Als Einzige überlebt
Frau Gertrude hat als einzige ihrer Familie das KZ Auschwitz überlebt. In einem Gespräch mit Marlene Groihofer erinnert sie sich. | Radiofeature: Marlene Groihofer
Als Hitlers Truppen in Österreich einmarschieren, ist Gertrude zehn Jahre alt. Mit 16 Jahren wird sie mit ihren Eltern und den zwei jüngeren Brüdern nach Auschwitz deportiert. Ihre gesamte Familie wird ermordet, sie überlebt unter unvorstellbaren Bedingungen. Für die eine Sendung, die 2016 für radio klassik Stephansdom entstand, erzählt Frau Gertrude über das Jahr 1938, den Ausschluss aus dem öffentlichen Leben, die Flucht ihrer Familie ins Ausland, und ihre Deportation in das Nazi-Vernichtungslager. Als Näherinnen gesucht werden, kommt sie in eine Fabrik von Philips in Breslau, später nach Hamburg, nicht alle schaffen das. Sie muss Panzergräben ausheben und in einem Salzbergwerk Eisenblättchen für die Flugzeugproduktion ausstanzen. Als sich unter den ArbeiterInnen eines Tages 1.000 Menschen aufstellen sollten, hatten viele gefürchtet, diese würden erschossen. Doch sie kommt im Rahmen eines Gefangenenaustauschs frei. Sie kam über Dänemark und Schweden wieder nach Wien zurück. In Nachkriegsösterreich gelang es der jungen Frau trotz schwerer Traumata, wieder Fuss zu fassen. Sie heiratete und bekam eine Tochter und arbeitete später als Abteilungsleiterin im Baustoffhandel.
Den Nachdruck des gesamten Radiogesprächs können Sie hier der Seite von SOS Mitmensch nachlesen. ilnk:article:https://www.sosmitmensch.at/die-einzige-die-ueberlebt-hat
Er entstand mit freundlicher Genehmigung von Marlene Groihofer. Den Podcast der preisgekrönten Sendung finden Sie auf https://radioklassik.at/die-einzige-die-ueberlebt-hat.
Im Folgenden ein Auszug:
Sie habe sich geschworen, sich ihre Menschenwürde nicht nehmen zu lassen, sagt Frau Gertrude. Sieben Monate verbringt sie in Auschwitz. 17 Jahre alt wird sie dort.
Jeder hat eine Decke bekommen. So wie man die Pferde abdeckt, so eine Decke. Keinen Polster, sonst nichts. In der Nacht ist manchmal die SS gekommen, gepfiffen, wir haben aufstehen müssen uns nackt aufstellen, die sind durchgegangen, haben uns angeschaut, blöde Kommentare gemacht, mit der Peitsche ein bisschen hingehaut, je nachdem wie sie gelaunt waren. Dann haben sie gepfiffen und wir haben wieder ins Bett müssen. Manchmal ist’s gewesen, dass sie eine Aussortierung angeordnet haben. Da hat man sich müssen aufstellen, dann sind sie durchgegangen und haben gesagt: Die, die, die. Und einer ist hinten nachgegangen und hat die Nummern aufgeschrieben. Die sind in der Früh geholt worden und vergast worden. Einmal bin ich auf der Liste gestanden als Letzte. Die, die das geschrieben hat, hat mich angeschaut und hat so gemacht und hat mich nicht dazugeschrieben. Schicksal. Warum, weiß ich nicht. Sie hat ja alle anderen auch aufgeschrieben. Dadurch, dass ich die Letzte war. Ich weiß nicht.
Da war eine Szene in Auschwitz, die sehr prägend war für mich. Da ist aus Ungarn ein Transport gekommen. Wir haben vermutet, es sind Zigeuner, weil sie waren sehr bunt gekleidet, schwarze Zöpfe, haben gesungen auf dem Lastauto. Die sind mit einem Auto zu einer Grube geführt worden, der Lastwagen hat gekippt, die sind dort reingefallen, die haben natürlich geschrien, oben drauf ein Benzin, angezündet, und sind bei lebendigem Leib verbrannt worden. Die Untersten sind eh schon erstickt. Die Obersten sicher nicht. Das hat mich... ich habe im KZ vieles gesehen... wir haben nicht nur einmal Tote mit der Schreibtruhe rausgetragen. Es haben welche flüchten wollen, die sind aufgehängt worden vor unseren Augen. Es waren viele Sachen, die man in meinem Alter normalerweise nicht verkraften kann. Das mit den Ungarinnen... die habe ich so beneidet, wie die reingekommen sind. So schöne schwarze Haare und ein schönes Gewand und wir dreckig und verlaust. Ich habe mir gedacht, sind die schön.
Ich habe die bewundert, wie man einen Schauspieler bewundert… dann sind die bei lebendigem Leib verbrannt worden. Die haben geschrien, das hat man bis wohin gehört…, das stinkende Fleisch, das verbrannte. Das hat mich schwer geschockt. Man hat’s verkraftet, aber wirklich verkraftet habe ich es bis heute nicht.
Gertrude wird in Auschwitz schließlich Läuferin. Sie wird als Botin zwischen den verschiedenen Teilen des Lagers eingesetzt. Im November 1944, nach sieben Monaten gelingt es ihr, das größte deutsche Vernichtungslager zu verlassen.
Am 11. November 1944 ist eine Kommission gekommen und hat angeblich Arbeiter gesucht, die gut sehen und gutes Fingerspitzengefühl haben. Ich habe nicht gewusst für was, aber ich habe mich nicht melden dürfen, weil ich Läuferin war. Ich habe diese Binde wo draufgestanden ist „Läuferin“ runtergenommen und bin hingegangen und habe mich gemeldet. Ich habe nur das Gefühl gehabt, weg von da, lange halte ich das nicht mehr durch. Ich hab den Test sehr gut bestanden. Ich habe damals gut gesehen, Nähen habe ich auch können und da hat man so Glasblätter, so ein Stück Glas und zwischen diesem Glas ist ein Faden oder ein Haar gelegen und das hat man müssen erkennen. Das habe ich erkannt. Da hat der gesagt, die ist gut, die nehmen wir. Sofort habe ich von der Kommission aus nicht mehr zurückdürfen, sondern wir sind in einen Waggon rein. Das war Vormittag. Dann sind wir dort gestanden und der Zug ist nicht weggefahren. Ich habe so eine Angst gehabt, dass die draufkommen, dass ich nicht mehr dort bin. Ich wäre ja aufgefallen, wenn ich nicht am Tor gestanden wäre. Bin aber anscheinend nicht aufgefallen und gegen Abend hat sich endlich der Zug in Bewegung gesetzt und wir sind nach Breslau transportiert worden. Dort war eine Philips Fabrik, aber außerhalb von Breslau war das Lager. Da sind wir in das Lager gekommen und haben in Breslau in der Fabrik gearbeitet und zwar Lampen zusammengesetzt, Glühlampen für Flugzeuge und so. Das ist natürlich immer geprüft worden, ob wir nicht Sabotage betreiben. Was wir teilweise gemacht haben, weil wir gewusst haben, das geht durch ohne…
Da war ich wenigstens unter Tags in einem warmen Raum. Die Fabrik war ja geheizt. Aber wenn Fliegeralarm war, sind die Arbeiterinnen in den Keller gegangen und wir haben rausgehen müssen und im Hof haben wir uns müssen am Boden hocken, so, damit wir von oben ausschauen wie Kraut, ist uns gesagt worden, der runde Rücken. Weil, wenn die Flugzeuge drüberfliegen, dass sie nicht erkennen, dass da Menschen sind. Und da haben wir müssen so schön, wie wenn wir Krauthappeln wären, nebeneinander sitzen. In der Kälte da draußen und die sind meistens mittags gekommen und da haben wir die Suppe nicht gekriegt. Wenn wir zurückgekommen sind, war wieder Arbeitszeit. Und ich habe nicht zu Essen gekriegt. Normalerweise haben wir von der Fabrik ein Supperl gekriegt. Dann sind wir, wenn Fliegeralarm war, um das auch umgefallen.
Eines Tages hat es geheißen, Freiwillige, wer meldet sich die Fabrik reinigen, die Räume reinigen? Da habe ich mich gemeldet. Da war der Saal leer natürlich, aber schön warm. Da haben wir einen Kübel Wasser gekriegt und eine Stelle, wo wir Wasser holen können, um das zu Reinigen. Ich bin zuerst aufs Klo gegangen, habe mich gewaschen von oben bis unten. Mit dem Wasser, das war dann schon dreckig, habe ich dann die Tische, die Sessel und den Boden gereinigt. Hab mein Gewand ausgewaschen und über die Heizung gehängt. Dann als warmer aber noch feuchter angezogen und zum Zurückmarschieren in die Baracke. Wenn ich das heute mache, sterbe ich an einer Lungenentzündung. Das habe ich damals alles ausgehalten. Dann ist die Front immer näher gekommen zu Breslau.
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