
A Black Fashion Revolution
Leni und Cherrelle Charles machen inklusive Mode. Aber eigentlich noch vielmehr. Ihr Label Kids of the Diaspora ist auch Kulturplattform und künstlerische Schnittstelle und leitet eine Revolution ein, die friedlicher nicht sein könnte. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Eva Rottensteiner
„Ich sehe mich selbst als Kind der Diaspora. Meine Wurzeln reichen von Nigeria über Tschechien nach Österreich – mir ist bewusst, welcher kulturelle Reichtum in meinen Genen liegt. Wenn du mich fragst, wo ich mich zugehörig fühle, werde ich sagen: „Ich bin nicht 100% österreichisch, nicht 100% tschechisch und nicht 100% nigerianisch – aber ich bin mir sicher, dass ich 100% dazwischen bin. Und ich weiß, dass es viele gibt, die gleich fühlen.“ So lautet der Instagram-Post von Leni Charles, mit dem alles begann. Eigentlich hatte die Art-Direktorin und Designerin nie vor, ein Modelabel zu gründen. Mit „Kids of the Diaspora“, kurz KOTD wollte sie 2016 eine Plattform für all jene gründen, die auf der Suche nach ihrer Identität sind. Es sollte ein Ort der Empathie und der Zugehörigkeit werden. Ein Ort, der dieses „dazwischen“-Gefühl sichtbar macht, das sie in ihrem Posting beschreibt. Aus dem ursprünglichen weißen Ambassador-Shirt ist 2018 schließlich eine ganze Kollektion geworden, die „Bloodline Collection“.
Cherrelle Charles, Schauspielerin und Casting-Direktorin, arbeitet gemeinsam mit ihrer Schwester Leni Charles, der Designerin und KOTD-Gründerin.
Poetische Bewegung
Mittlerweile ist KOTD eine poetische Bewegung mit zwei Modekollektionen, verschiedenen Videoproduktionen und einer ganzen Menge Fans von Wien bis nach New York und Südafrika. Ihre Kleider werden von Musiker*innen wie Joy Denalane, Sido oder Nazar getragen und waren schon auf der Pariser Fashion Week zu sehen. Im April hat das Modelabel zudem die Kostüme der Theaterproduktion „City of Diaspora“ im Wiener Brut gestaltet. Und auch Lenis Schwester Cherrelle, Schauspielerin und Casting Direktorin, ist inzwischen ins Unternehmen eingestiegen. Ihre Inspirationen holen sie sich von der zeitgenössischen Diaspora. Damit sind auf der Welt zerstreute kulturelle, religiöse, ethnische oder nationale Gemeinschaften gemeint, die laut Duden als Minderheiten leben.
Von dem Begriff Minderheit halten die zwei Schwestern aber gar nichts. „Er impliziert einen Vergleich gemessen an einer Mehrheit. Doch wer entscheidet, was die Mehrheit ist? Gleichzeitig verbindet man das Wort mit etwas Minderem, also weniger wertvollem. Das macht was mit einem“, erklärt Leni. KOTD will das Konzept der Minoritäten dekonstruieren. Sich als Teil ihrer Bewegung zu begreifen, bedeutet auch die Loslösung einer zugeschriebenen Rolle in einer, von weißen Menschen dominierten Gesellschaft. In ihrem ersten Visual Poem, eine ihrer Videoproduktionen, das im Seattle Pop Culture Museum ausgestellt ist, heißt es: „Ich sah mich immer nur durch die Augen der anderen“. KOTD gibt all diesen Individuen ihre aktive Rolle zurück.
KOTD wird von Wien über New York bis Südafrika getragen.
Inklusion für alle
Von der Schrift über die Kollektionstexte bis hin zu den einzelnen Schnitten ist jedes Konzept bis ins kleinste Detail kreativ durchdacht. Sogar die eingenähten Labels hinten an den Kleidern sind mit Gedichten bedruckt. Der zentrale Ansatz ist dabei immer Inklusion auf allen Ebenen. Das Team ist multi-ethnisch, die Schnitte sind unisex und die Größen reichen von XS bis XXL. Für ihr neues „Visual Poem“ arbeiten sie mit Künstler*innen, die sich keinem Geschlecht zuordnen. „Auch wenn man unterschiedliche Wunden hat, weiß man wie es sich anfühlt ausgegrenzt zu werden“, sagt Cherrelle. Und deswegen müsse man zusammenarbeiten. „Es klingt so cheesy zu sagen, dass wir alle eins sind, aber es ist eine Tatsache“, fügt sie hinzu.
Aktuell arbeiten sie an ihrer neuen Kollektion. Das Herzstück davon ist sogar schon verfügbar. „My Little Black Dress“ ist das kleine Schwarze zu Ehren der Schwarzen Frau, die medial immer unterrepräsentiert war. Genauso wie ihre anderen Kleidungsstücke ist es nachhaltig und fair produziert in ihrem Atelier in Wien.
Von und für die Diaspora
Bei KOTD steht die Diaspora und ihre Bedürfnisse im Mittelpunkt, was auch Aufklärungsarbeit bedeutet. Auch wenn das nicht primäres Ziel der beiden Schwestern ist. Mit dem Format „Speak Up“ auf ihrem Instagram-Profil mit mehr als 15.000 Abonnent*innen bieten sie eine Plattform für Menschen aus verschiedenen Diaspora-Communities und deren Themen wie kulturelle Aneignung, Racial Profiling oder die Hautkrankheit Vitiligo. Seit Beginn der Pandemie steht vor allem die Diskriminierung von asiatisch gelesenen Menschen im Zentrum.
So vereint das Label verschiedene Kämpfe, auch wenn Cherrelle betont, dass sie das Wort „Kampf“ nicht verwenden möchte. Den Schwestern ist es wichtig, nicht gegen etwas zu arbeiten, sondern für die Gemeinschaft und für mehr Liebe einzustehen. Deswegen lesen sie auch nicht mehr die ganzen negativen und teils rassistischen Kommentare unter ihren Postings. Cherrelle meint dazu: „Wir haben uns geschworen, dass wir uns auf die Heilung unserer inneren Kinder konzentrieren.“
„Kids of the Diaspora“-Gründerin Leni Charles über KOTD: „Es sollte ein Ort der Empathie und der Zugehörigkeit werden, der dieses „dazwischen“-Gefühl sichtbar macht.
Black Lives Matter
Manchmal muss man aber doch auf die Straße gehen und kämpfen. 50.000 Menschen haben letztes Jahr im Frühjahr die „Black Lives Matter“-Demonstration in Wien besucht. Die brutale Ermordung von George Floyd durch Polizeigewalt in den USA hat weltweit Proteste ausgelöst. Ob sich für die Diaspora in Österreich etwas getan hat seit Black Lives Matter? Auf diese Frage antwortet Cherrelle: „Der Protest hat viele mitgenommen und aufgeweckt. Das darf man nicht klein machen, aber die Frage, ob es besser geworden ist, darf man nicht mehr stellen. Die ist nicht realistisch.“ Allein durch einen Protest lasse sich nichts ändern. Wichtig sei, dass danach Aktionen folgen.
Auch für die älteren Generationen war es eine wichtige Zeit. Der Fall George Floyd hat alte Wunden aufgerissen. Seibane Wague starb 2003 bei einem Polizeieinsatz, als ihn die Beamten minutenlang in Bauchlage auf dem Boden fixierten und auf ihn einschlugen. 1999 kam Marcus Omofuma bei seiner Abschiebung ums Leben. Die Beamten haben ihm den Mund zugeklebt, sodass er letztendlich erstickt ist. „People of Colour“ und Schwarze Menschen werden immer noch vermehrt von der Polizei kontrolliert, wie die Studie „Being Black in the EU“ von 2019 bestätigt. Der Studie zufolge kommen Polizeikontrollen aufgrund von Racial Profiling in Österreich sogar am häufigsten vor, wenn man die Situation mit anderen EU-Ländern vergleicht. Die zwei KOTD-Gründerinnen sind überzeugt davon, dass mit der Thematisierung von Rassismuserfahrungen auch die Älteren ihre Traumata heilen können. Gerade zwischen den Generationen sei es wichtig, den Dialog zu führen.
Inklusiver Feminismus
Cherrelles und Lenis Arbeit hat immer wieder Schnittstellen mit der feministischen Bewegung in Österreich. Dabei hat sie wohl auch ihre Mutter geprägt, die Leni und Cherrelle alleine großgezogen hat. Ökonomische Unabhängigkeit wurde großgeschrieben. Laut Cherrelle hat sie das wohl auch zu den Arbeitstieren gemacht, die sie heute sind. „Wir sind nie mit dem Glauben aufgewachsen, dass wir als Frauen dies oder jenes nicht erreichen können, sondern eher, gerade weil wir starke Frauen sind, die Kraft haben, alles zu meistern“, sagt Leni. Auch „My Little Black Dress“ ist eine Produktion, bei der nur Frauen mitgewirkt haben. In der Modebranche ist das keine Selbstverständlichkeit.
Sie finden, dass der feministischen Bewegung in Österreich oft die intersektionale Ausrichtung fehlt. Kids of the Diaspora macht die feministische Bewegung inklusiver. Durch das Zusammendenken von Mode und sozialen Missständen sorgt KOTD nicht nur für eine Revolution in der Modewelt, sondern auch gleichzeitig für eine gesellschaftliche. Nicht zuletzt sagt die nicht-binäre Hauptrolle im Theaterstück „City of Diaspora“: „Der einzig aufrichtige Feminismus ist der Afrofeminismus.“
Eva Rottensteiner ist freie Journalistin in Wien mit Fokus auf Kunst, Geschlecht und Gesellschaftspolitik.
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