
Ein Nobelpreis für Anti-Entwicklungshilfe
SPOTLIGHT. Ein Nobelpreis für drei ArmutsforscherInnen – das klingt gut! Tatächlich verdient die experimentelle Entwicklungsökonomik diesen Nobelpreis aber nicht. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Norbert Häring
Der von der Schwedischen Reichsbank gestiftete Nobel-Gedächtnispreis für Ökonomie ging dieses Jahr an Esther Duflo, Abhijit Banerjee und Michael Kremer. Die drei sind Pioniere auf dem Gebiet der „randomisierten Kontrollversuche“ (RCTs) nach dem Vorbild der medizinischen Forschung. Dabei wird die eine Gruppe „behandelt“ und gleichzeitig eine vergleichbare „nicht behandelte“ Kontrollgruppe beobachtet. Zum Beispiel werden den Bauern in verschiedenen Dörfern unterschiedliche Varianten von Versicherungen gegen Ernteausfälle angeboten, mit dem Ziel herauszufinden, wie man die Bauern dazu bringen kann, mehr Kunstdünger zu verwenden. Es fehlte nicht an Lobeshymnen, wonach die drei den Preis damit verdient hätten, dass sie das Leben von Millionen Menschen verbessert hätten. Das ist in Perspektive zu setzen. Sie haben vielleicht dafür gesorgt, dass Hilfsgelder etwas effizienter eingesetzt werden. Sie haben aber auch dazu beigetragen, das Anspruchsniveau an Entwicklungshilfe zu senken: Man verabschiedet sich vom Ziel, Volkswirtschaften zu entwickeln. Stattdessen gibt man sich damit zufrieden, den Armen zu helfen, besser mit ihrer Armut zurechtzukommen. Die deutsche Entwicklungshilfeorganisation GIZ sah sich schon 2012 genötigt zu erklären, warum man RCTs nicht zur Richtschnur für die eigene Arbeit machen werde. Die Methode eigne sich nur für einen schmalen Anwendungsbereich, und oft sei fraglich, ob sich die Ergebnisse verallgemeinern lassen. Für breit wirkende Maßnahmen seien sie zudem kaum anwendbar.
Wissenschaftler warnen ebenfalls vor übertriebenem Vertrauen in RCTs. Florent Bedecarrats, Isabelle Guérin und François Roubaud von der staatlichen französischen Entwicklungsagentur Agence Française de Développement (AFD) werfen RCT-Ökonomen Hybris vor. Anwendbar sei die Technik nur auf spezifische lokale Projekte von oft geringer Bedeutung. Dennoch würden sie als Goldstandard gehandelt, an dem sich alle anderen Ansätze messen müssten. „Einige Medienberühmtheiten unter den RCT-Befürwortern, mit Esther Duflo an der Spitze, wollen sogar eine komplette Liste guter und schlechter Entwicklungspolitiken erstellen“, lassen die Autoren ihre Empörung durchscheinen. In diese Kritik stimmte auch Angus Deaton ein, Nobelpreisträger von 2016. „RCTs können beim Ausbau der wissenschaftlichen Erkenntnis eine Rolle spielen“, lautet sein Resümee, „aber nur in Kombination mit anderen Methoden“. Es gehe nicht darum, herauszufinden „was wirkt“, sondern darum, „warum manches wirkt“.
Princeton-Professor Jeffrey Hammer, der 25 Jahre für die Weltbank gearbeitet hat, bringt die Kritik an RCTs mit deutlichen Worten auf den Punkt. Es gebe eine ungerechtfertigte Fokussierung auf „private Güter“, also solche, bei denen man eine Kontrollgruppe ausschließen kann. Dabei komme es bei der Entwicklungspolitik vor allem auf öffentliche, von allen nutzbare Güter an, wie etwa eine gute Infrastruktur oder ein funktionierendes Rechtssystem.
ZUR PERSON I Norbert Häring ist Wirtschaftsjournalist, Blogger und Autor populärer Wirtschaftsbücher. Zuletzt erschien von ihm „Schönes neues Geld: PayPal, WeChat, Amazon Go – Uns droht eine totalitäre Weltwährung“. Die Langversion dieses Beitrages finden Sie auf: www.norberthaering.de
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