
Eine Kamera, die wegschaut
POLIZEIKOLUMNE. Körperkameras versprechen objektive Beweismittel von Polizeieinsätzen. Das setzt aber die geeignete Hand-habung voraus.
Polizeikolumne - Philipp Sonderegger beobachtet die Staatsgewalt.
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Die österreichische Polizei rollt flächendeckend Körperkameras aus. Nach jahrelangen Pilotversuchen werden Bodycams nun bundesweit zur Standardausrüstung gehören. Sie sollen sowohl Polizist:innen als auch Bürger:innen schützen und einen objektiven und neutralen Beweis für schief gelaufene Polizeieinsätze liefern. Unabhängig davon, wer das problematische Verhalten an den Tag gelegt hat.
Doch bei näherer Betrachtung wird die Polizei dem Versprechen der Objektivität nicht gerecht: Zum einen trägt nicht die Person die Kamera, die den Überblick behält und den Einsatz aus einiger Distanz absichert, sondern diejenige, die das Gespräch führt und mitten im Geschehen steht. Ausgerechnet das Verhalten der/des Beamt:in, auf das es bei der Überprüfung einer Beschwerde ankommt, ist gar nicht im Bild. Zweitens werden die Geräte ohne Möglichkeit zur Vor-Aufzeichnung eingesetzt. Aufgezeichnet wird erst dann, wenn es eskaliert – und der Beamte die Kamera bewusst einschaltet. Was vorher geschah, bleibt im Dunkeln. Beim Prüfen der Verhältnismäßigkeit kommt es aber auf den Anfang des Einsatzes an. Gab es einen guten Grund für die Zwangsgewalt? Wurde das gelindeste Mittel gewählt, das noch zum Ziel führt?
So gehandhabt sind die Kameras kein neutrales Beweismittel, sondern ein einseitig nutzbares Instrument. Ein Mittel, bei dem die Polizei die Kontrolle über das Narrativ behält. Wer den Ausschnitt bestimmt und wann die Kamera läuft, bestimmt auch, was dokumentiert wird – und was nicht. Das untergräbt das Versprechen der Bodycams: Professionelle Polizeiarbeit, die sich auf die Finger schauen lässt.
Körperkameras ohne Vor-Aufzeichnung sind eine halbe Lösung. Sie erwecken den Anschein von Transparenz, ohne echte Rechenschaft zu ermöglichen. Sie schützen zwar die Polizei vor falschen Anschuldigungen, aber sie schützen die Bevölkerung nicht vor unverhältnismäßiger Gewalt. Wer es mit objektiver Kontrolle und Transparenz ernst meint, muss dafür sorgen, dass die gesamte Situation dokumentiert wird – von Anfang an und beide Seiten.
Philipp Sonderegger ist Menschenrechtler, lebt in Wien und bloggt auf phsblog.at.
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