
Der Gandhi Senegals
In Senegal gibt es eine tiefverwurzelte Willkommenskultur, Teranga. Auch die islamische Auslegung der Muriden von Cheick Bamba dürfte versöhnlich wirken, jüngst reichten sich zwei lange überworfene Politiker die Hand. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Laity Ndiaye, Sabine Zhang, Fotos: Sabine Zhang
Am 27. September 2019 wurde in Dakar die größte Moschee Westafrikas „Massalikul Djinane“ („Der Weg ins Paradies“) eingeweiht. Auch der christliche Erzbischof von Dakar, Benjamin Ndiaye, kam, um dem Kalifen seine Ehre zu erweisen. Und er bat den Kalifen der Muriden für die Christen zu beten, damit es auch ihnen gelingt, so ein schönes Gotteshaus zu bauen. Der Kalif machte das gerne.
Es sind andere Signale, die man aus Senegal hört, über den Islam, aber auch über die friedliche Koexistenz zwischen Muslimen und Christen. Signale, die es eher nicht in die Medien schaffen. Vielleicht, weil sie von Pragmatismus und Kooperation erzählen und nicht von Gewalt, und damit nicht in das mediale Narrativ über den Islam passen. 10.000 Menschen sollen in der neuen Moschee in Senegals Hauptstadt Platz finden, 15 Jahre arbeitete man an dem Projekt. Das weitläufige Gebäude ist ausgestattet mit Marmor aus Carrara, mit vergoldeten Säulen und kunstvollen Holzarbeiten, die im Licht von 2.000 Leuchten erstrahlen. Die Moschee findet aber nicht nur als religiöses Gebäude Beachtung, sondern gilt auch als Symbol einer starken, unabhängigen Nation. Sheikh Gueye, Autor und Geographie-Dozent an der Universität Straßburg, über die Gründe, warum man gerade Dakar dafür ausgesucht hat: „Damit hat man in einer Stadt, die von den Kolonialherren als Hauptstadt errichtet wurde, die Bedeutung des Islam betont; zugleich passiert das aber in einem säkularen Staat. Das ist der Weg, um Dakar zurückzufordern!“ Stolz zeigt man sich auch darüber, dass der Komplex eigenständig finanziert wurde. Die Anhänger der Muriden, eine senegalesische Form des Sufismus, finanzierten die Moschee gleichsam als Bollwerk gegen den radikalen, saudi-arabischen Wahabismus. Saudi-arabische Vertreter kamen zwar dennoch, um zu gratulieren, aber ihr Geld und ihr Einfluss blieben zuhause. Die Einweihungszeremonie glich einem religiösen, gesellschaftlichen und politischen Großevent. Sie begann mit einer versöhnlichen Geste, die ein emotionales Beben durch das Land schickte. Ausgerechnet die schärfsten politischen Gegner der jüngeren Geschichte des Landes, Staatspräsident Macky Sall und sein Amtsvorgänger Abdoulaye Wade schritten Hand in Hand aus der Moschee. Symbolträchtiger geht es kaum.
Der Gandhi Senegals
Noch Jahre zuvor hatten sich die beiden politische Scharmützel geliefert. Als 2012 der damals 86-jährige Wade eine dritte, verfassungswidrige Amtsperiode anstrebte, kam es zu politischen Protesten. Macky Sall wurde zum neuen Präsidenten gewählt, versammelte eine völlig zersplitterte Opposition in einer neuen Regierung und konnte damit eine gröbere Staatskrise abwenden. Danach folgten Jahre der Verwerfungen: Versuche Wades, die Macht zurückzuerobern, eine politische Schlammschlacht, und Kampagnen ohne Ende. 2013 verhaftete man Wades Sohn Karim, der unter seinem Vater mehrere Ministerämter inne hatte und zu einem Vermögen von einer Milliarde Euro gekommen war wegen Korruption. Drei Jahre später begnadigte Macky Sall in einer bemerkenswerten Geste den Sohn des Ex-Präsidenten. Als dieser dann sogar für das Präsidentschaftsamt kandidieren wollte, wusste das der Verfassungsgerichtshof zu verhindern.
Gut möglich, dass die Form des Ausgleichs zwischen politischen Kontrahenten mit dem Einfluss der Muridiya in Senegal zu tun hat. Begründet wurde diese sufistische Bruderschaft vor 150 Jahren von einem kleinen, beharrlichen Mann namens Ahmadou Bamba, der immer wieder mit dem indischen Rechtsanwalt und Pazifisten Mahatma Gandhi verglichen wird. Die Muriden gelten heute als eine der wirtschaftlich und gesellschaftlich einflussreichsten Kräfte des Landes.
Cheick Bamba selbst inspiriert bis heute Millionen von AfrikanerInnen. Sein Leben unter französischer Kolonialherrschaft klingt nach einem Märchen, wären da nebst der mündlichen Überlieferung nicht auch schriftliche Zeugnisse. Seit ein paar Jahren sind sie öffentlich zugänglich, damals forderten Bambas Anhänger die Rückgabe der kolonialen Archive.
Bamba entstammte einer Familie von Marabuts (religiöse Führer bzw. islamische Heilige), die einen friedlichen sunnitischen Islam mit sufistischer Ausprägung vertraten. Seine Beliebtheit und eine wachsende Anhängerschaft missfiel den französischen Kolonialherren, man verhaftete ihn, verbannte ihn, sperrte ihn, so heißt es, im Gefängnis von Saint Louis mit einem hungrigen Löwen in einen Raum, den er mit einer Dattel besänftigte. Auf dem Weg ins Exil musste er auf einem Nagelbett stehend eine Nacht verbringen. Dort hatte er die Vision, dass an diesem unsäglichen Ort einmal eine Moschee stehen solle. 125 Jahre später wurde hier nun die Massalikul Djinane, die größte Moschee Westafrikas eröffnet.
Teranga – Willkommen
Als der religiöse Führer 1902 nach Jahren des Exils aus dem Urwald von Gabun nach Dakar zurückkehrte, feierten ihn die Menschen – bis heute wird dieser Tag in Senegal gefeiert. Millionen Menschen pilgern jährlich zu Magall, so heißt das Fest, nach Touba, der Stadt und Begräbnisstätte von Cheick Ahmadou Bamba, dem Grand Serigne Touba.
Die Arbeitsdoktrin und das kollektive Wirtschaftssystem der Muriden hat aus Touba eine boomende wirtschaftliche und religiöse Metropole gemacht, die von hunderten Hektar von Feldern umgeben ist. Alljährlich versammeln sich Freiwillige für die Ernte, wobei auch die Reichsten des Landes symbolisch Hand anlegen. Es wird gemeinschaftlich gekocht und gegessen und das interessante daran ist, dass man in diesem Fest ein weiteres grundlegendes Selbstverständnis des Landes findet: Teranga, willkommen in Senegal.
Teranga bedeutet auf Wolof, einer der Landessprachen, soviel wie Gastfreundschaft, eine Haltung, die überall dort gelebt wird, wo gerade gegessen wird. Egal ob in der Autowerkstatt am Straßenrand, wo man die Autopanne behebt, und wo es zu Mittag heißt: „Komm, iss mit uns“; oder bei Nachbarn und bei Freunden sowieso. Wo man auch ist, wird man zum Essen aus dem großen gemeinschaftlichen Teller in der Mitte eingeladen. Dabei lernt man von klein auf Rücksicht zu nehmen, sich nicht um die besten Stücke zu streiten, auf andere zu achten und anderen den Vortritt zu lassen, auch wenn man selber hungrig ist. Teranga ist aber sicherlich mehr als Gastfreundschaft, dahinter steckt ein Wert, eine Haltung, mit der man dem Anderen begegnet. Nach dem Motto, solange man teilt, ist immer genug für alle da. Und noch etwas, das einem in Europa zu denken gibt: In Senegal wird der Wert eines Menschen nicht danach bemessen, wie viel er hat, sondern danach, wie viel er anderen gibt.
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