Stützen der Gesellschaft – Almahmoud Ahmad, Post-Bediensteter: „Hier müssen die Menschen keine Angst haben, und das ist schön“
Almahmoud Ahmad (30) floh mit seinem Bruder aus Syrien über den Irak in die Türkei. Dort arbeiteten sie, bis sie genug Geld für die Flucht nach Europa hatten. In Österreich angekommen, wollten sie anfangs nach Wien, doch dann entschieden sie sich für ein Leben in Kärnten. Jetzt hat Ahmad einen Job im Logistikzentrum der Post und eine eigene Wohnung. Doch seine Frau ist noch immer in Syrien. Er hofft auf die Möglichkeit des Familiennachzugs.
Redaktion, Fotos: Sonja Kittel
Almahmoud Ahmad: „Ich führe jetzt ein glückliches Leben“
„Ich bin 30 Jahre alt und wohne und arbeite in Villach. Seit knapp vier Jahren bin ich bei der Post im Logistikzentrum. Das erste Jahr war ich noch bei einer Leasing-Firma angestellt, dann wurde ich übernommen. Jeden Tag, außer am Wochenende, fange ich um 13:00 an und erledige bis 16:00 Hausmeistertätigkeiten im Zentrum. Nach einer Pause bin ich dann bis 22:00 am Paketband und sortiere die Post. Ich habe sehr liebe Arbeitskolleg*innen und einen guten Chef. Die Menschen in Villach kennen mich und grüßen mich freundlich, wenn sie mich sehen. Ich gehe gerne mit Freunden ins Kino, spazieren oder essen und ich führe ein glückliches Leben. Der Weg hierhin war jedoch alles andere als einfach.
„Jeden Abend studierte ich unsere Fluchtroute“
Ich wurde in Syrien geboren und lebte dort mit meinen Eltern und meinen Geschwistern in der Nähe von Damaskus. Als der Krieg ausbrach, war unser Leben nicht mehr sicher. Ich wurde immer wieder kontrolliert und bedroht und ich wollte nicht kämpfen, für keine Seite. Viele Menschen starben für nichts und deshalb wollte ich weg. Mein Bruder und ich bekamen ein Visum für den Irak, doch auch dort herrschte Krieg und so flohen wir weiter in die Türkei. Dort baute ich für eine Firma Fahrräder zusammen und sparte das Geld für unsere Flucht nach Europa. Jeden Abend saß ich im Bett und studierte unsere Fluchtroute ganz genau. In 15 Tagen schafften wir es von der Türkei nach Österreich. Bis heute würde ich den Weg auswendig zurückfinden.
Zurück nach Kärnten
Wir wurden von Wien nach Kärnten in ein Flüchtlingscamp geschickt. Eine Frau kam dort jeden Tag und brachte uns das Alphabet bei. Nach ungefähr sieben Monaten bekamen mein Bruder und ich unseren positiven Asylbescheid. Wir sind dann erst einmal nach Wien zurück, weil wir dachten, die Hauptstadt ist immer besonders bedeutsam in einem Land. Aber es waren sehr viele Menschen dort und es war schwierig Arbeit zu finden und Deutsch zu lernen. Deshalb sind wir zurück nach Kärnten und haben schließlich eine Wohnung in Villach gefunden. Bei der Arbeiterkammer machte ich Deutschkurse bis Level B1 und fand dann den Job bei der Post.
„Das erste Mal eine Wohnung für mich“.
Mein Vater ist letztes Jahr mit gerade einmal 60 Jahren gestorben, ohne, dass ich ihn noch einmal sehen konnte. Die Hälfte seines Lebens wurde ihm durch die schwierigen Umstände in Syrien genommen. Die schlechte Luft, die Kälte, die Armut. Meine Frau ist noch in Syrien. Wir telefonieren und schreiben jeden Tag und ich hoffe, dass ich sie über die Familienzusammenführung bis nächstes Jahr zu mir holen kann und wir gemeinsam eine Familie gründen. Heute habe ich die Schlüssel für eine größere Wohnung bekommen. Das erste Mal eine Wohnung für mich, das macht mich glücklich.
„Hier müssen die Menschen keine Angst haben“
Es war für mich sehr wichtig, die deutsche Sprache zu lernen. Ich brauchte Geduld, weil es dauerte, bis ich gut reden konnte, aber ich habe einfach versucht mit jedem zu reden und zu diskutieren. Ich mag es, Kontakt mit Menschen zu haben. Die Menschen in Österreich lachen immer, sind freundlich und lustig. Deswegen versuche ich auch immer zu lachen, um zu zeigen, dass ich eine schöne Zeit habe. In Syrien waren die Leute gestresst und schlecht gelaunt, weil das Leben schwierig und gefährlich ist. Hier müssen die Menschen keine Angst haben, und das ist schön.“
Sie mussten aus ihrem Heimatland fliehen und fast alles zurücklassen. Jetzt arbeiten sie in Österreich in einem systemrelevanten Beruf und zählen zu den Stützen der österreichischen Gesellschaft. In der 11-teiligen Porträtreihe „Stützen der Gesellschaft“ erzählen geflüchtete Menschen, wie sie unter oft sehr schwierigen Bedingungen einen Neuanfang geschafft haben, und welche Wünsche und Ratschläge sie haben. Wenn Sie Geflüchtete unterstützen wollen, finden Sie hier Infos und Kontakte. Alle bereits veröffentlichten Porträts der aktuellen Reihe sowie unsere Porträtreihen der letzten Jahre sind hier nachzuschauen: www.hierangekommen.at
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