Der Unbeugsame
Bülent Öztoplu war vor seinem Rückzug viele Jahre eine der zentralen Figuren der Migrationspolitik. Ein Gespräch über innovative Ansätze, politische Vereinnahmungsversuche und die Folgen des internationalen Haftbefehls 2001 gegen ihn. Interview: Niko Katsivelaris
Sie sind heute bekannt als Eigentümer des Wiener Szenelokals Bluebox. Was viele nicht wissen: Sie waren zehn Jahre lang als Leiter des Projekts „Echo“ eine fixe Größe in der österreichischen Migrationspolitik. Wie kommt das?
Echo musste 2004 zusperren. Nachdem uns Subventionen abgedreht wurden, habe ich zwei Jahre lang versucht, auf eigene Faust weiterzumachen. Das hat mir dann zu lange gedauert. Ich war auch frustriert, weil 15 Jahre soziales Engagement und Integrationsarbeit durch Machtpolitik einfach zerstört wurden. Ich wurde damals als Sprachrohr der zweiten und dritten Generation wahrgenommen, der Verein hatte zwölf MitarbeiterInnen. Danach hatte ich das Gefühl, keine Möglichkeit mehr zu haben, für die Jugendlichen zu sprechen.
Haben die Jugendlichen Ihre Entscheidung einfach so akzeptiert?
Nein, viele wollten weiter kämpfen. Aber ich habe keinen Sinn mehr gesehen, in dieser politischen Landschaft weiterzumachen. Und da habe ich mir gedacht, ich suche mir eher etwas Persönliches.
Was war das Merkmal dieser politischen Landschaft?
Naja, die Gemeinde Wien forderte als Fördergeberin sichtbare Dankbarkeit. Echo war in der Öffentlichkeit sehr präsent und man wollte uns als Vorzeigeprojekt der roten Stadtregierung benutzen. Es hat der Gemeinde Wien nicht gepasst, dass wir möglichst unabhängig bleiben wollten und mit allen möglichen Akteuren kooperierten – von den Grünen bis zur ÖVP. Echo wurde so zur Konkurrenz für andere Sozialprojekte – und wollte sich trotzdem nicht vereinnahmen lassen.
Gab es weitere Konfliktpunkte?
Ja, ich hatte mich gegen die in der Sozialarbeit übliche Trennung zwischen ‚Bedürftigen’ und ‚HelferInnen’ gewehrt. Ich wollte diese Grenze aufheben und zeigen, dass vermeintlich passive ‚Opfer’ selbst sehr aktiv werden können. Das war der Gemeinde Wien aber nicht ‚niederschwellig’ genug. Weil junge MigrantInnen sich für Musik, Theater und Medienarbeit interessierten, galten sie nicht mehr als ‚bedürftig’ – sie waren eben nicht drogenkrank oder kriminell! Mein Eindruck war: Wenn die Jugendlichen Bildung und künstlerische Entfaltung einforderten, war die Politik überfordert. Warum sollte man schließlich Geld für Jugendliche ausgeben, die erfolgreich kulturell aktiv waren und keine Probleme hatten? Bis heute werden von Sozialprojekten gegenüber Fördergebern solche klischeehaften Bilder gefordert. Dabei nehme ich keine Partei aus: Auch die Grünen wollten eine Art ‚karitativer Ausländerfreundlichkeit’ von uns.
Bei Echo waren Selbstorganisation und Partizipation der Jugendlichen sehr wichtig. Wie sah das aus?
Die Jugendlichen hatten einen Vorstand gebildet. Wer ein paar Jahre dabei war, konnte Obmann oder Obfrau werden. Bei Bewerbungen von JugendarbeiterInnen konnten die Jugendlichen mitentscheiden und BewerberInnen ablehnen. Natürlich hatte die Geschäftsführung etwas zu sagen, aber es war mir wichtig, dass die Jugendlichen Demokratie lernen und erleben können. Es ist gut, wenn 17-Jährige verstehen, was es jeweils bedeutet, in der Mehrheit oder in der Minderheit zu sein.
Wer war die Zielgruppe von Echo?
Es kamen rund 200 Jugendliche pro Tag zu uns. Gezählt hat aber die Qualität des Engagements und nicht die BesucherInnenstatistik. Es waren bis zu 15 verschiedenen Nationalitäten, sehr viele Mädchen. Die wollten wir besonders fördern, damit sie sich gegenüber patriarchalen Mustern emanzipieren. Im Mittelpunkt sollten bei allen die individuellen Fähigkeiten stehen: Was denkst du? und nicht Was denken die TürkInnen, etc. Solchen Zuschreibungen wollten wir das Individuum entgegenhalten.
Das Nachfolgeprojekt zur Zeitschrift Echo war die Zeitschrift biber. Wie sehen Sie das Projekt heute?
Ziel war, MigrantInnen in den Journalismus zu bringen. Echo hatte stets das Problem, nicht als Medium, sondern als Sozialprojekt wahrgenommen zu werden. Ich hatte zunächst erfolglos versucht, EU-Fördergelder zu erhalten, um eine professionelle journalistische Ausbildung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu finanzieren. Dann wollte ich ein Blatt machen, das kommerziell genug sein sollte, um von Subventionen unabhängig zu sein. Darum hatte ich Simon Kravagna als Partner gewählt.
Sie sind nach zwei Ausgaben ausgestiegen. Warum?
In meinen Augen sollte biber bunt sein – aber kantig! Kommerziell erfolgreich, aber politisch. Ich musste feststellen, dass beide Partner gleiche Ziele brauchen, um das zu realisieren. Da habe ich ihm angeboten, das Projekt mit einem anderen Partner fortzuführen – soviel ich weiß, bis heute kommerziell erfolgreich, aber inhaltlich umstritten. biber ist heute ein erfolgreiches Alles-paletti-uns-geht-es-super-Magazin.
Das Politische hat ja in Ihrem Leben schon sehr früh eine Rolle gespielt. Sie haben aus politischen Gründen die Türkei verlassen.
Ich war bereits im Gymnasium politisch aktiv. 1980 – ich war 20 Jahre alt und Student – kam der Militärputsch, viele Leute wurden willkürlich festgenommen. Meine Familie hat sich Sorgen um mich gemacht und gesagt: Bevor du hier deinen Mund nicht halten kannst und festgenommen wirst, ist es doch besser, du gehst nach Europa.
Was waren Ihre ersten Eindrücke von Österreich?
Österreich und Europa überhaupt waren auf eine für mich ungewohnte Weise sehr frei. Ich habe sehr lange gebraucht, mich daran zu gewöhnen: dass es nicht gefährlich ist, mit politisch einschlägigen Zeitungen in der Hand gesehen zu werden.
Sie waren drei Jahre lang Mitglied des Menschenrechtsbeirates, als im August 2001 ein internationaler Haftbefehl gegen Sie erlassen wurde. Am 13. September 2001 wurden Sie von 20 WEGA-Beamten verhaftet. Was ist da genau passiert?
Die Polizei war damals menschenrechtliche Kontrolle von außen noch nicht gewohnt. Noch dazu war ich der einzige Ausländer in der Kommission. In einem der Kommissariate, für deren Kontrolle ich verantwortlich war, gab es Leute, die sich in ihrem Stolz gekränkt fühlten, weil ich dem Stereotyp vom Türken nicht entsprach. Ich war immer sehr korrekt und kooperativ, meine Kompetenz konnte man nicht infrage stellen. Wer den internationalen Haftbefehl gegen mich veranlasst hat, habe ich nie erfahren. Man hat offensichtlich etwas gegen mich gesucht – und dann gab es in Deutschland einen Fall, der offen war.
Was konkret meinen Sie?
1984, als ich schon in Österreich lebte – ich war 24 Jahre alt – reiste ich mit einem Touristenvisum nach Deutschland und habe dort bei einem linken türkischen Kulturverein in Mannheim mitgearbeitet. Eines Abends kam es zu einem Handgemenge zwischen zwei meiner türkischen Freunden und drei Polizisten in Zivil. Wir dachten zunächst es wären Neonazis, dabei waren es betrunkene Beamte außer Dienst vom Kommissariat ums Eck. Als ich sah, wie mein Freund auf dem Gehsteig lag und von drei Männern verprügelt wurde, mischte ich mich ein – da traf mich von hinten ein Schuss aus einer Dienstpistole.
Wie ging diese Geschichte weiter?
Daraus ist in Deutschland 1984 ein großer Skandal geworden, dass war der sogenannte „Mannheimer Fall“. Es gab Proteste, Kirchenbesetzungen, Autobahnbesetzungen, etc. Weil wir Schadenersatz forderten, wurde der Fall eingestellt. Man versuchte, mich als türkischen Kriminellen und Unruhestifter hinzustellen und ich bekam für Deutschland kein Visum mehr – dabei war ich mit einer Deutschen verheiratet, wir hatten ein gemeinsames Kind. Als wir später nach England und dann in die Türkei gingen, wusste der deutsche Staat immer, wo ich war. Man sagte mir inoffiziell: Wenn Sie noch einmal nach Deutschland kommen, werden wir diesen Fall gegen Sie verwenden.
Was wurde daraus 17 Jahre später in Österreich?
Dieser Fall hat auch die Wiener Polizei interessiert, die mich, so mein Eindruck, als Mitglied des Menschenrechtsbeirates loswerden wollte. Ohne genau zu wissen, was tatsächlich passiert war, verlangte sie von Deutschland einen internationalen Haftbefehl. Ich wurde in der Früh festgenommen.
Wie reagierte der Menschenrechtsbeirat?
Ich wurde vorübergehend suspendiert – obwohl zu dem Zeitpunkt nichts gegen mich vorlag. Dass der Menschenrechtsbeirat die Unschuldsvermutung missachtet, war ein Skandal. Der Vorsitzende des Menschenrechtsbeirates musste danach zurücktreten.
Wie haben Sie sich zunächst verteidigt?
Ich habe gegen die zuständige Polizeiinspektion in der Kandlgasse 4 in Wien Neubau Anzeige erstattet – vier Polizisten wurden verurteilt. Ich habe dann auch in Deutschland ein Verfahren gefordert – das fand mit 20 Jahren Verspätung und ohne Einvernahme von ZeugInnen statt. Die zuständigen Polizisten waren bereits aufgrund zahlreicher anderer Gewaltdelikte suspendiert worden, die zuständige Dienststelle geschlossen. Nicht nur das: Die damals zuständige Richterkammer war wegen bereits suspendiert worden, weil sie den Holocaust-Leugner Irving freigesprochen hatte. Am Ende erwies ich, der mutmaßliche türkische Kriminelle, mich als der Einzige, der sauber war. Da haben sie mir 20.000 Euro Entschädigung gezahlt für die Gerichtskosten und gesagt, ich sollte nicht zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gehen.
Wurden Sie wieder Mitglied des Menschenrechtsbeirates?
Nach meinem Freispruch wurde ich wieder Mitglied, aber ich bin dann freiwillig gegangen. Mit diesen Aristokraten der Menschenrechte wollte ich nichts mehr zu tun haben: Sie hatten gegenüber einem ihrer Mitglieder plötzlich die Unschuldsvermutung fallenlassen, als es hart auf hart ging.
Sie sind heute nicht mehr politisch aktiv. Erleben Sie Ihre Erfahrungen als Niederlage?
Nein, aber ich kann nicht auf einem qualitativen Niveau politisch tätig sein, das meinen Ansprüchen genügen würde. Da würde ich bürokratische Probleme bekommen. Ich wäre abhängig von FunktionärInnen, die für Subventionen zuständig sind, aber null Ahnung von der Sache und kein Interesse daran haben. Das geht nicht mehr, dafür fühle ich mich zu alt.
Was erwarten Sie sich bei den Wahlen zum Thema Migration und Integration?
Nichts Neues – weder vom Sunnyboy Sebastian Kurz, noch vom Opportunisten H.C. Strache. Vor 15 Jahren hatte das politische Establishment noch Panik wegen des Migrationsthemas. Deswegen hat man ein bisschen investiert. Diese Panik ist vorbei, die Regierungsparteien haben ein paar Vorzeige-MigrantInnen und Zugang zu MigrantInnen-Vereinen. Derzeit gibt es ohnehin keine nennenswerte Migration nach Österreich. Deswegen ist die Regierung bequem geworden. Man will die FPÖ unter Kontrolle haben – und die MigrantInnenvereine auch.
Bülent Öztoplu ist Inhaber des Lokals Bluebox in Wien Neubau. Bekannt wurde er mit dem 1991 gegründeten Projekt „Echo“ für jugendliche MigrantInnen der 2. und 3. Generation. Echo entwickelte sich unter Öztoplus Leitung von einem Zeitungsprojekt zu einem Jugendzentrum, das bis 2004 existierte. Von 1999 bis 2001 war Öztoplu Mitglied einer Kommission des Menschenrechtsbeirates. 2005 gründete er gemeinsam mit Simon Kravagna die Zeitschrift biber. Er erhielt zahlreiche Preise, darunter den Ute Bock-Preis 2003.