
Wir brauchen Klarheit
Religiöse Symbole wurden großteils aus den Gerichtssälen entfernt. Gesetzlich verankert ist das Neutralitäts- gebot aber nicht. Das fordert Sabine Matejka, Präsidentin der Vereinigung der österreichischen Richter*innen. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Interview: Gunnar Landsgesell
Die Richtervereinigung spricht sich gegen religiöse Symbole im Gerichtssaal aus und fordert vom Justizministerium klare Regeln. Warum?
Wir fordern schon seit Jahren, die Neutralität der Gerichte und der Richter gesetzlich zu verankern und haben schon 2017 entsprechende Vorschläge an den damaligen Justizminister gemacht.
Warum ist diese Trennung so wichtig?
Wir haben bei Gericht mit immer mehr Menschen verschiedenster Herkunft, Sprache und Religion zu tun, die sich zum Teil auch als Parteien unterschiedlicher Herkunft gegenüberstehen. Das Gericht hat als Austragungsort eines Streits deshalb möglichst neutral aufzutreten und sich nicht einer der Parteien nahe stehend zu zeigen. Dazu zählt auch, dass weltanschauliche, politische und religiöse Zeichen hier keinen Platz haben. Das Gericht sollte ein möglichst neutraler Ort sein.
Könnte man argumentieren, dass sich die viel zitierten Werte auch in der Gesetzgebung des Landes ausdrücken und Kreuze dafür symbolisch stehen?
Es ist nicht so, dass die gesamte Gesetzgebung vom christlichen Glauben geprägt ist. Sie steht in manchem sogar im Widerspruch, etwa, wenn ich ein Scheidungsverfahren führe und jemand, der streng katholisch ist, würde eine Scheidung ablehnen. Zudem geht es hier nicht nur um christliche Werte, ein Teil davon wird ja auch in anderen Religionen zum Ausdruck kommen. Die Bevorzugung einer Religion, mag sie gesellschaftlich auch durch eine Mehrheit vertreten sein, kann für uns kein Argument sein. Wir haben auch viele Menschen, die gar keine Religion haben und ebenfalls nicht mit religiösen Symbolen konfrontiert werden wollen. Aus unserer Sicht hat ein Gericht frei von dieser Symbolik zu sein, unsere Grundlage ist das Gesetz – sonst nichts.
Integrationsministerin Raab möchte, dass die Kreuze in Schulen hängen bleiben. Wie ist das in Gerichtssälen?
In den meisten Gerichtssälen hängt schon lange kein Kreuz mehr. Es gibt einige wenige Gerichtssäle, wo zum Beispiel Kreuze angebracht sind, weil sie architektonisch in die Wandgestaltung integriert sind. Aber das ist selten. Für die Schulen gibt es ja, soweit ich weiß, eine Bestimmung, wonach das Kreuz in Klassen mit mehrheitlich christlichen Schülern anzubringen ist.
S. Matejka: Gerichte haben es mit mehr Menschen verschiedenster Herkunft und Religion zu tun.
Gibt es noch den Schwur auf die Bibel oder das Kreuz, wie das in älteren Filmen zu sehen ist?
Es gibt die so genannte Schwurgarnitur für das Ablegen eines Eides. Das ist ein Set, wo in der Mitte ein Kreuz ist und links und rechts eine Kerze, die für die Eidesablegung angezündet wird, allerdings nur für Christen. Früher ist diese Garnitur immer unmittelbar vor dem Richter gestanden. Das haben wir aber auch schon lange entfernt. Erstens, weil diese Schwurgarnituren kaum mehr benützt werden. Und zweitens, weil man sie für andere Religionen gar nicht verwenden dürfte. Grundsätzlich wollen wir während der Verhandlung nicht ständig ein Kreuz vor uns stehen haben.
Gibt es für jede Religion eine Eidesformel?
Ja, es gibt für mehrere Religionen eigene Eidesformeln, aber wir haben im Gesetz keine neutrale Eidesformel. In der Praxis hat man Lösungen gefunden, indem zum Beispiel die Formel angepasst und per Handschlag vereidigt wird. Aber nach dem Gesetz erfolgt die Vereidigung nach wie vor mit einem religiösen Eid. Das heißt, ich muss den Zeugen fragen, ob bzw. welche Religion er hat. Auch das halte ich für problematisch. Dazu gibt es Entscheidungen des EGMR (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Anm.), dass das eine Verletzung der negativen Religionsfreiheit darstellt. Vor Gericht sollte niemand gezwungen sein, zu sagen, welcher Religion er oder sie angehört. Im Strafverfahren hat man die Eidesablegung schon abgeschafft, im Zivilverfahren gibt es sie noch.
Es geht der Richtervereinigung um die Einhaltung des Neutralitätsgebots. Inwiefern sehen Sie diese Neutralität nicht eingelöst?
Neben der religiösen Eidesablegung geht es um die äußere Erscheinungsform des Gerichts und natürlich um die Person der Richterin oder des Richters. Wir haben den Talar, der den Zweck hat, die Person des Richters mit ihren privaten Einstellungen in den Hintergrund treten zu lassen. Der Talar verdeckt die gesamte Kleidung und zeigt so nur die Funktion des Richters. Kleidungsteile oder Schmuckstücke, die eine religiöse, politische oder weltanschauliche Symbolik haben, sind aus unserer Sicht nicht legitim. Was wir aber ganz klar ablehnen, ist ein Kopftuchverbot für Richterinnen, wie das in der Diskussion bereits gefordert wurde. Wir sind, wie vorhin ausgeführt, gegen jede Art der Symbolik, aber ein bloßes Kopftuchverbot halten wir für völlig unzulässig. Dazu gibt es auch schon mehrere Entscheidungen. Sich einfach nur gegen eine Religion zu stellen, geht auf gar keinen Fall.
Das heißt, eine muslimische Richterin kann das Kopftuch tragen, solange das Neutralitätsgebot nicht gesetzlich geregelt ist?
Aus meiner Sicht ist das so. Wir hätten einfach gerne einmal Klarheit, auch für muslimische Frauen, die studieren, und sich überlegen, welche Berufe für sie in Frage kommen. Es wäre Zeit, diese Fragen gesetzlich zu regeln. Dazu fehlt aber auch ein bisschen der politische Mut. Ich verstehe schon, dass diese Debatte immer sehr emotional geführt wird. Aber es macht nun einmal einen Unterschied, ob man den Parteien gegenüber einen neutralen Eindruck macht oder nicht. Etwa bei einem Familienrichter, der Scheidungen durchführt und sein Zimmer mit lauter christlichen Symbolen geschmückt hat; oder eine muslimische Frau, die sich von einem streng religiösen Ehemann trennen möchte und einer Richterin mit Kopftuch gegenübersitzt, die zu erkennen gibt, sehr religiös zu sein, fragt sich vielleicht auch, ob sie fair behandelt wird. Das sind Konfliktfelder, die wir bei Gericht nicht haben wollen. Gerichtsverfahren sind ohnehin oft sehr emotional, dafür brauchen wir eine Zone der Neutralität.
Das betrifft aber wirklich nur das äußere Erscheinungsbild, weil die persönliche Werthaltung ist ja auch ohne äußere Symbolik vorhanden.
Natürlich, wir haben Kollegen verschiedenster Religionen und auch nichtreligiöse Kollegen. Die Frage ist aber, bringe ich das nach Außen zum Ausdruck, damit das auch jeder weiß. Auch das bringt ja etwas zum Ausdruck. Hier ist ein Richter in seinem Beruf, der Hoheitsgewalt ausübt und staatliche Aufgaben erledigt, eindeutig zur Zurückhaltung verpflichtet.
Warum hat bisher noch kein Justizminister, keine Justizministerin so ein Gesetz vorgeschlagen?
Ich glaube, da scheut man diese politische oder gesellschaftspolitische Diskussion. Das Justizministerium hat schon vor Jahren ein Gutachten eingeholt, aber damit ist dann politisch nie etwas passiert. Anders als bei der Diskussion, die man über Schulen und Kindergärten führt. Vielleicht wollte sich der zuständige Minister ja nicht dieser Diskussion aussetzen oder hatte das Gefühl, da kann man nichts gewinnen. Mir wäre es dennoch lieber, das jetzt zu klären, als zu warten, bis es Präzedenzfälle gibt. Dann würde diese Diskussion auf dem Rücken der betroffenen Person ausgetragen, das möchte ich nicht.
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