
Ein Haus, das nur am Dach saniert wird, verliert den Halt
ANDERE ÜBER. Ein Staatshaushalt ist wie ein Haus: Damit es stabil bleibt, braucht es ein tragendes Fundament – und keine Einschnitte, die tragende Wände schwächen.
Kommentar: Anna Parr.
Ein Beitrag im neuen MO - Magazin für Menschenrechte.
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Doch genau das droht nun: Gespart wird dort, wo die Statik unserer Gesellschaft am verletzlichsten ist – bei jenen, die ohnehin kaum Spielraum haben.
Was hier verhandelt wird, ist nicht nur ein Budget. Es ist ein Gesellschaftsbild.
Wollen wir ein Land, in dem eine Mindestpensionistin im Winter entscheiden muss, ob sie heizt oder isst?
In dem Eltern das Mittagessen auslassen, damit ihre Kinder nicht hungrig schlafen gehen?
In dem Kinder nicht zum Turnen, ins Kino oder auf Schulausflüge mitkönnen – nicht, weil sie nicht wollen, sondern weil das Geld fehlt?
In dem Armut und geringe Bildung weitervererbt werden wie ein schwerer Rucksack, den Kinder von Anfang an tragen müssen?
Die aktuelle Armutsstatistik ist ein Alarmsignal: 336.000 Menschen leben in absoluter Armut, darunter fast 80.000 Kinder. Die Krisenjahre haben Spuren hinterlassen. Wer einmal in Armut gerutscht ist, findet oft keinen Weg mehr hinaus. Das zeigt sich nicht nur in Zahlen der Statistik Austria, sondern auch in der täglichen Arbeit der Caritas: 2024 suchten über 50.000 Menschen Hilfe in unseren Sozialberatungsstellen – ein Plus von 72 Prozent seit 2020. Rechnet man mitbetreute Angehörige und Kinder mit, betrifft das mehr als 100.000 Menschen. Nach Fixkosten wie Miete, Strom und Heizung bleiben vielen im Schnitt nur noch 15 Euro pro Tag – für alles, was ein Leben sonst noch braucht. Einmalhilfen helfen kurzfristig. Was es braucht, ist ein stabiles, gerechtes Fundament.
Die Budgetrede des Finanzministers hat bestätigt, was viele befürchtet haben: Statt Armut zu bekämpfen, werden Leistungen gekürzt, die für viele Familien existenzsichernd sind. Die Streichung des Klimabonus, das Aussetzen der Valorisierung zentraler Familienleistungen und der Rückgriff auf Mittel aus der kalten Progression belasten jene am stärksten, die schon jetzt jeden Cent dreimal umdrehen müssen. Das zweite verpflichtende Kindergartenjahr und der Fonds für Unterhaltszahlungen sind zu begrüßen, aber dafür kein adäquater Ersatz.
Ein solidarisches Budget bedeutet nicht, dass alle gleich viel beitragen. Es bedeutet, dass jeder beiträgt, was er oder sie kann – und dass jene besonders geschützt werden, die nichts mehr auf der hohen Kante haben.
Gerechtigkeit heißt nicht, alle gleich zu behandeln. Sie heißt, dorthin mehr zu geben, wo weniger da ist. Und hinzuschauen, wo es leise wird, weil die Betroffenen keine Lobby haben.
Wer an der sozialen Statik spart, schwächt nicht nur das Leben einzelner Menschen, sondern auch das Vertrauen in unser demokratisches Miteinander.
Ein Budget, das Armut verschärft, trägt nicht zur Erneuerung bei – es untergräbt die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.
Sozialer Zusammenhalt ist kein Luxus. Er ist das Rückgrat unserer Gesellschaft – und das tragende Fundament unserer Demokratie.
Anna Parr ist Generalsekretärin der Caritas Österreich.
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