
Vizerektor Zendron: „Studierende und geflüchtete Menschen nicht gegeneinander ausspielen“
Der Vizerektor der Kunstuniversität Linz, Rainer Zendron, übt deutliche Kritik an Aussagen des oberösterreichischen Landeshauptmanns Josef Pühringer, wonach Studierende ohne große Probleme vom gekürzten Mindestsicherungsbetrag für anerkannte Flüchtlinge leben könnten. Zendron bezeichnet es in einem Schreiben an die Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch als „unakzeptabel“, dass „unterschiedliche Personengruppen mit ganz verschiedenen Voraussetzungen gegeneinander ausgespielt werden“.
Universität Linz als „Alibi“ für Mindestsicherungskürzung
Hintergrund der Stellungnahme von Zendron: Am 16. Juni wurde vom oberösterreichischen Landtag eine massive Kürzung der Mindestsicherung für Asyl- und Schutzberechtigte beschlossen. Gerechtfertigt wurde diese Kürzung von politischer Seite unter anderem mit der Behauptung, dass auch Studierende mit so wenig Geld auskommen würden. Die oberösterreichische ÖVP verweist diesbezüglich auf die Johannes Kepler Universität Linz, auf deren Webseite als monatliche Grundkosten für ausländische Studierende 550 bis 700 Euro angegeben werden. Doch Vizerektor Zendron betont, dass diese Beträge nicht auf geflüchtete Menschen übertragbar seien.
Vergleich zwischen Studierenden und Flüchtlingen hinkt
„Die auf der Homepage der Johannes Kepler Universität genannten Grundkosten für ausländische Studierende für Verpflegung und Unterkunft in unserem Land gehen verständlicher Weise von deutlich anderen Voraussetzungen aus, als den Ausgaben mit denen Asylberechtigte konfrontiert sind“, erklärt Zendron. „So muss man leider feststellen, dass geflüchtete Menschen im Regelfall weder über einen unterstützenden finanziellen Hintergrund von Familienangehörigen verfügen, worüber ausländische Studierende in der Regel überproportional verfügen, noch, dass es Flüchtlingen möglich war, Kleidung und Hausrat mitzubringen, deren Bedarf verständlicher Weise in die 550 bis 700 Euro der Uni-Homepage nicht eingerechnet wurde“, so der Vizerektor der Kunstuniversität Linz.
Studierende haben Kosten von 928 Euro
Laut einer Erhebung des Instituts für Höhere Studien liegen die durchschnittlichen monatlichen Ausgaben von Studierenden in Österreich bei 928 Euro. Laut dem im Auftrag des Wissenschaftsministeriums erstellten „Bericht zur sozialen Lage von Studierenden“ beträgt das durchschnittliche Gesamtbudget, das österreichischen Studierenden zur Verfügung steht, 1.130 Euro im Monat. Hinzu kommt, dass Studierende oftmals vergleichsweise günstige Wohnmöglichkeiten haben, etwa bei den Eltern oder im Studierendenheim. Auf der anderen Seite stehen zusätzliche Kosten für Studierende, etwa durch Studiengebühren (siehe den Faktencheck unten).
Rettender zivilgesellschaftlicher Einsatz
Zendron, der an seiner Universität als Kontaktperson für die Integration von Flüchtlingen im Rahmen des MORE-Programms der Österreichischen Universitätenkonferenz fungiert, betont, dass der Einsatz und die Hilfsbereitschaft von Studierenden und Lehrenden der sechs Linzer Universitäten und Hochschulen gegenüber Flüchtlingen und AsylwerberInnen überwiegend vorbildlich sei. „Ohne deren zivilgesellschaftlichen Einsatz hätte die öffentliche Versorgung der Flüchtlinge versagt. Es ist an der Zeit, dass die öffentliche Hand ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen uneingeschränkt nachkommt“, fordert Zendron.
Hier der Faktencheck von SOS Mitmensch auf Basis des von Vizekanzler und Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner selbst kürzlich herausgegebenen Berichts zur sozialen Lage von Studierenden:
- während die Mindestsicherung für Asyl- und Schutzberechtigte in Oberösterreich auf 560 Euro heruntergekürzt wurde und der reguläre Mindestsicherungssatz 914 Euro beträgt, betragen die durchschnittlichen monatlichen Ausgaben von Studierenden 928 Euro im Monat - zu berücksichtigen sind hier auf der einen Seite zusätzliche Kosten für Studierende, wie etwa Studiengebühren, und auf der anderen Seite günstigere Wohnmöglichkeiten für Studierende, etwa bei den Eltern oder im Studierendenheim
- die obige Grafik zeigt, dass auch bei sehr jungen (unter 21-jährigen) Studierenden, die relativ oft bei Eltern oder in Studierendenwohnheimen wohnen und daher vergleichsweise weniger fürs Wohnen ausgeben müssen, die durchschnittlichen monatlichen Ausgaben zwischen 600 und 700 Euro betragen
- 1.130 Euro im Monat beträgt das durchschnittliche Gesamtbudget, das einer/einem österreichischen Studierenden zur Verfügung steht
- der Verweis von Mitterlehner und der ÖVP-Oberösterreich auf die Angaben auf der Webseite der Uni Linz, wonach ausländische Studierende in Linz mit monatlichen Kosten zwischen 550 und 700 Euro zu rechnen hätten, ist ebenfalls irreführend. Diese Angaben beziehen sich laut Auskunft der Uni Linz ausschließlich auf Studierende, die nur für maximal ein Semester kommen und mit diesem Geld lediglich die Kosten für Studierendenwohnheim, Verpflegung und kleinere Alltagsausgaben bewältigen müssen, aber keine Einrichtungsgegenstände, Kleidung oder Geräte bezahlen oder sich eine Wohnung bzw. ein Zimmer am regulären Wohnungsmarkt suchen und eventuell sogar Kaution bezahlen müssen.
- dazu eine weitere wichtige Zahl: aus dem Ausland kommende Studierende über 24 Jahre müssen, um eine Aufenthaltserlaubnis in Österreich zu erhalten, ein monatlich verfügbares Geld von 872,31 Euro nachweisen.
- die durchschnittlichen Wohnkosten für Studierende, die nicht bei ihren Eltern wohnen, betragen in Linz 397 Euro. Selbst Studierende, die in Wohngemeinschaften leben, müssen durchschnittlich 317 Euro im Monat zahlen.
- das alles heißt nicht, dass es Studierende leicht haben - im Gegenteil, viele müssen neben dem Studium arbeiten, um über die Runden zu kommen.
- einem anerkannten Flüchtling, der, wie von Mitterlehner und der ÖVP Oberösterreich vorgeschlagen, aus der bisherigen Wohnung auszieht und in eine Wohngemeinschaft einzieht, blieben im Regelfall also nur etwa 240 Euro im Monat – sprich 8 Euro am Tag – übrig, um für sämtliche über die Miete hinausgehenden Lebenshaltungskosten, wie Essen, Hygieneartikel, Telefonkosten, Mobilitätskosten, Kleidung, Einrichtungsgegenstände, etc. aufzukommen. Von Freizeitaktivitäten gar nicht zu sprechen.
- nicht ohne Grund wurde die Mindestsicherung, also der Mindestbetrag, der gerade noch ein würdevolles Leben ermöglicht, in allen Bundesländern nicht mit 560 Euro, sondern, je nach Bundesland, zwischen 828 Euro (Burgenland) und 914 Euro (Oberösterreich) festgelegt. In Tirol und Vorarlberg werden sogar die tatsächlichen Wohnkosten von der Mindestsicherung abgedeckt.
- der volle MIndestsicherungsbetrag wird ausschließlich an mittellose, arbeitswillige Menschen ausbezahlt - im Regelfall übrigens 12mal im Jahr und nicht, wie etwa eine Pension (die auch sehr niedrig sein kann) 14mal im Jahr.
- In Oberösterreich erhalten Asyl- und Schutzberechtigte, die mittellos und arbeitswillig sind, aber keinen Job haben, durch die Kürzung der Mindestsicherung nun von einem Tag auf den anderen um fast 40 Prozent weniger Unterstützungsleistung. Die Betroffenen werden eiskalt in tiefe existentielle Nöte gestürzt. Und sie werden in zynischer Manier gegen andere Armutsbetroffene und gegen Studierende ausgespielt.
SOS Mitmensch hat sich gemeinsam mit vielen anderen gegen diese Politik der sozialen Spaltung und der Erzeugung tiefer Armut eingesetzt. Noch vor der Abstimmung des oberösterreichischen Landtages, wo die Kürzung schlussendlich mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ beschlossen wurde, haben wir eine Petition mit mehr als 6.800 Unterschriften an den Landtagspräsidenten überreicht. Unser Einsatz geht weiter!
SOS Mitmensch-Sprecher Alexander Pollak im Gespräch mit dem Präsidenten des oberösterreichischen Landtages Viktor Sigl
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