
„Für mich hat es nur Fußball gegeben"
Kelvin Arase hat als 17-jähriger für Rapid debütiert, drei Jahre später will er nun Stammspieler werden. Im Interview spricht er über ein unbeschreibliches Spiel, den Rat seiner Lehrerin und den Rassismus im Fußball. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Interview: Jakob Rosenberg, Fotos: Karin Wasner
"Er ist immer mit einem Lächeln dabei und gut aufgelegt.“ Kelvin Arase spricht über sein Vorbild Ronaldinho. „Spielerisch sind wir ganz andere Typen, aber sein Zugang inspiriert mich.“ Viel muss der 20-jährige Rapidler dem zweifachen Weltfußballer in dieser Hinsicht nicht mehr abschauen, er lacht häufig während des Interviews im Weststadion. Vor drei Jahren ist Arase hier zu seinem ersten Einsatz in der Bundesliga gekommen, danach wurde es etwas ruhiger um ihn. Im Vorjahr spielte er in Horn, die Saison begann er in Ried, ehe er nach Hütteldorf zurückgeholt wurde. Derzeit kommt er als Wechselspieler zum Einsatz, ein knappes Monat vor dem Interview erzielte er sein erstes Tor in der Bundesliga.
Wie haben Sie den Saisonbeginn mit dem Wechsel nach Ried und wieder zurück erlebt?
Es war ein kurzer Besuch, ich war genau zwei Wochen in Ried. Dann habe ich den Anruf bekommen, dass ich wieder zurückkommen darf. Darüber war ich sehr glücklich, weil es etwas Besonderes ist, bei Rapid zu sein. Jetzt möchte ich Stammspieler werden.
Debütiert haben Sie mit 17 unter Mike Büskens. Haben Sie damit gerechnet?
Nein, gar nicht. Ich habe ein paar Tage davor noch bei der U18 gespielt, dann habe ich am Matchtag einen Anruf von Co-Trainer Carsten Jancker bekommen. Er hat mich gefragt, was ich heute noch mache. Ich habe gemeint, nichts, ich bin zu Hause, bei der Familie. Dann hat er gesagt, dass ich heute vielleicht dabei bin. Das ist aus dem Nichts gekommen. Da war ich richtig nervös, bis wieder ein Anruf gekommen ist: „Komm ins Stadion!“ Es war allein schon super, das erste Mal vor den Fans aufzulaufen, aber als ich zum Aufwärmen geschickt und dann eingewechselt worden bin, ist es ein unbeschreiblich geiler Tag geworden.
Sie sind damals mit Lob überhäuft worden, waren angeblich beim FC Bayern im Gespräch. Wie geht man als junger Spieler mit diesem Druck um?
Druck ist immer da, von jeder Seite. Als Profispieler musst du einen Umgang damit finden. Meine Eltern haben mir damals gesagt: „Wenn du jetzt glaubst, besser als die anderen zu sein, kannst du gleich aufhören.“ Dank meiner Familie und meinen Freunden bin ich am Boden geblieben.
Wie ist das, wenn man am Montag in der Schule vom Wochenende erzählt – die einen waren im Kino, die anderen etwas trinken und Sie haben für Rapid gespielt?
Dort haben mich gleich alle gefragt, wie es war. Ich habe nur gesagt, dass ich es schwer beschreiben kann. Egal, was ich sagen würde, es würde nicht zutreffen, es war so ein geiler Moment.
Und jetzt das erste Tor in der Bundesliga.
Da war nach dem Debüt mein bestes Erlebnis. Ich bin nur hereingekommen, weil sich der Thomas Murg verletzt hat. Es ist noch 0:0 gestanden und war ein ständiges Hin und Her. Dann habe ich das 1:0 gemacht, das war unglaublich.
Kommen wir wieder zurück zur Schule. Welche haben Sie besucht?
Ich war in der Sportmittelschule Kaisermühlen, danach in einer Lehre als Bürokaufmann. Ich habe mir gedacht, das ist eine Lehre für Sportler, damit habe ich einen Plan B. Die Schule war zwar nie meins, aber ich wollte nicht abbrechen. Das habe ich durchgezogen und vor einem Jahr bestanden.
Glauben Sie, dass Sie je als Bürokaufmann arbeiten werden?
Ich hoffe nicht, aber im Fußball kann es sehr schnell gehen. Alles ist möglich. Hoffentlich verläuft mein Weg weiter gut und verletzungsfrei.
Sie haben im 22. Bezirk zu spielen begonnen, leben Sie auch noch dort?
Ja, ich teile mir mit meiner Schwester eine Wohnung. Jeder redet schlecht vom 22., aber mir hat es dort immer gefallen. Es gibt viele ältere Menschen, aber auch viele junge, die Gegend ist ruhig. Die Freunde, mit denen ich aufgewachsen bin, waren auch Leute, die nie Probleme haben wollten.
David Alaba ist auch Donaustädter, Marko Arnautovic Floridsdorfer. Wird auf der anderen Seite der Donau besser Fußball gespielt?
Da sage ich einfach: Ja, anscheinend. Ich glaube, Arnautovic, Alaba und ich wollen zeigen, dass die Leute aus dem 21. und 22. auch kicken können. Für mich und meine Freunde hat es nur Fußball gegeben. Es gibt dort einige Plätze und Käfige, wir haben die ganze Zeit gespielt.
Hat Ihre Karriere auch im Käfig begonnen?
Nein, eher in der Schule. Wir haben beim Turnen Fußball gespielt und meine Volksschullehrerin hat mich gefragt, ob ich bei einem Verein spiele, weil ich Talent habe. Damals war ich neun oder noch jünger und eher ein schüchterner Typ, der mit niemandem reden wollte. Ich bin ja aus Nigeria gekommen und habe am Anfang nicht wirklich gut Deutsch können. Meine Lehrerin hat mir gesagt, dass zwei meiner Klassenkollegen Fußball spielen – einer bei Donaufeld, einer bei Donaustadt – und ich mir das anschauen soll. Dann war ich einmal bei Donaufeld, bin aber zwei, drei Monate nicht mehr hingegangen. Als meine Tante aus England auf Besuch in Wien war, hat sie gesagt: „Geh hin, ich begleite dich.“ Sie hat auch gleich alle Formulare abgeholt, die wir dann ausgefüllt haben – so hat alles begonnen.
Sie sind als Sechsjähriger aus Nigeria gekommen. Sind Sie da einfach in die Schule gesteckt worden und es ist erwartet worden, dass Sie alles lernen?
Ja. Ich habe eigentlich nur Englisch gesprochen, aber es hat nicht gereicht, deswegen habe ich in meiner Volksschule am Mira-Lobe-Weg die erste Klasse wiederholt. Erst dann habe ich richtig angefangen, Deutsch zu lernen – ich kann mich nicht mehr erinnern, wie lange ich gebraucht habe, aber meine Eltern sagen, dass ich recht schnell war. Meine Zwillingsschwester war noch schneller. Wir haben gemeinsam in der Schule angefangen, sie hat dann gleich weitergemacht und war mir immer ein Jahr voraus.
Haben Ihnen die Lehrer geholfen?
Ja, so gut sie konnten. Sie haben von mir mehr verlangt und mir eigene Arbeitsblätter gegeben. Als ich die erste Klasse wiederholt habe, hat mir meine Lehrerin wirklich sehr geholfen. Das war auch die, die mich dann zum Fußball gebracht hat.
Warum haben Ihre Eltern entschieden, nach Österreich zu gehen?
Meine Großmutter hat schon hier gelebt. Sie hat einen Job und eine Wohnung gehabt und einen jüngeren Sohn. Sie wollte nicht, dass er alleine aufwächst und hat gesagt: „Kommt her!“
Haben Sie noch Kindheitserinnerungen an Nigeria?
Nein. Ich war seitdem leider auch nicht wieder dort. Es ist sich zeitlich noch nicht ausgegangen, weil ich immer erst recht spät erfahre, wann Trainingsstart ist. Nächsten Sommer will ich aber runterfliegen. Nach Benin City.
Auf der deutschsprachigen Wikipedia-Seite der Stadt sind sechs berühmte Persönlichkeiten angegeben, einer davon sind Sie, drei andere auch Fußballer. Können Sie sich diese Häufung erklären?
Gute Frage, ich weiß es nicht. Benin City ist eher klein, fast ein Dorf im Vergleich zu Lagos und Abuja. Und die wirtschaftliche Situation ist schwierig, deswegen wollen sich die Leute etwas aufbauen. Vielleicht sind die Leute aus Benin City ehrgeiziger. Wenn ich einmal Kinder habe, will ich, dass es ihnen an nichts fehlt. Das wollten meine Eltern für mich auch erreichen – und das haben sie. Deswegen stürze ich mich jeden Tag in den Fußball, damit ich besser werde und nicht auf meinen Plan B zurückgreifen muss.
Benin City war einmal ein Königreich, im Biafra-Krieg einen Tag lang eine unabhängige Republik. Beschäftigen Sie solche Dinge über Ihre Wurzeln?
Ja, schon. Angeblich waren die Zeiten besser, als Benin noch ein Königreich war, heute ist die Stadt leider wirklich korrupt. Und es ist schwer, dort zu leben. Ich würde gerne etwas dagegen tun, aber das ist kompliziert.
Sie sind ja schon sehr jung nach Wien gekommen, haben Sie trotzdem manchmal so etwas wie Heimweh?
Ich bin nur mit meinem Vater und meiner Zwillingsschwester hier, meine Mutter und meine zwei älteren Schwestern sind in Nigeria. Wir vermissen uns gegenseitig. Ich habe Heimweh, weil ich sie sehen will. Und ich will wissen, wie es in Nigeria ist.
Kommen sie manchmal auf Besuch?
Ja, vor drei Jahren waren wir auch gemeinsam in England. Wir sind praktisch jeden Tag in Kontakt, reden über Facetime und schreiben uns, damit wir nicht merken, dass wir nicht im selben Land oder am selben Kontinent sind.
Ist die Black Community in Wien für Sie wichtig? Suchen Sie den Kontakt?
Manchmal sucht man Dinge nicht, sie kommen einfach. Als Kind wächst du mit der Black Community auf, auch in der Kirche sind die Hälfte oder mehr Schwarze. Für jeden, der nach Europa oder wo auch immer hingeht, ist es wichtig, jemanden zu haben, der einen versteht. In Afrika haben wir zum Beispiel einen anderen Humor.
Rassismus ist ein großes Thema in der Gesellschaft und auch im Fußball. Haben Sie damit Erfahrungen?
Zum Glück nicht. Mein Vater hat mir erzählt, dass mich Eltern bei einem U14-Spiel einmal beschimpft haben. Das ist traurig. Rassistische Leute haben entweder nichts Besseres zu tun oder es geht ihnen selbst nicht gut. Es ist ja nicht normal, dass man rassistisch ist.
Im internationalen Fußball gibt es derzeit sehr viele rassistische Vorfälle. Kann man sich auf so etwas vorbereiten?
Nein, weil das keiner erwartet. Man rechnet nur damit, dass das Spiel gut abläuft. Manche können nicht damit umgehen. Ich verstehe auch, wenn Spieler wie Mario Balotelli das Spielfeld verlassen, wenn es zu viel wird. Wenn Bananen geworfen werden und so weiter. Zum Glück habe ich das noch nicht erlebt, ich wüsste nicht, wie ich damit umgehe.
Noch einmal zum Sportlichen. Sie haben vorher gesagt, Sie wollen Stammspieler bei Rapid werden. Ist auch irgendwann der Schritt ins Ausland ein Thema?
Zuerst will ich mich einmal in der Liga durchsetzen, mit Rapid einen Titel holen und dann ist das Ausland das nächste Ziel. Ich glaube, dass ich vom Spielertyp gut in die Premier League passen würde.
Aber es muss nicht Liverpool sein?
Nein. Wenn du bei einer kleinen Mannschaft spielst, ist es auch geil, wenn du gegen Manchester City richtig kämpfen musst. Wenn deine Beine brennen müssen, um einen Punkt zu holen. Das reizt mich. Wenn man mit einer kleinen Mannschaft eine große besiegt, ist es viel schöner als umgekehrt.
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