
Qualitäts- oder Dumpingstrategie?
Die wirtschaftlichen Startbedingungen für Schwarzblau sind ausgesprochen positiv. Wird das genutzt werden? Das Regierungsprogramm auf dem Prüfstand.
Kommentar: Markus Martebauer, Illustration: Petja Dimitrova
Selten hat eine Bundesregierung günstigere wirtschaftliche Startbedingungen vorgefunden als die Koalition aus ÖVP und FPÖ. Der Konjunkturaufschwung, der bereits 2015 einsetzte, hat in den letzten Quartalen markant an Dynamik gewonnen, die österreichische Wirtschaft wächst so stark wie seit zehn Jahren nicht mehr. Dies hat zwei erfreuliche Auswirkungen.
Erstens resultiert die Ausweitung von Produktion, Einkommen und Nachfrage in einem kräftigen Anstieg der Steuer- und Beitragseinnahmen und das ermöglicht einen raschen Rückgang von Budgetdefizit und Staatsschulden. Letztere waren durch Banken- und Finanzkrise von 65 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf 84 Prozent (2015) gestiegen, heuer liegen sie nur noch bei 74 Prozent und in drei Jahren wird das Vorkrisenniveau wieder unterschritten werden. Zweitens wächst im Aufschwung auch die Beschäftigung kräftig, im Jänner lag die Zahl der Jobs um 100.000 über dem Vorjahreswert und jene der Arbeitslosen sank um 40.000.
Die Politik braucht unter diesen günstigen Rahmenbedingungen einerseits wenig tun, um Erfolge zu feiern. Andererseits sind Phasen guter Konjunktur, sinkender Staatsschulden und Arbeitslosigkeit genau jene, in denen es ebenso notwendig wie leicht ist, die Weichen für die Zukunft zu stellen. Österreichs Wirtschaft steht – auch im internationalen Vergleich – sehr gut da, doch das macht die Herausforderungen nicht geringer: Etwa in der Verringerung der sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheit, in der Bewältigung des Klimawandels, in der Gestaltung der Digitalisierung und der Zukunft der EU oder in den Bereichen Integration, Bildung und Pflege, um nur einige der Wichtigsten zu nennen.
Nachdem der Bundeshaushalt „in Zahlen gegossene Wirtschaftspolitik“ darstellt, wird man wohl bis 21. März, dem Tag der Budgetrede, warten müssen, um konkret beurteilen zu können, wie die kurz- und mittelfristigen Weichenstellungen aussehen, die der neuen Bundesregierung vorschweben: Etwa welche Steuern wie umgestaltet werden und wem das zugutekommen bzw. wie es finanziert werden soll, oder welchen staatlichen Aufgabenbereichen in Hinkunft mehr und welchen weniger Budgetmittel zur Verfügung stehen sollen. Finanzminister Hartwig Löger blieb bislang mehr als unkonkret, sein Schlagwort vom „Sparen im System“, besonders bei Verwaltung und Förderungen, wurde schon in der Vergangenheit als Chiffre für „Sparen, aber wir wissen nicht wo“ verwendet. Die wenigen konkreten Kürzungsvorschläge, wie jene der Einsparungen bei Familienbeihilfen, die an im Ausland lebende Kinder gehen, erweisen sich nicht nur als sozial und wirtschaftlich eher undurchdacht, sondern auch als EU-rechtswidrig.
Milliarden durch Betrugsbekämpfung
Doch kommen wir zu Erfreulichem: Das Regierungsprogramm umfasst ein klares Bekenntnis zu aktiver Steuerbetrugsbekämpfung. „LuxLeaks“, „Panama Papers“ oder der jüngste Schattenfinanzindex zeigen, wie hoch der Handlungsbedarf ist, gerade in Österreich, das die Chance hätte, aus der Schmuddelecke zu kommen und ein Vorreiter der internationalen Bemühungen zur Eindämmung der Steuervermeidungsstrategien von Unternehmen und Vermögenden zu werden. Dabei müssten Bemühungen der OECD und der EU aktiv unterstützt, die Transparenz im Inland erhöht, einschlägige Doppelbesteuerungsabkommen rasch reformiert und nach deutschem Vorbild Steuer-CDs angekauft oder zumindest verwertet werden. Eine derartige Offensive der Betrugsbekämpfung würde die große Mehrheit der steuerehrlichen Unternehmen und Haushalte begünstigen und dem Budget einen Milliardenspielraum eröffnen. Für eine gewisse Irritation sorgt in diesem Zusammenhang die Ankündigung im Rahmen des „Sparens im System“, die Zahl der Steuerprüfer zu reduzieren: Mehr Betrugsbekämpfung mit weniger Betrugsbekämpfern?
Dumpingstrategie führt zu miesen Jobs
Eine entscheidende Weichenstellung steht in der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik bevor. Ihre Ausrichtung ist angesichts des schwelenden Streits zwischen Regierungsspitze und Sozialministerin noch nicht entschieden. Starkes Beschäftigungs- und Einnahmenwachstum würden eine aktive Investitionsstrategie erleichtern: Qualifizierung für Arbeitslose und prekär Beschäftigte, um sie in gute Jobs zu bringen, neue Schwerpunkte in der Fachkräfteausbildung, mehr Augenmerk auf Verbesserung der Vermittlung, gemeinnützige und kommunale Beschäftigung für ältere Langzeitarbeitslose („Aktion 20.000“), die sich schwer tun, unmittelbar auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
Das wäre die Qualitätsstrategie der Politik für bessere Jobs mit guten Einkommen, hochwertigen Arbeitsbedingungen und eine solidarische Gesellschaft, in der die Starken den Schwachen helfen. Dem steht ein Politikentwurf gegenüber, dessen wesentliche Charakteristika die Erhöhung des Drucks auf die Arbeitslosen, des Ersatzes der Notstandshilfe durch die Mindestsicherung mit Vermögensprüfung und fehlender Pensionsversicherung, längere zumutbare Wegzeiten, Anwerbung von Billigarbeitskräften von außerhalb der EU bilden und die durch eine Schwächung der Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen ergänzt wird. Diese Dumpingstrategie steht für miese Jobs, niedrige Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen und Entsolidarisierung. Hoffentlich setzt sich die Sozialministerin doch noch gegen die wirtschaftsliberalen Kräfte durch.
Eine Qualitätsstrategie wäre auch in der Behandlung von Asylberechtigten angesagt, denn die Erkenntnisse der empirischen Forschung sind klar: Je rascher und besser die Integration gelingt, desto günstiger die Aussichten für die Betroffenen und die Gesellschaft. In dieser Frage würde allzu großer Optimismus in Bezug auf die Regierungspolitik aber wohl leider mehr als konstruiert wirken.
Zur Regierung gehört übrigens auch eine Frauenministerin, wenn auch ohne konkretes Regierungsprogramm, denn dieses spricht Frauen im Wesentlichen nur in ihrer Rolle als Mütter an. Das eröffnet Juliane Bogner-Strauß vielleicht sogar mehr Spielraum als vielen anderen ihrer RegierungskollegInnen. Vielfältige Anregungen diesen im Sinne einer Qualitätsstrategie mit konkreten Maßnahmen auszunutzen bietet das Frauenvolksbegehren, für das bis 4. April Unterstützungserklärungen gesammelt werden.
Markus Marterbauer leitet die Wirtschaftswissenschaft in der AK Wien und bloggt auf https://www.awblog.at/
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