Andere über.... Der Islamkaninchen-Zaubertrick
Religion ist wieder ein Instrument der Politik, obwohl sie das nicht sein dürfte. Kommentar von Muamer Bećirović .
Islamkindergärten verbieten. Burkas verbieten. Kopftücher in Schulen und im öffentlichem Dienst verbieten. Fasten an Schulen verbieten. – Das ist nur ein Auszug der vielen Forderungen, die man in den vergangenen Wochen von Regierungsmitgliedern vernehmen konnte. Klarer kann die Conclusio nicht sein: Die österreichische Bundesregierung hat ein Faible für den Islam entwickelt. Oder?
Nein, die österreichische Bundesregierung zieht, wenn es brenzlig wird, das alte Islamkaninchen aus dem Hut. Und es funktioniert.
Vorab: Ja, es gibt Probleme in der muslimischen Gesellschaft, zweifellos und unübersehbar – sei es antisemitisches Gedankengut, die historisch verwurzelte sozioökonomische Schwäche, die schlechten Bildungsergebnisse, die patriarchalisch geprägte Kultur oder der Einfluss außenpolitischer Interessen.
Diese Probleme sind real. Und sie sind lösbar – wenn nur der Wille bestünde, sie lösen zu wollen. Nein, wenn ich existierende Probleme der muslimischen Welt anspreche, macht mich das nicht zu einem “islamophoben Verräter”. Nein, wenn ich die regelmäßige Diskriminierung von MuslimInnen bei Bildung, Job- und Wohnungssuche anspreche, macht mich das nicht zu einem “naiven Gutmenschen”. Differenzierung ist das Stichwort. Die Welt ist nicht schwarz und weiß. Und auch nicht rosarot. Dennoch fällt uns scheinbar nichts besseres ein, als uns in Facebook-Kommentarsektionen verbal die Köpfe einzuschlagen, wenn es um die Frage geht, ob muslimische Frauen ihre Körper verhüllen dürfen.
Öl ins Feuer
Und die Politik sieht nicht mehr schweigend zu, wie es unter Rot-Schwarz der Fall war; nein, sie gießt eifrig Öl ins Feuer. Kopftuch! Burka! Fasten! Und die Debatte entfacht erneut, wieder gibt es Stoff für Diskussion, Konfrontation, Streit, alles, was den Fokus weg von Sachpolitik rückt. Neulich saß ich mit einem Redakteur einer
deutschen Zeitung im Wiener Café Central und löcherte ihn mit der Frage, wie es nur sein könne, dass die Auseinandersetzung in sachpolitischen Fragen hierzulande so kurzatmig ausfällt? Keines dieser Themen wird schließlich länger als eine Woche diskutiert. Er meint: „Wir befinden uns in einem Dilemma. Ich würde ja gerne eine sachpolitische Story bringen, aber zack – die Bundesregierung spricht vom Kopftuchverbot. Und meine inhaltsreiche Geschichte wird auf eine andere Seite zurückgereiht und stattdessen wird das
Kopftuch behandelt. Das Agendasetting geht von der Politik aus.“
Anders als Rot-Schwarz hat diese Regierung keine Angst, sich an polarisierenden Themen die Finger zu verbrennen: Sie hat Religion für sich als Instrument für politisches Taktieren entdeckt. Um sich vor sachpolitischen Fragen wie Finanzpolitik, Pensionspolitik, Wirtschaftspolitik oder Sozialpolitik zu drücken, ist man sich keinem erbärmlichen Rückgriff auf AsylwerberInnen und den Islam zu schade.
Religion ist wieder ein Instrument der Politik, ein mächtiges Werkzeug, das die Massen spaltet, Gemüter erhitzt, und Menschen ihrer Rationalität beraubt. Religion ist wieder ein Instrument der Politik, obwohl uns die Geschichtsbücher lehren, dass sie das nie sein dürfte.
Wenn purer politischer Pragmatismus ohne moralische Zielsetzung erfolgt, dann wird Politik zynisch. Der Leidträger dieses Zynismus ist letztlich die Gesellschaft. Das sieht man heute eindeutig: Das gesellschaftliche Klima ist derart vergiftet, konfrontativ und unversöhnlich wie schon lange nicht mehr. Einzelne Regierungspolitiker haben aber gar nicht vor, bestehende Probleme tiefgreifend zu lösen, weil sonst ein nützliches Instrument verlorenginge. Solange das Pulverfass nicht hochgeht, besteht kein Interesse, es zu entschärfen.
Irgendwann ist es dann zu spät. Spätestens dann, wenn aktuelle Regierungspolitiker abdanken. Ihnen wird’s halt wurscht sein. Und uns bis dahin leider auch.
ZUR PERSON
Muamer Bećirović ist Herausgeber des Digitalmagazins “Kopf um Krone”. Er ist zudem Bezirksobmann der Jungen ÖVP Rudolfsheim-Fünfhaus und Student.
www.kopfumkrone.at
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