
„Von Inklusion sind wir weit entfernt“
NACHGEFRAGT. In Österreich haben Jugendliche mit Behinderung bisher keinen Rechtsanspruch auf ein elftes und zwölftes Schuljahr. Ursula Fehringer, Obfrau des Vereins Familiennetzwerk Down Syndrom, berichtet über den Kampf um einen Schulplatz für ihren Sohn Elias und was es österreichweit für mehr gesellschaftliche Teilhabe bräuchte.
Interview: Milena Österreicher.
Ein Beitrag im neuen MO - Magazin für Menschenrechte.
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Im März wurden Sie und die Eltern dreizehn weiterer beeinträchtigter Schüler:innen am Bildungscampus in Vöcklabruck benachrichtigt, dass Ihre Kinder ab Herbst nicht mehr in ihre Schule gehen können. Wie kam es dazu?
Beim Elternabend wurde uns überraschend von der Direktorin, dem Finanzreferenten der Gemeinde und einer Vertreterin der Bildungsdirektion mitgeteilt, dass unsere Kinder, die einen sonderpädagogischen Förderungsbedarf haben, wegen Platzmangels und mangelnder Ressourcen ab 4. Juli nicht mehr die Schule besuchen könnten.
Wie hat Ihr Sohn auf diese Nachricht reagiert?
Anfangs wollte ich es ihm gar nicht sagen, denn ich wusste, wie schlimm das für ihn werden würde. Als ich es schließlich tat, schloss er sich im Badezimmer ein und schrie: Ich muss noch lernen, ich will meine Freunde sehen!
Was passierte danach?
Ich habe mich an die Medien gewandt, denn wir waren verzweifelt und ich wollte das nicht akzeptieren. Warum haben unsere Kinder nicht die gleichen Chancen auf Bildung wie andere? Sie brauchen gerade in der Jugend soziale Kontakte. Zudem sind viele der Eltern berufstätig und können ihre Kinder nicht entsprechend zuhause betreuen. Ende März kam dann die überraschende Nachricht, dass die Schule vom Land und der Gemeinde mehr Ressourcen zur Verfügung gestellt bekommt und unsere Kinder weitermachen können. Nun sollen zwei Container aufgestellt werden, in denen die Jugendlichen dann ab Herbst weiter unterrichtet werden.
Die aktuelle Regierung plant einen Rechtsanspruch auf ein elftes und zwölftes Schuljahr für Kinder mit Behinderung. Gibt Ihnen das Hoffnung?
Es wäre wichtig, dass dies nun so rasch als möglich umgesetzt wird. Es wurde allerdings noch nicht abgesegnet und auch mit dem Zusatz versehen, dass der Anspruch nur kommt, wenn es das Budget zulässt.
Was braucht es aus Ihrer Sicht noch im Bereich Inklusion?
In unserem Verein „Familiennetzwerk Down Syndrom“ sind über tausend Eltern aus ganz Österreich. Sie berichten von zahlreichen Baustellen: Viele Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf bräuchten ein zusätzliches Kindergartenjahr, denn ihr Reifeprozess ist ein anderer. Momentan werden die meisten mit sechs Jahren eingeschult, egal wie ihr Entwicklungsstand zu diesem Zeitpunkt ist. Es fehlt zudem an ausreichend sonderpädagogischem Personal. Wir brauchen auch dringend mehr integrative Arbeitsplätze. Man meint in Österreich immer noch, dass Menschen mit Behinderung am besten irgendwann in einer Werkstätte unterkommen. Dabei könnten viele am regulären Arbeitsmarkt aktiv sein, wenn die Arbeitsplätze entsprechend angepasst sind. Österreich hat 2008 die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Von Inklusion sind wir in so vielen Bereichen aber weiterhin weit entfernt. Die meisten Menschen mit Behinderung haben hierzulande immer noch kaum Teilhabe in der Gesellschaft.
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