
Verbotene Empathie
HANDLUNGSBEDARF. Geflüchtete werden so radikal abgewertet wie noch nie. Teile der Politik verweigern inzwischen jegliche Empathie. Das hat Folgen – für alle.
Text: Alexander Pollak
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Es gibt in Teilen der Politik ein neues Tabu. Empathie mit Geflüchteten zu zeigen, ist strengstens verboten. Das gilt nicht nur für die FPÖ, die geflüchtete Menschen ins Zentrum ihrer Feindbildpolitik stellt und tagtäglich mit radikalen Abwertungen, Häme und Hass arbeitet. Auch eine Partei wie die ÖVP, die sich ansonsten „Familienpartei“ nennt, dämonisiert inzwischen das Familienleben von geflüchteten Menschen. ÖVP-Regierungsmitglieder schrecken dabei nicht davor zurück, eine Studie, die viele positive Effekte von Familienzusammenführungen aufzeigt, verzerrt wiederzugeben und ins Negative zu verkehren, um ihre Politik der Einschränkung des Rechts aufs Familienleben zu rechtfertigen. SPÖ und Neos tragen dieses Schauspiel teils schweigend, teils auch aktiv unterstützend mit.
Es zeigt sich: In Zeiten mannigfaltiger Krisen und budgetärer Kürzungen ist kaum noch eine Partei vor Sündenbockpolitik gefeit. Mit der Aussetzung des Familiennachzugs wurde der aktuelle Sündenbock klar markiert – ohne dass auch nur ein einziges Wort des Bedauerns gegenüber den Menschen geäußert wurde, deren Hoffnungen auf ein gemeinsames Leben mit ihrer engsten Familie nun auf die lange Bank geschoben oder ganz zertrümmert wird. Ähnliches passiert in Zusammenhang mit Sozialleistungen. Geflüchtete werden kollektiv zu Personen erklärt, die unwürdig sind, jenes Minimum zu erhalten, von dem angenommen wird, dass es Menschen brauchen, um hierzulande halbwegs würdevoll über die Runden zu kommen. Auch die medizinische Versorgung von Geflüchteten wird inzwischen attackiert – wiederum mit dem klaren Ziel, einen Sündenbock für Engstellen im Gesundheitssystem präsentieren zu können.
Niemand bestreitet die enormen Herausforderungen, die die großen Fluchtbewegungen der vergangenen Jahre mit sich gebracht haben. Doch es ist eine grobe Verzerrung der Realität, wenn nun die vielen positiven Dinge, die gelungen sind, verleugnet werden. Dabei könnte Österreich stolz sein, dass zigtausenden Menschen neue Perspektiven gegeben wurden, stolz sein, dass zwei Drittel der Menschen, die vor zehn Jahren als Geflüchtete kamen, heute in Beschäftigung sind. Fast 78 Prozent der Männer und 38 Prozent der Frauen, die 2015 gekommen sind, gehen laut ÖIF-Arbeitsmarktstudie einer bezahlten Arbeit nach. Das ist nicht perfekt, aber durchaus beachtlich. SOS Mitmensch hat einige dieser Menschen auf der Webseite www.hierangekommen.at porträtiert. Doch der öffentliche Diskurs wird nahezu ausschließlich von schockierenden Kriminalitätsfällen dominiert, die es auch gibt.
Auch im Schulbereich wird nicht über jene jungen Menschen gesprochen, die trotz aller Hürden Bildungsabschlüsse geschafft haben, sondern nahezu ausschließlich über jene Minderheit, die mit ihrem Leben schlecht zurechtkommt und Probleme macht. Befeuert wird diese Verzerrung von Boulevardmedien, die mit Negativschlagzeilen ein gutes Geschäft machen, von sozialen Medien, die Generalisierungen und Hass pushen, und von Parteien, die alle Krisen der Gegenwart auf einen einzigen Faktor zurückführen wollen, nämlich einen, der sich zur Spaltung und Aufwiegelung – und Ablenkung von den eigentlichen großen Krisenursachen – eignet. Es ist tatsächlich zu einer Challenge geworden, nicht blind für das zu werden, was funktioniert, nicht empfänglich für die Sündenböcke und einfachen Antworten zu werden, die uns als Krisenursache vorgesetzt werden, und sich nicht den neuen Empathieverboten zu beugen. Wenn wir diese Challenge nicht bestehen, droht eine Kältewelle in unserer Gesellschaft, die am Ende des Tages alle trifft.
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