
Univ.-Prof. Bauböck: „Es kommt zu Schwächung des Kerns der Legitimität der österreichischen Demokratie"
Der Vorsitzende des Global Citizenship Observatories Univ.-Prof. Dr. Rainer Bauböck sieht einen „vergleichsweise sehr stark ausgeprägten Wahl- und Einbürgerungsausschluss in Österreich". Die Folge für die österreichische Demokratie sei eine Schwächung des Kerns ihrer Legitimität, so Bauböck. Im Folgenden sein Statement zur Pass Egal Wahl von SOS Mitmensch:
Wachsender Wahlausschluss mit schwerwiegenden Folgen
„Der Anteil der Nichtwahlberechtigten in Österreich hat sich in den letzten 30 Jahren mehr als verdreifacht – die Tendenz ist weiterhin stark steigend. Die Folge für Migrant*innen ist, dass ihre Interessen in der österreichischen Politik systematisch weniger berücksichtigt werden als die anderer Bevölkerungsgruppen. Die Folge für österreichische Politiker*innen ist, dass es für sie vernünftiger ist, Stimmen im „ausländerfeindlichen Lager“ zu sammeln als sich für Anliegen der migrantischen Bevölkerung einzusetzen. Die Folge für den österreichischen Staat ist, dass Länder und Städte mit hohen Anteilen von Migrant*innen Mandate verlieren, obwohl ihre Bevölkerung wächst. So droht etwa in Wien der Verlust eines Bundesratsmandats. Ebenso sind jüngere Altersgruppen im Vergleich zu ihrem Anteil an der Bevölkerung im Parlament schwächer repräsentiert als ältere und einkommensschwächere weniger als wohlhabendere. Diese Verzerrungen haben konkrete Auswirkungen auf die Politik, etwa wenn es um die Durchsetzung der Interessen junger und zukünftiger Generationen geht.
Österreichische Demokratie im Kern ihrer Legitimität geschwächt
Die Folge für die österreichische Gesellschaft ist, dass Diskriminierung und Ausgrenzung von Migrant*innen durch den Ausschluss von Staatsbürgerschaft und Wahlrecht scheinbar von Staats wegen legitimiert werden. Die Folge für die österreichische Demokratie ist eine Schwächung des Kerns ihrer Legitimität, wenn im Namen einer schrumpfenden Bevölkerung von Staatsbürger*innen Gesetze beschlossen werden, die auch für jene gelten, denen das Wahlrecht zu Unrecht vorenthalten wird.
Internationale Alternativbeispiele zur Kopplung von Wahlrecht und Staatsbürgerschaft
Weltweit gibt es nur fünf Staaten, in denen das nationale Wahlrecht von der Staatsbürgerschaft entkoppelt ist (Neuseeland, Malawi, Chile, Uruguay und Ecuador). In einigen weiteren können sich die Staatsbürger*innen bestimmter Länder (etwa der Commonwealth-Staaten) an Wahlen beteiligen. Viel häufiger als nationale Wahlrechte hängen kommunale nicht von der Staatsbürgerschaft, sondern nur vom Wohnsitz ab. Auch in Österreich sind EU-Bürger*innen bei kommunalen Wahlen stimmberechtigt (außer in den Wiener Gemeinde- und Landtagswahlen). In insgesamt 14 europäischen Staaten und 8 südamerikanischen, sowie in Südkorea und Taiwan sind jedoch auch sogenannte Drittstaatsangehörige auf Gemeindeebene wahlberechtigt. Österreich hat sich diesem Trend nicht angeschlossen.
Österreich EU-Schlusslicht beim Zugang zur Staatsbürgerschaft
Der entscheidende Unterschied liegt aber nicht beim Wahlrecht, sondern im außerordentlich restriktiven Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft, die ja in Österreich für Migrant*innen aus Nicht-EU Staaten Voraussetzung für das Stimmrecht auf allen Ebenen ist. In einem Ranking von 56 Staaten mit signifikanter Einwanderung steht Österreich beim Zugang zur Staatsbürgerschaft auf dem viertletzten Platz: ex aequo mit Bulgarien und gerade noch vor den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi Arabien. Die Bundesregierung verweist darauf, dass die Einbürgerungszahlen in letzter Zeit steigen, aber das ist fast ausschließlich auf eine Novelle aus dem Jahr 2019 zurückzuführen, welche den Nachkommen von Holocaustopfern österreichische Pässe anbietet, ohne dass sie dafür jene ihrer Heimatländer aufgeben oder einen Wohnsitz in Österreich begründen müssen.
Sozial selektive Einbürgerungshürden
Die wichtigsten Hürden beim Zugang zur Staatsbürgerschaft für die migrantische Bevölkerung in Österreich sind das Fehlen eines bedingten ius soli, d.h des Anspruchs auf Staatsbürgerschaft per Geburt, wenn ein Elternteil mehrere Jahre rechtmäßigen Aufenthalt hat; die hohe Einkommensschwelle für Einbürgerung; der Zwang zur Rücklegung einer bisherigen Staatsbürgerschaft; die drastischen Anforderungen an Unbescholtenheit, die auch nach mehreren Verwaltungsdelikten die Einbürgerung dauerhaft blockieren; und der zehn- bzw. sechsjährige kontinuierliche Aufenthalt, was gerade für Migrant*innen mit Familienangehörigen im Ausland schwer erreichbar ist. Der Nachweis von (deutschen) Sprachkenntnissen und der Wissenstest sind vergleichbar mit jenen in anderen europäischen Staaten, aber auch sie bewirken eine soziale Selektion aufgrund von Bildungskarrieren.
ÖVP treibende Kraft hinter Österreichs Extremposition bei Einbürgerungsrecht
Der Wahl- und Einbürgerungsausschluss ist in Österreich also vergleichsweise sehr stark ausgeprägt. Die einfachste Erklärung dafür ist der Aufstieg des Rechstpopulismus seit 1986 und die Reaktion der konservativen Volkspartei darauf. Ende der 1990er Jahre besetzte die ÖVP das Thema Staatsbürgerschaft, das von Parteien der linken Mitte vernachlässigt worden war, um sich in der Konkurrenz zur FPÖ als österreich-patriotische Partei zu profilieren. Seither gab es, abgesehen vom Beamtenkabinett Bierlein, keine Regierung mehr ohne die ÖVP und diese war die treibende Kraft einer Serie von Novellen, die den Zugang zur Staatsbürgerschaft verschärften. Im derzeitigen Regierungsabkommen stehen erstmals keine Ankündigungen zu diesem Thema, weil es dazu keinen Konsens zwischen Grünen und ÖVP gibt. Die ÖVP hat ihre Position in dieser Frage so fest einzementiert, dass eine Liberalisierung derzeit nur von einer Koalition ohne Beteiligung der ÖVP zu erwarten wäre.
Es stellt sich jedoch die Frage, warum die ÖVP mit einer solchen illiberalen Position so lange erfolgreich sein konnte. Ich vermute, dass dies mit einem kulturell aufgeladenen Österreichpatriotismus zu tun hat, der den von der FPÖ noch unter Jörg Haider bedienten Deutschnationalismus marginalisiert hat und heute den Wähler*innen die rückwärtsgewandte Vision eines homogenen Kleinstaats von „echten Österreicher*innen“ vorgaukelt.
Blick über die Grenzen zeigt Alternativen
Ich habe bereits die Beispiele der Staaten erwähnt, in denen das kommunale Wahlrecht an die „Wohnbürgerschaft“ und nicht die Staatsbürgerschaft gekoppelt ist. Auch beim Zugang zur Staatsbürgerschaft könnte Österreich viel von anderen europäischen Staaten lernen, in denen ein bedingtes ius soli existieret, welches die „zweite Generation“ von Geburt an zu Staatsbürger*innen macht (Deutschland, Portugal, Belgien, Griechenland, Irland). Wir könnten uns auch an der großen Mehrzahl der europäischen Staaten orientieren, die das anachronistische Verbot der Doppelstaatsbürgerschaft bei Einbürgerung und bei Erwerb einer fremden Staatsbürgerschaft aufgegeben haben (z.B. in letzter Zeit Dänemark, Norwegen, Luxemburg und schon lange davor die Schweiz und Italien). Im europäischen Vergleich erreichen Schweden und Portugal die meisten Punkte beim inklusiven Zugang zur Staatsbürgerschaft. Es geht aber nicht darum, ein bestimmtes Modell zu kopieren. Schweden kennt etwa kein ius soli, gewährt aber dafür allen Minderjährigen, auch wenn sie nicht in Schweden geboren wurden, das Recht auf Staatsbürgerschaft nach drei Jahren durch bloße Erklärung der Eltern.
Initiativen für inklusiveres Wahlrecht nicht so schnell zu entmutigen
Die deutsch-mexikanische Forscherin Luicy Pedroza hat in einem internationalen Vergleich gezeigt, dass Initiativen für das kommunale Wahlrecht von Nichtstaatsangehörigen durch mangelnden politischen Erfolg meist nicht entmutigt werden. Auch dort, wo, wie in Deutschland und Österreich, ein Verfassungsgericht solche Wahlrechte aufgehoben hat, taucht die Forderung danach immer wieder in den Plattformen politischer Parteien oder in zivilgesellschaftlichen Initiativen auf. Natürlich liefert die Pass Egal Wahl von SOS Mitmensch weder ein repräsentatives Bild der politischen Präferenzen der vom Wahlrecht Ausgeschlossenen, noch werden solche Aktionen jene Parteien beeindrucken, die Reformen blockieren. Aber sie sind, ebenso wie Medienberichte über das dramatische Ausmaß des Wahlrechtsausschlusses in Österreich, wichtig, um das Meinungsbild in der Öffentlichkeit zu verändern und so den Boden für eine inklusive Demokratiereform zu bereiten.“
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