
AK-Referent Markovic: „Arbeiter*innen besonders vom Ausschluss von politischer Mitbestimmung betroffen"
Mag. Franjo Markovic ist Experte im Bereich Integration & Arbeitsmarkt in der Arbeiterkammer Wien. Er hebt die sozialpolitische Problematik des Wahlausschlusses eines wachsenden Anteils der österreichischen Wohnbevölkerung hervor. Er spricht von einer demokratiepolitischen Schieflage. Im Folgenden sein Statement zur Pass Egal Wahl von SOS Mitmensch:
In manchen Bezirken die Hälfte ohne Wahlrecht
„18 Prozent der österreichischen Wohnbevölkerung sind bei der kommenden Bundespräsidentenwahl nicht berechtigt mitzuwählen. Das sind 1,4 Millionen Menschen im wahlfähigen Alter. In Wien ist bereits ein Drittel der Wohnbevölkerung von Bundes- und Landeswahlen ausgeschlossen, wobei diese Quote ungleich verteilt ist – in manchen Wiener Bezirken ist es die Hälfte. Auch die Mitglieder der Arbeiterkammer sind von diesem Problem stark betroffen: Ein Drittel der Wiener Arbeitnehmer*innen und 60 Prozent der Wiener Arbeiter*innen sind von dieser Wahl ausgeschlossen. Das Wahlrecht für öffentliche Wahlen ist an die Staatsbürgerschaft gebunden (mit der Ausnahme für EU-Staatsangehörige bei kommunalen Wahlen). Eine große Ausnahme bildet die Wahl zur Vollversammlung der Arbeiterkammer, wo alle Arbeitnehmer*innen völlig ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit mitbestimmen dürfen.
Wahlrecht hat sich zu sozialer Frage entwickelt
Problematisch ist, dass viele der Menschen, die in Wien dauerhaft leben und arbeiten, hier auch politische und soziale Rechte haben sollen und wollen. Nun ist es aber so, dass der Zugang zur Staatsbürgerschaft nicht für alle unter fairen und gleichen Spielregeln möglich ist. In erster Linie verhindern zu hohe Einkommenshürden für einen großen Teil der Menschen den Zugang zur Staatsbürgerschaft – sie können sie sich nicht „leisten“. Das betrifft vor allem die während der Corona-Krise viel beklatschten Systemerhalter*innen und in dieser Gruppe insbesondere Frauen, weil diese oftmals in schlechter bezahlten Branchen und Berufen beschäftigt sind. Daher ist der Ausschluss von politischer Mitbestimmung besonders im Bereich der Arbeiter*innen zu sehen: 60 Prozent der Wiener Arbeiter*innen haben kein Wahlrecht. Während der Anteil der nicht wahlberechtigten Wohnbevölkerung wächst, spielen deren Interessen eine immer geringere Rolle in der politischen Entscheidungsfindung. Das österreichische Staatsbürgerschafts- und Wahlrecht hat sich somit auch zu einer sozialen Frage entwickelt: Wenn demokratische Teilhabe in bestimmten Einkommensschichten einem hohen Anteil von Menschen verwehrt wird, dann befinden wir uns in einer demokratiepolitischen Schieflage.
Restriktives Staatsbürgerschaftsrecht erschwert Integration
Der erschwerte Zugang zur Staatsbürgerschaft und der damit verbundene Wahlausschluss führen dazu, dass das Zugehörigkeitsgefühl der Betroffenen weniger stark ausgeprägt ist. Politische Partizipation ist ein wesentliches Merkmal der Demokratie, fehlende Mitsprache hingegen führt zu Politikverdrossenheit. Von zugewanderten Menschen wird Integration gefordert, und mit dem restriktiven Staatsbürgerschaftsrecht gleichzeitig erschwert. Dieser Widerspruch muss endlich beseitigt werden!
Konkrete Auswirkungen hat die fehlende Staatsbürgerschaft auf das Berufsleben der Betroffenen. So wird der Zugang zu bestimmten Berufen des öffentlichen Dienstes nur Staatsbürger*innen gewährt: Ohne die richtige Staatsangehörigkeit bleiben Berufswünsche als Polizist*in, Richter*in oder Notari*in unerfüllt. Drittstaatsangehörige können in Österreich nicht Rechtsanwalt oder Rechtsanwältin werden. Manche Bundesländer erlauben Drittstaatsangehörigen gar keine Tätigkeit im öffentlichen Dienst, sei es „nur“ als Reinigungskraft.
Mangelhafter Zugang zu Einbürgerung verschärft soziale Notlagen
Zugang zu österreichischen Sozial- und Versicherungsleistungen wird – neben anderen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen – grundsätzlich nur mit einem rechtmäßigen Aufenthalt gewährt. Das betrifft etwa das Kinderbetreuungsgeld, die Familienbeihilfe, das Arbeitslosengeld, die Ausgleichszulage oder die Mindestsicherung bzw Sozialhilfe. Die zuständigen Behörden haben zunächst einen höheren Aufwand, weil sie den rechtmäßigen Aufenthalt prüfen und beurteilen müssen. Das führt schon zu längeren Wartezeiten für Betroffene. Hinzu kommt, dass sie in vielen Fällen auf die Entscheidung der Aufenthaltsbehörde warten müssen, was zu weiteren langen Bearbeitungszeiten führt. Die Folgen können existenzbedrohend sein, weil die Betroffenen oftmals monatelang auf eine existenzsichernde Leistung warten müssen. Der erschwerte Zugang zur Staatsbürgerschaft führt somit auch zu einem erschwerten Zugang zu Sozialleistungen, was für Betroffene massive Auswirkungen haben kann."
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