
Katharsis ist nötig
Wie könnte die Arbeit der FPÖ-initiierten Historikerkommission über das „Dritte Lager“ aussehen?
Kommentar von Stefan Karner
Die Entwicklung und Geschichte des so genannten Dritten Lagers in Österreich vom 19. Jahrhundert bis heute aufzuarbeiten, macht als umfangreiches, wissenschaftliches Projekt Sinn. Zwar gibt es zahlreiche Studien, Bücher und Schriften, die sich mit Fragen des Deutschnationalismus, mit den Parteien des „Dritten Lagers“, mit einzelnen Persönlichkeiten und einzelnen historischen Schlüsselereignissen beschäftigen. Das Haus der Geschichte in St. Pölten zeigt seit September 2017 mit großem Erfolg gerade auch die Geschichte des „Dritten Lagers“ und seine zunehmende Integration in die NS-Bewegung ab 1931. Hugo Portisch hat sich in seinen Dokus besonders auch dieser Thematik angenommen. Dennoch: Eine zusammenfassende, breit aufgestellte Publikation, die Antworten auf die aufgetretenen, aktuellen Fragestellungen gibt, durchaus auf Basis der historisch relevanten Rückbezüge ins 19. Jahrhundert, fehlt bislang.
Selbstredend gehört zu einer breiten wissenschaftlichen Aufarbeitung auch der breite Quellen-Zugang sowie die Möglichkeit für die Kommission, frei und ohne Einschränkungen arbeiten zu können. Dabei geht es nicht nur um den Anlassfall, die Themen rund um die Korporationen des „Dritten Lagers“, um deren tatsächliches oder vermeintliches Liedgut – teilweise altes, aus dem 19. Jahrhundert stammendes und auch von anderen Verbänden verwendet, teilweise offenbar für die Korporationen umgetextet. Interessant erscheinen die Themen um den Verband der Unabhängigen, als teilweiser Vorgänger-Organisation der FPÖ, die mitunter gesuchte und gefundene politische Nähe zu ehemaligen NS-Leuten, wenn man sie politisch gebraucht hat. So geht es weit darüber hinaus etwa auch um die aufgeworfenen Fragen der deutschen Kulturgemeinschaft, um die Fragen des Verhältnisses zu Nation und Staat, es geht um das österreichische NS-Verbotsgesetz von 1945, seine Novellen und ihre Anwendung, oder auch um Netzwerke und um den Bodensatz an Antisemitismus, nicht nur in der FPÖ.
Gerade von diesem wegzukommen, gehört zum Grundpfeiler, zur Substanz unserer Republik, die als Antithese zum Nationalsozialismus nach 1945 aufgebaut wurde. Auch von ehemaligen korporierten Mitgliedern, die nach dem Krieg und nach der NS-Zeit bereit waren, die ausgestreckte Hand von Opfern jener Jahre zu ergreifen und den demokratischen Weg der Republik mitzugehen. Ein undifferenziertes Burschenschafter-Bashing ist sicherlich kontraproduktiv. Zu sehr verflochten ist die Geschichte unserer Republik auch mit Mitgliedern von Korporationen.
Unklar ist bislang das Format einer derartigen Kommission. Auch wenn es etwa den Vorschlag gibt, eine „interne Arbeitsgruppe“ zu bestellen, so meine ich doch, es sollte eine breit aufgestellte Wissenschaftler-Kommission mit dieser Aufgabe befasst werden. Ihre Ergebnisse und Beurteilungen hätten viel größere Akzeptanz und würden die notwendige Katharsis auf eine akzeptierte wissenschaftliche Basis stellen. Katharsis ohne zu wissen, worum es eigentlich geht, ohne Tiefenschärfe, wäre jedenfalls keine Katharsis.
Dass der Untersuchungszeitraum nicht erst mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges beginnt, sondern deutlich früher angesetzt wird, wäre jedenfalls zweckdienlich. Eine unabhängige Historikerkommission böte – analog zu SPÖ und ÖVP – sicherlich auch die von der Freiheitlichen Partei, wie man hört, erhoffte Möglichkeit, sich „neu aufzustellen“ und auf Basis eines gesicherten, historischen Wissens über die eigene Geschichte, im Anlassfall klar Stellung beziehen zu können.
Zur Person
Der Historiker Stefan Karner hat eine Professur an der Karl-Franzens-Universität Graz und ist dort Vorstand des Instituts für Wirtschafts-, Sozial- und Unternehmensgeschichte. Er ist zudem Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung. Karner ist Autor zahlreicher Publikationen, u.a. „Die Steiermark im Dritten Reich 1938-1945“ (1986), „Zwangsarbeit in der Land- und Forstwirtschaft auf dem Gebiet Österreichs 1939–1945“ (2004), „Kärnten und die nationale Frage im 20. Jahrhundert“ (2005, Hrsg.), „Krieg. Erinnerung. Geschichtswissenschaft“ (2009, Hrsg.), „Halt! Tragödien am Eisernen Vorhang“ (2013)
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