
„Was wie von wem produziert wird, bestimmen immer noch Männer“
Auch nach fast 50 Jahren Frauenbewegung ist die Teilhabe von Frauen begrenzt. Die Politologin und Ökonomin Gabriele Michalitisch über männliche Firmenchefs, weibliche Ein-Personen-Unternehmen und was von der schwarz-blauen Regierung noch zu erwarten ist.
Interview: Ina Freudenschuß, Fotos: Karin Wasner
Sie beobachten die Geschlechterverhältnisse seit vielen Jahren. In welchem Gesellschaftsbereich gibt es Ihrer Meinung nach die größten Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen?
Ich habe einen integrativen Zugang, das Ökonomische ist aus meiner Sicht nicht vom Sozialen und auch nicht vom Kulturellen zu trennen. Von der Vorstellung, dass irgendetwas ohne Ökonomie geht, mussten wir uns spätestens im neoliberalen Zeitalter verabschieden. Und ja, in Bezug auf Gleichstellungsfragen ist die Ökonomie immer noch der Kernbereich. Es gibt kaum Veränderungen im Hinblick auf Einkommensdifferenzen oder auch darauf, wer über Kapital verfügt. Die Frage, was produziert wird, liegt immer noch ungebrochen in Männerhand. Der Unternehmenssektor ist männlich. Die Wirtschaftskammer behauptet zwar stolz, dass ein Drittel der UnternehmerInnen weiblich sei. Aber wenn man sich diese Unternehmen genauer anschaut, dann sind das fast alles Ein-Personen- und Kleinstunternehmen. Von Kapital kann hier keine Rede sein.
Was hat sich in den letzten 50 Jahren verbessert?
Ganz klar die rechtliche Situation von Frauen. Auch das Ernährer-Modell hat sich weitgehend aufgelöst. Bei letzterem kann man natürlich streiten, ob es eine Verbesserung darstellt - ich würde sagen, ja. Es ist immer noch besser teilzeitbeschäftigt zu sein, als gar nicht erwerbstätig zu sein. Die ökonomische Unabhängigkeit von Frauen gegenüber Männern hat sich gegenüber den 1970ern sehr wohl erhöht. Dennoch hat dies nichts an der ungleichen Verteilung der Ressourcen der Gesellschaft geändert – im Hinblick auf Kapital, Vermögen und Einkommen.
Medial ist Gleichstellung aber auch die Auseinandersetzung mit Sexismus in den letzten 10 Jahren stärker präsent. Ich denke dabei an Femen, die Slutwalks, #aufschrei, jetzt auch #metoo. Sorgen diese Debatten für einen respektvolleren Umgang zwischen Frauen und Männern?
Ja, aber die Effekte können schwer gemessen werden. Meine persönliche Beobachtung ist, dass sie ambivalente Folgen haben. Gerade #metoo wird von vielen Männern ja auch sehr stark abgewehrt und als ein „Zuviel an Political Correctness“ verunglimpft.
Auch von Frauen, wie der Brief der 100 Französinnen zeigt, der ein „Recht auf Belästigung“ für Männer einforderte.
Sexuelle Belästigung hat etwas mit Hierarchisierung in der Gesellschaft zu tun. Das Wichtige an #metoo ist ja, dass es zeigt, wie die Geschlechter in den Alltagspraktiken hierarchisiert sind. Es geht nicht darum, dass Männer nicht wissen, wann sie belästigen.
Konträr zu den medialen Debatten stehen die realen politischen Verhältnisse: Trump in den USA, die Orbanisierung Europas, nun auch noch Schwarz-Blau II in Österreich. Könnte dieser rechts-konservative Ruck quer durch die westlichen Gesellschaften auch bereits erreichte Frauenrechte bedrohen?
Ja, wir stehen vor dem Problem, dass die Rechten eine grundlegende Re-Naturalisierung der Geschlechter propagieren. Im Schwarz-Blauen Regierungsprogramm steht beispielsweise geschrieben: „Die Unterschiede der Geschlechter machen den Mehrwert für die Gesellschaft sichtbar“ (sic!). Die Familie sei Mann und Frau und die gemeinsamen Kinder, so wird das definiert. Diese angeblich unterschiedliche Natur der Geschlechter bedeutet nicht nur, dass Frauen primär als Mütter definiert werden, sondern auch, dass jeglicher Frauenförderung z.B. im technischen Bereich ihre Sinnhaftigkeit abgesprochen wird – es heißt dann: „Das ist halt nix für Frauen“.
Der Teil sticht hervor, ansonsten orientiert sich das Programm hinsichtlich der Frauenforderungen aber doch sehr stark an seinen Vorgängern.
Das sehe ich nicht so. Es ist überhaupt keine Rede von Frauenförderung, außer in der Wissenschaft. Und auch hier geht es nur um Vereinbarkeit. Gewalt kommt nur in Verknüpfung mit Migration vor, es gibt weder ein Bekenntnis zur Gleichstellungspolitik noch zu Gender Mainstreaming. Das einzige, von dem zu lesen ist, ist Vereinbarkeitspolitik. In der Praxis sehen wir ja bereits in Oberösterreich, wie es läuft. Es wird auch auf Bundesebene so kommen, dass unliebsamen Frauenorganisationen die Förderungen gestrichen werden. Das ist schon eine massive Verschiebung im Vergleich zu früher.
Was könnten aus dieser Position der renaturalisierten Geschlechter für Politiken entstehen?
Ganz klar, Frauen raus aus dem Arbeitsmarkt. Diese Agenda werden wir zwar so nicht hören, aber die Effekte, die durch die Aushöhlung der Sozialleistungen und der öffentlichen Infrastruktur geschehen, werden genau dazu führen. Wenn die Kosten für die Kinderbetreuung wie jüngst in Oberösterreich so stark angehoben werden, dass sie für ein Teilzeiteinkommen nicht mehr leistbar sind, dann werden diese Frauen dem Arbeitsmarkt fernbleiben. Die Verteuerung der Kinderbetreuung ist ein Anreiz für Frauen, zuhause zu bleiben. Alle Formen von individualisierten Transferleistungen wie zum Beispiel das Pflegegeld – auch eine Idee von Schwarz-Blau I – fördern, dass Frauen zuhause bleiben. Sie ermöglichen es letztlich, diese Sozialausgaben zu kürzen.
Weiters ist zu befürchten, dass das Ehegatten-Splitting (Anm.: ein Einkommensteuermodell von zusammen veranlagten Ehegatten bzw. LebenspartnerInnen) kommt. Das wäre katastrophal für die Erwerbstätigkeit von Frauen, weil bei diesem Modell die steuerliche Vergünstigung umso größer wird, je höher die Einkommensdifferenz der beiden PartnerInnen ist. Vor Jahren schon hat sich die FPÖ dafür eingesetzt, und die ÖVP ist dem Modell sicher nicht abgeneigt. Das Argument wird wohl Familienförderung sein, wie ja jetzt auch schon mit Familie argumentiert wird: Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld und Mindestsicherung werden gekürzt, aber die Reichen bekommen einen Familienbonus. Hier sieht man besonders gut, wie das Neoliberale und das Rechtskonservative ineinandergreifen.
Ist so eine Agenda der Verdrängung von Frauen aus dem Arbeitsmarkt unter den neoliberalen Vorzeichen der Bundesregierung aber auch der EU wirklich denkbar?
Dass das möglich ist, zeigt ja schon seit geraumer Zeit der gesamte osteuropäische Raum. Und die ÖVP ist ja nicht nur neoliberal sondern auch eine konservative Partei. Die Ideale von Mutterschaft und traditioneller Weiblichkeit finden sich auch bei der FPÖ und den Burschenschaften. Neoliberale Politik geht einher mit einer Rhetorik der Freiheit, die tatsächlich eine große Lüge ist, weil die ökonomischen Zwänge ja immer stärker werden. Ersichtlich wird das bei der Schwarz-Blauen Frauen- und Familienpolitik: Es gibt diese Vereinbarkeitsrhetorik, aber kein Bekenntnis zur Umverteilung der Hausarbeit oder der Betreuungspflichten. Denn das wäre dann eine staatliche Intervention und aus deren Sicht „böse“.
Neoliberal meint aber doch auch, Geschlecht und Ethnie ist egal, solange die Leistung und die Verfügbarkeit der ArbeitnehmerInnen stimmt. Was hat eine Wirtschaftspartei davon, plötzlich wieder eine naturalistische Geschlechteridentität aufzublasen?
Wir haben in Europa seit Jahren enorm hohe Arbeitslosenzahlen. Es ist grundsätzlich im Interesse der jeweiligen Regierungen, diese Zahlen geringer aussehen zu lassen. Bereits jetzt werden die Arbeitslosenzahlen beschönigt – tatsächlich ist die Arbeitslosenzahl fast doppelt so hoch wie behauptet. Offiziell gibt es in Österreich rund 330.000 Arbeitslose. Nicht hinzugezählt werden hier die 70.-80.000 Menschen in Schulungen und auch nicht die 130.000 Menschen der „stillen Reserve“ (Anm: Arbeitslose, die keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben und sich daher nicht arbeitslos melden). Zudem gibt es sehr viele Teilzeitbeschäftigte, die aber eigentlich eine Vollzeitstelle suchen. Somit kommen wir in Österreich auf mindestens 200.000 zusätzliche Arbeitslose. In Ländern wie Griechenland oder Spanien ist de facto die Hälfte der Bevölkerung arbeitslos. Da ist es doch naheliegend, die Frauen aus dem Arbeitsmarkt hinauszudrängen.
Jetzt im Frühling startet die Neuauflage des Frauenvolksbegehrens – 21 Jahre nach dem ersten Volksbegehren mit frauenspezifischen Forderungen. Wie schätzen sie den Forderungskatalog ein – und wie durchsetzungsfähig halten sie das Volksbegehren im Österreich von 2018?
Die Forderungen sind richtig. Ich gehe auch davon aus, dass über 100.000 Unterschriften zusammenkommen werden, damit das Volksbegehren im Parlament behandelt wird. Leider kann man den systematischen Zusammenhang von Geschlechterverhältnissen über einen Forderungskatalog nicht vermitteln. Es geht aber darum, eine andere Perspektive in den politischen Diskurs einzubringen.
Die Kritik lautet, dass die Forderungen teilweise zu spezifisch bzw. zu radikal sind, weshalb eine breite Zustimmung eher unwahrscheinlich ist. Zum Beispiel die Forderung nach Abtreibung auf Krankenschein oder auch die allgemeine Arbeitszeitverkürzung.
Radikal kann ich daran nichts finden. Auch die Forderungen des ersten Frauenvolksbegehrens waren zum Teil sehr spezifisch. Aber es stimmt, dass reproduktive Rechte im ersten Volksbegehren nicht thematisiert wurden. Ich würde sagen, es war 1997 vielleicht auch nicht nötig. Im Jahr 2018 steht das Abtreibungsrecht jedoch definitiv zur Disposition. Gerade deshalb ist es wichtig, dass reproduktive Rechte im Frauenvolksbegehren drinnen stehen.
1997 unterschrieben 644.665 Personen das Frauenvolksbegehren. Werden es 2018 mehr oder weniger sein?
Das weiß ich nicht. Mehr als 100.000 müssen es werden. Es gibt eine starke Gegenbewegung zu den aktuellen politischen Entwicklungen und die muss mobilisiert werden. Aber andererseits: Wir haben jetzt eine amtierende Frauenministerin, die das Frauenvolksbegehren sicher nicht unterschreiben wird.
Ina Freudenschuß war Journalistin bei dieStandard.at und frauenpolitische Referentin bei den Grünen.
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