es derzeit um dieses Ziel steht und welche Schritte es noch braucht, erklärt Experte Christoph Dolna-Gruber von der Energieagentur im Gespräch mit dem MO-Magazin.
MO-Magazin: Man hört und liest oft von der Energieagentur. Was macht sie genau?
Christoph Dolna-Gruber: Wir sind ein gemeinnütziger Verein, der Institutionen aus Politik, Wirtschaft, Industrie, dem Energiesektor und auch Mobilitätsunternehmen als Mitglieder hat. Wir liefern Grundlagen für die Weiterentwicklung von Zielen, Maßnahmen und Programmen rund um die klimaneutrale Energiezukunft. Beispielsweise, wie viel erneuerbare Stromerzeugung man in Österreich ausbauen muss, um zur Klimaneutralität 2040 zu kommen – und wie unser Energiesystem dann funktioniert.
Ist es realistisch, dass Österreich dieses Ziel erreicht?
In den Maßstäben des Energiesystems ist 2040 schon sehr bald. Jetzt hat sich aber die Perspektive auf das, was realistisch ist, tatsächlich etwas geändert. In der Gaskrise haben wir gesehen, dass sich Deutschland etwa innerhalb von wenigen Monaten komplett unabhängig vom russischen Gas gemacht hat. Das war etwas, was niemand für realistisch erachtet hat. Vor diesem Hintergrund kann man auch die Klimapolitik 2040 sehen. In den letzten Jahren ist sehr viel in Bewegung gekommen. In vielen Bereichen müssen wir noch zulegen.
Krisenzeiten bringen manchmal schnelle Veränderungen, meint der Energieexperte. Deutschland ist etwa während der Gaskrise innerhalb kurzer Zeit unabhängig von russischem Gas geworden.
In welchen denn?
Österreich startet von einem relativ guten Punkt. Wir decken unsere Energieversorgung bereits zu etwa einem Drittel mit erneuerbaren Energien ab. Das heißt im Umkehrschluss aber auch, dass wir noch zwei Drittel unserer Energieversorgung auf fossile Beine gestellt haben, also Öl, Kohle und Gas nutzen. Das Problem neben den CO₂-Emissionen ist bei fossilen Energieträgern, dass wir sie nicht in Österreich erzeugen können. Wir haben bei Kohle eine 100-prozentige Importabhängigkeit. Bei Öl und Gas sind es circa 95 Prozent. Gas kommt nach wie vor hauptsächlich aus Russland. Öl beziehen wir hauptsächlich aus Kasachstan. Beides sind Länder, die nicht durch großes Menschenrechtsverständnis und Demokratie hervorstechen. Und besonders viel Potenzial gibt es noch in der Nutzung erneuerbarer Energieträger.
Wo zum Beispiel?
Bei Windkraft, besonders im Osten Österreichs. Aber auch im Westen gibt es unerschlossene Potenziale. Es gibt die Solarenergie, die Nutzung der Sonne, wo wir in den letzten Jahren schon ein schnelles Wachstum gesehen haben. Geothermie ist die Nutzung von Erdwärme, teils ein paar Kilometer in der Tiefe liegend, und auch ein wichtiger Faktor. Was auch ausbaubar ist, ist ein gemeinsames Verständnis von Politik, Interessenvertretungen und Unternehmen, dass diese inländischen Potenziale genutzt werden müssen. Da und dort vermisse ich dieses Commitment schon.
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„NACHHALTIGE ENERGIE IST WICHTIG FÜR
UMWELT, GESUNDHEIT UND DIE GESELLSCHAFT“
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Wie muss Österreichs klimagerechte Energieversorgung in Zukunft aussehen?
Da gibt es viele Aspekte. Einer davon ist, dass die Versorgung mit Energie sicher sein muss. Ohne Energie kann man nicht kochen oder eine Wohnung warmhalten. Energie ist die Basis für ein funktionierendes Leben. Auch muss die Versorgung nachhaltig sein. Das ist nicht nur aus Umweltgründen wichtig, sondern auch aus gesundheitlichen Gründen. Es sterben Jahr für Jahr Menschen aufgrund von Luftverschmutzung. Noch ein Aspekt ist der gesellschaftliche Beitrag, den Energie leisten muss, beispielsweise durch gute Arbeitsplätze.
Ist es möglich, dass Österreich seinen gesamten Energiebedarf im Land produziert?
Es ist vielleicht theoretisch möglich, aber es ist nicht sinnvoll. Österreich ist ein Binnenland, es hat weite Strecken zur Küste. Das Meer ist ein relevanter Energielieferant, einerseits in Form von Windenergie und andererseits für den internationalen Handel. Den wird es auch in Zukunft geben müssen. Österreich ist Teil der Europäischen Union und besonders was Strom betrifft sehr eng mit den Nachbarländern verbunden. Dieser Austausch ist sehr sinnvoll für Österreich. Wenn in Deutschland beispielsweise sehr viel günstige Windenergie da ist, und Österreich eigene teure Gaskraftwerke anwerfen müsste, um seine Stromversorgung gewährleisten zu können, ist es natürlich gescheiter, den billigeren Windstrom zu importieren. Wichtig ist, dass man nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholt, sich zu sehr auf einzelne Partner zu verlassen, sondern diversifiziert.
Wo stößt man in Österreich noch auf Widerstand in der Energiewende?
Natürlich gibt es Widerstände von jenen, die vielleicht keine oder weniger Perspektiven für sich sehen. Das wird es wohl immer geben. Ich habe schon das politische Commitment erwähnt. Damit einher geht eine Akzeptanz der Bevölkerung. Was wir sehen, ist, dass sich die Unternehmen weitgehend einig sind. Es ist vielerorts keine Frage mehr, ob man die Energiewende umsetzt, sondern eher im Detail das Wie. Und da gibt es sicher viele Diskussionen und sehr viel Druck von der Europäischen Union, die sich sehr ambitionierte Ziele gesetzt hat. Es ist zu hoffen, dass dieser Druck auch nach den Wahlen, die uns bevorstehen, aufrecht bleibt.
Laut Christoph Dolna-Gruber von der Energieagentur ist vielerorts die Frage nicht mehr, ob eine Energiewende notwendig ist, sondern das Wie steht weiterhin zur Debatte.
Wie passt das damit zusammen, dass Österreich seit mehr als zwei Jahren kein Klimaschutzgesetz hat?
Das Klimaschutzgesetz ist sicher wichtig, um genau diese Vorgaben zu konkretisieren. Auch, um die Bundesländer auf ein gemeinsames Verständnis zu stellen. Im konkreten Umbau der Energieversorgung, der Mobilität, ist es wahrscheinlich aber nicht das zentralste Element. Da gibt es andere Materien, die viel wichtigere Akzente setzen können. Beispielsweise eine neue Organisation des Elektrizitätswesens.
Wie motiviert man Menschen, auch privat aktiv zu werden?
Das ist die jetzt klassische Antwort, aber es braucht alles. Der CO₂-Preis ist ein sehr wichtiges Instrument, um mit relativ wenig Aufwand eine große Wirkung zu erreichen. Ordnungspolitik, Gebote, Zielvorgaben, Quoten sind wichtig, um Planungssicherheit zu gewährleisten. Auch ist ein ganz wichtiger Aspekt für Unternehmen in dieser Transformation Investitionssicherheit zu haben. Im Endeffekt ist nichts schlimmer als Vorgaben, die sich alle fünf Jahre ändern. Ein weiterer Aspekt ist auch Bewusstseinsbildung. Diese ist wichtig, um die Leute einzubinden und zu befähigen, selbst Teil dieser Energiewende zu werden, indem sie beispielsweise selbst Strom mit Photovoltaikanlagen erzeugen und untereinander austauschen.
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„DER DISKURS UM DIE ENERGIEWENDE
IST STARK POLARISIERT“
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Gibt es Irrtümer, die sich im Bewusstsein vieler noch halten?
Es ist sicher ein Irrtum, zu glauben, dass wir sämtliche Autos einfach so belassen und mit synthetischen Kraftstoffen betreiben können. Das wird nicht passieren. Ein anderer Irrglaube ist auch, dass Wärmepumpen nur in neuen Gebäuden eingesetzt werden können.
Fehlt allgemein die Vorstellungskraft, dass es auch anders gehen kann?
Ich glaube, es ist tief im Menschen drinnen, sich nur schwer vorstellen zu können, dass es auch anders funktioniert. Hinzu kommt, dass es Kräfte und Stakeholder gibt, die das in Zweifel ziehen, weil es nicht ihrer Ideologie entspricht. Der Diskurs um die Klimakrise und Energiewende ist stark polarisiert. Eine wesentliche Herausforderung der Politik, der Unternehmen, der Forschungseinrichtungen und Organisationen ist es, diese Polarisierung aufzulösen und den Diskurs auf eine konstruktivere Ebene zu bringen.
Naz Küçüktekin war bei der Wiener Bezirkszeitung, dem biber Magazin, bei Profil und zuletzt beim Kurier tätig, wo sie sich im Ressort „Mehr Platz“ vor allem mit migrantischen Lebensrealitäten beschäftigte. Das tut sie nun weiterhin als freie Journalistin.
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