
Erfahrungen mit humanitärer Aufnahme - Rawad Zyadeh
Rawad Zyadeh arbeitet als Anwalt in Syrien als der Krieg ausbricht. Sein Haus wird zerbombt, seine Papiere eingezogen, er verliert alles und muss aufgrund seiner politischen Meinung in den Libanon fliehen. Er ist kurz davor die Hoffnung aufzugeben, als ein Resettlement-Programm ihn nach Deutschland bringt. Seine „goldene Chance“, wie er heute sagt.
Redaktion: Sonja Kittel, Foto: privat
Ein Anruf ändert alles
„Mein Name ist Rawad Zyadeh. Ich bin 38 Jahre alt und 2014 über ein Resettlement-Programm nach Deutschland gekommen. In meinem Geburtsland Syrien habe ich Jura studiert und einen Master in öffentlichem Recht gemacht. Danach arbeitete ich für ein paar Jahre als Rechtsanwalt. Dann kam der Krieg und da ich wegen meiner politischen Meinung verfolgt wurde, musste ich illegal in den Libanon fliehen. Ich habe mich gleich beim UNHCR gemeldet. Nach sechs Monaten riefen sie an und fragten, ob ich an einem humanitären Aufnahmeprogramm von Deutschland teilnehmen möchte. Ich habe zugesagt und konnte meine Familie in meine Akte aufnehmen. Meine Eltern, meine Geschwister und ich sind dann durch das ganze Verfahren gegangen.
„Integrationsfähigkeit“ als wichtiges Kriterium
Meine ganze Familie sind Akademiker*innen. Mein Vater hat in den siebziger Jahren in Leipzig studiert und ist dann nach Syrien zurückgekehrt. Uns wurde gesagt, dass unsere Integrationsfähigkeit ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl für das Programm sei und uns diese Nähe zu Deutschland helfen könnte, sowie die Tatsache, dass wir politisch verfolgt wurden. Wir bekamen dann tatsächlich die Zusage aus Deutschland und im Januar vor acht Jahren saßen wir gemeinsam mit anderen Resettlement-Flüchtlingen in einem Charterflug nach Kassel. In Deutschland gab es drei humanitäre Aufnahmeprogramme zwischen 2013 und 2015. Wir waren in der zweiten Gruppe.
„Ich hatte ein gutes Leben“
Für mich war das eine goldene Chance. Vor dem Bürgerkrieg hatte ich ein gutes Leben in Syrien und genoss auch auf gesellschaftlicher Ebene einen gewissen Respekt als Anwalt. Dann habe ich alles verloren, meine Freunde, mein Geld, einen Teil meiner Familie. Unser Haus wurde zerbombt. Im Libanon musste ich mich als Kellner durchschlagen und konnte gerade das verdienen, was ich zum Leben brauchte. Auch mein Pass und all meine Dokumente wurden von den syrischen Behörden eingezogen. Ich hatte die Hoffnung fast aufgegeben, als die Zusage für das Resettlement kam. Ein Mitarbeiter von der deutschen Botschaft hat alles für mich geklärt. Er hat mir ein Passersatzpapier mit dem Visum organisiert und wir konnten nach Deutschland ausreisen. Ich habe damals eine zweite Chance aufs Leben bekommen.
„Wir hatten Glück“
Bei der Reise vom Libanon nach Deutschland wurden wir von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) unterstützt. In einer Erstaufnahmeeinrichtung in Bramsche, Niedersachsen absolvierten wir einen einwöchigen Orientierungskurs, dann wurden alle Teilnehmer*innen in verschiedene Bundesländer und Landkreise verteilt. Die Behörde hatte für uns eine Wohnung bereitgestellt, mehr offizielle Unterstützung gab es nicht. Der Bürgermeister des kleinen Dorfes, in das wir kamen, wusste von unserer Ankunft. Er hat uns mit seiner Frau in der Wohnung erwartet und uns gleich zum Jahresempfang der Gemeinde eingeladen. Mein Vater hat dort einen Vortrag über Syrien gehalten, er konnte ja schon Deutsch. Viele Anwesende kamen auf uns zu und haben gefragt, welche Bedürfnisse wir haben. Sie kamen in den nächsten Monaten immer wieder und haben uns geholfen mit dem Papierkram, der Ausländerbehörde und dem Jobcenter. Wir hatten Glück. Die Kontakte sind bis jetzt aufrecht und wir sind Freunde geworden. Ich habe vor drei Jahren hier in Deutschland geheiratet und alle waren eingeladen.
Hohe Motivation von Anfang an
Meine Motivation war von Anfang an sehr hoch. Ich wollte alles schnell erledigen und auch die Sprache schnell lernen. Nach einem Jahr hatte ich C1-Niveau. Gleichzeitig habe ich mich ehrenamtlich engagiert, als Dolmetscher in der Flüchtlingshilfe. Dieses Engagement hat mir viele Kontakte für mein Berufsleben gebracht. Die Anerkennung meiner Ausbildung ist nicht so einfach, da Rechtsanwalt ein reglementierter Beruf ist. Ich müsste zahlreiche Examen nachholen, habe aber dafür momentan keine Zeit. Mein erster Job in Deutschland war beim Jugendamt als Betreuer von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Dann habe ich beim Deutschen Roten Kreuz Asylsuchende bei ihrem Asylverfahren beraten. Seit drei Jahren bin ich beim Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge ins Schleswig-Holstein angestellt.
Staatsbürgerschaft nach sechs Jahren
Ich habe neben der Arbeit einen Master in „Migration und Diversität“ an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel gemacht und meine Masterarbeit zum Thema Resettlement geschrieben. Seit eineinhalb Jahren arbeite ich im Bereich der Fachkräfteeinwanderung. Parallel habe ich Ende 2016 mit Bekannten und Freunden einen gemeinnützigen Verein gegründet. Er nennt sich „Syrische Gemeinde in Schleswig-Holstein“. Das Hauptthema nach innen ist Integration und nach außen die Interessen gegenüber Politik und Gesellschaft zu vertreten. Seit zwei Jahren bin ich deutscher Staatsbürger. Wenn man besondere Integrationsleistungen erbracht hat, kann man die Staatsbürgerschaft nach sechs statt nach acht Jahren Aufenthalt bekommen. Außerdem muss man ausreichend gut Deutsch sprechen und sich selbst erhalten können. Das alles war bei mir der Fall.
„Humanitäre Aufnahmeprogramme retten Leben“
In weiterer Zukunft möchte ich mich auf beruflicher Ebene weiterentwickeln und meinen Verein unterstützen. 2017 habe ich ein Stipendium vom deutschen Bundestag bekommen und durfte einen Monat lang die Bundestagswahlen vor Ort erleben. Das hat mein politisches Interesse geweckt. Ich will mich politisch engagieren und mein Wissen und meine Erfahrungen über humanitäre Aufnahmeprogramme teilen. Auch andere schutzbedürftige Personen sollen diese Chance bekommen. Humanitäre Aufnahmeprogramme machen Sinn, weil sie Leben retten.“
Rawad Zyadehs Experten-Statement findet sich hier.
Bist auch du über ein humanitäres Aufnahmeprogramm nach Österreich oder in ein anderes europäisches Land gekommen und möchtest die humanitäre Aufnahmeinitiative von SOS Mitmensch unterstützen? Dann sende uns eine E-Mail an: [email protected]
SOS Mitmensch hat gemeinsam mit Expert*innen und Betroffenen eine große Kampagne für die Wiederaufnahme von humanitären Aufnahmeprogrammen für besonders schutzbedürftige Menschen gestartet. Wir wollen die humanitäre Tradition Österreichs wiederbeleben und Menschenleben retten!
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