
Zehn Jahre danach – Zaifulla Nazari: „Ich kenne jede Straße dieser Stadt“
Zaifulla Nazari flüchtete im Jahr 2015 aus Afghanistan nach Österreich und wartete sechseinhalb Jahre auf einen positiven Asylbescheid, der nie kam. Er lernte Deutsch, holte den Pflichtschulabschluss nach und konnte in Linz mit der Rot-Weiß-Rot-Karte ein neues Leben beginnen.
Redaktion & Fotos: Sonja Kittel
Schwierige Anfangszeit
„Ich bin Zaifulla Nazari, 33 Jahre alt und komme aus Afghanistan. Ich bin Muslim und lebte in Badakshan, an der Grenze zu China und Tadschikistan. Das ist fast 14 Auto-Stunden von der Hauptstadt entfernt. Ich konnte nicht bleiben, weil es aufgrund des Kriegs und der politischen Situation nicht mehr sicher war. Mein Weg nach Österreich hat fast ein Jahr gedauert. Von Afghanistan durch Pakistan in den Iran. Dort arbeitete ich eine Zeitlang, um mir die Weiterfahrt leisten zu können, so wie dann auch in der Türkei. Von Griechenland ging es letztendlich nach Österreich. Die schwerste Zeit hier war die Anfangszeit. Ich durfte nicht arbeiten und keine Ausbildung machen. Sechseinhalb Jahre war ich im Asylheim und wartete auf einen positiven Bescheid. Doch mein Asylantrag wurde zweimal abgelehnt. Sie haben mir gesagt, du bist jung, dein Leben ist in Afghanistan nicht in Gefahr. Du hast schnell Deutsch gelernt, bist fleißig und kannst auch dort über die Runden kommen. Aber ich hatte dort keine Sicherheit und keine Perspektiven.
„Ich durfte keine Lehre machen“
In Österreich war ich gut integriert, hatte Deutschkurse bis B1 gemacht und den Pflichtschulabschluss hier an einer Mittelschule in Linz nachgeholt. Meine Chefin im Asylheim hat mich bei all dem sehr unterstützt. Ich bekam auch einen Buddy - Amigo – des Vereins SOS Menschenrechte, der sich mit mir unterhalten, mir die Stadt gezeigt und mir alles Wichtige über Österreich erklärt hat. Wir haben bis heute Kontakt. Ich hätte gerne eine Lehre als Automechaniker oder Elektriker gemacht, aber mit dem Regierungswechsel war das Asylwerber:innen nicht mehr erlaubt. Während der Corona-Pandemie unterstützte ich ältere Menschen im Alltag und ging zum Beispiel für sie einkaufen. Ich arbeitete dann freiwillig sechs Monate im Behindertenbereich bei der Caritas und sechs Monate in einem Altenheim. Ich begann dort auch eine Ausbildung, merkte aber, dass das nichts für mich ist.
„In Linz fühle ich mich zuhause“
Nach dem zweiten negativen Bescheid nahm ich mir einen Anwalt. Mit seiner Hilfe bekam ich die Rot-Weiß-Rot-Karte. Ich lebte bereits seit fünf Jahren in Österreich, hatte ein Jahr gearbeitet und war straffrei, daher funktionierte das. Ich musste dann sofort aus dem Asylheim ausziehen und kam bei einem Freund unter, bis ich mir eine eigene Wohnung leisten konnte. Ich arbeitete zuerst als Kurierfahrer für einen Essens-Lieferanten. Seit 2024 bin ich Briefzusteller bei der Post in Linz. Die Arbeit macht mir Spaß. Ich bin draußen und immer in Kontakt mit Menschen. Für mich kam es nie in Frage, nach Wien zu gehen. Ich liebe Linz und ich bleibe hier. Ich lebe hier jetzt schon seit zehn Jahren und kenne jede Straße dieser Stadt. Hier fühle ich mich zuhause.
„Zweimal wurde unser Antrag abgelehnt“
Meine Frau ist vor drei Wochen zu mir nach Österreich gekommen. Auch das hat drei Jahre gedauert und ich musste wieder einen Anwalt einschalten. Sie war ein Jahr in Pakistan, um dort die notwendigen Termine bei der österreichischen Botschaft zu erledigen. Zweimal wurde unser Antrag abgelehnt, immer wegen Kleinigkeiten. Im Endeffekt bekam sie dann ein Visum, um hierher zu kommen. Als ich hörte, dass die Familienzusammenführung gestoppt werden soll, bekam ich Panik, weil ich nicht wusste, ob wir davon auch betroffen sein würden, aber es hat geklappt. Der Rest meiner Familie ist in Afghanistan. Ich habe Kontakt zu ihnen, aber kann sie nicht besuchen, weil ich keinen Reisepass habe.
„Geflüchtete sollten gleich arbeiten können“
Mein nächstes großes Ziel ist die österreichische Staatsbürgerschaft. Ich habe alle Dokumente besorgt, die ich brauche, und ich erfülle alle Voraussetzungen. Ich habe den Deutsch-B1-Nachweis, den Pflichtschulabschluss, lebe seit zehn Jahren in Österreich und habe mehr als drei Jahre davon auch hier gearbeitet. Der Antrag ist jetzt abgegeben und ich hoffe, dass mir nicht wieder eine so lange Wartezeit bevorsteht und ich bald die Gewissheit habe, hierbleiben zu können. Ich wünsche mir, dass Geflüchteten die Möglichkeit gegeben wird, gleich zu arbeiten. Das ist ganz wichtig, um sich ein eigenes Leben aufzubauen und anzukommen.“
Zehn Jahre ist es her, dass rund um die Jahre 2014 bis 2016 mit der großen Fluchtbewegung viele zehntausende Menschen nach Österreich kamen, die ihre Heimat aufgrund von Krieg und Verfolgung verlassen mussten. In der 5-teiligen Porträtreihe „10 Jahre danach“ kommen Menschen zu Wort, die damals in Österreich ankamen und sich hier ein neues Leben aufgebaut haben. Was sind ihre Erfahrungen, ihre Sorgen, ihre Erfolge und Wünsche? Sie erzählen selbst, wie sie ihre Flucht und ihr Neuanfang geprägt haben. Wenn Sie Geflüchtete unterstützen wollen, finden Sie hier Infos und Kontakte. Alle bereits veröffentlichten Porträts der aktuellen Reihe sowie unsere Porträtreihen der letzten Jahre sind hier nachzuschauen: www.hierangekommen.at
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