
Expert*innen zu humanitärer Aufnahme - Dr. Bernhard Perchinig
„Seine besondere Stärke spielt Resettlement im Zielland aus.“ - Dr. Bernhard Perchinig ist Politikwissenschaftler und Soziologe und forscht zu den Themen Migration, Integration und humanitäre Hilfe.
"Der UNHCR, das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen, nennt drei nachhaltige Lösungen für die Zukunft von Geflüchteten: Nachhaltige Integration im Aufenthaltsland, organisierte Umsiedlung in ein Zielland (Resettlement), und - im Fall der Lösung der der Flucht zugrundeliegenden Konflikte und dem Ende des Verfolgungsrisikos - die freiwillige Rückkehr in das Herkunftsland. Resettlement von Geflüchteten bezeichnet nach der Definition des UNHCR “die dauerhafte Neuansiedlung besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge in einem zur Aufnahme bereiten Drittstaat, der ihnen vollen Flüchtlingsschutz gewährt und ihnen die Möglichkeit bietet, sich im Land zu integrieren“ (https://www.unhcr.org/dach/at/was-wir-tun/resettlement).
Frauen und Kinder als Zielgruppe von Resettlement
Wie die Definition zeigt, ist Resettlement eine Option, die Schutzgewährung und Integration deutlich miteinander verbindet. Es muss kein manchmal jahrelanges Asylverfahren abgewartet werden, die Perspektive Dauerniederlassung ist klar, und eine Unterstützungsstruktur für die Integration steht bereit. Zielgruppen von Resettlement sind besonders schutzbedürftige und verletzliche Personen, für die eine Rückkehr oder eine Integration im Erstschutzland nicht möglich ist. In der Praxis sind es oft Familien mit Kindern, alleinstehende Frauen oder Personen, die aus politischen oder religiösen Gründen flüchteten. Da Erstfluchtbewegungen meist in ein Nachbarland führen, und die Nachbarländer der Konfliktländer meist durch die hohe Zahl von Geflüchteten überfordert sind, ist Resettlement auch eine Unterstützung der von den Fluchtbewegungen am meisten betroffenen Länder.
Patenschaften durch Zivilbevölkerung
Seine besondere Stärke spielt Resettlement im Zielland aus, wo bei der Ankunft der Aufenthaltsstatus bereits geklärt ist und Strukturen für die Unterstützung bei der Integration zur Verfügung stehen. Resettlement ist damit eine der besten Möglichkeiten für zivilgesellschaftliche Organisationen, Religionsgemeinschaften oder Einzelpersonen, sich im Asylbereich durch die Betreuung der umgesiedelten Flüchtlinge direkt zu engagieren. In Kanada ist es privaten Vereinen, Einzelpersonen und Familien sogar möglich, für konkret benannte Personen, die die Kriterien für eine Umsiedlung erfüllen, eine Patenschaft zu übernehmen und so deren Einreise zu ermöglichen, die USA überlegen gerade eine ähnliche Regelung.
„Türkis-Blau stellte das Programm ein“
In Europa hat Resettlement vor allem in der Schweiz, dem UK, den Benelux-Ländern und Skandinavien eine lange Tradition. Österreich hat zwischen 2013 und 2017 drei „Humanitäre Aufnahmeprogramme“ in Zusammenarbeit mit dem UNHCR aufgelegt. Ende August 2013 startete die erste Phase, 250 Personen wurden über Familienzusammenführungen mit Hilfe kirchlicher und zivilgesellschaftlicher Organisationen aufgenommen, weitere 250 mit Hilfe des UNHCR aus Jordanien. 2014 wurde die Aufnahme von 1000 Flüchtlingen aus Syrien in Aussicht gestellt; bis 2017 kamen insgesamt 1.900 besonders schutzbedürftige syrische Flüchtlinge aus der Türkei, dem Libanon und Jordanien sicher nach Österreich und bekamen einen Daueraufenthaltsstatus und Unterstützung bei der Integration, die gut funktionierte*. Die türkis-blaue Bundesregierung stellte das Programm 2017 ein.
Ausreichend Potenzial in Österreich
Die Situation in Afghanistan und die Verfolgung und Unterdrückung der afghanischen Zivilgesellschaft durch das Terrorregime der Taliban verlangen nach massiven Resettlementangeboten, um den Verfolgten Schutz in Europa zu bieten. In Österreich gibt es ausreichend Potential für die Unterbringung und Unterstützung von mehreren hundert besonders verfolgten Menschen aus Afghanistan, die sich dort für Demokratie und Menschenrechte engagiert haben. Dabei könnte leicht an den guten Erfahrungen mit den humanitären Aufnahmeprogrammen 2013 - 2107 angeknüpft werden. Es ist zu hoffen, dass die türkis-grüne Bundesregierung den Mut dazu aufbringt."
*vgl. UNHCR (2018): Flucht und Asyl in Österreich. Die häufigsten Fragen und Antworten. Wien (UNHCR); Kratzmann, K. (2016): Resettlement und das Humanitäre Aufnahmeprogramm in Österreich. Wien (IOM).
SOS Mitmensch hat gemeinsam mit Expert*innen und Betroffenen eine große Kampagne für die Wiederaufnahme von humanitären Aufnahmeprogrammen für besonders schutzbedürftige Menschen gestartet. Wir wollen die humanitäre Tradition Österreichs wiederbeleben und Menschenleben retten!
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