
„Angst kenne ich nicht“
Sie deckte den Saualm-Skandal auf und setzte sich gegen die Haider-Kampagne „Kärnten wird Tschetschenen-frei“ ein. Sie legte sich mit den Mächtigen an und ist bis heute eine unermüdliche Arbeiterin im Dienst der Menschlichkeit. Ein Gespräch mit Schwester Maria-Andreas Weißbacher, der Ute-Bock-Preisträgerin 2021. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Interview: Antonia Gössinger
Schwester Andreas, Sie wurden für Ihr Engagement mit dem Ute-Bock-Preis geehrt. Was bedeutet Ihnen das?
Es hat mich gefreut, dass ein unspektakulärer Einsatz doch wahrgenommen wird. Ich habe immer das Glück gehabt, gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden, die sich von Ideen erfassen haben lassen und diese voll unterstützt haben. Der Preis gehört sehr vielen Leuten.
Haben Sie die Namensgeberin des Preises, Ute Bock, persönlich gekannt?
Ja. Ich habe sie persönlich kennengelernt, als sie und ich im Jahr 2006 von der Europäisch-österreichisch-tschetschenischen Gesellschaft die Ehrenmitgliedschaft bekommen haben. Das war eine sehr nette Begegnung. Später habe ich sie im Ute-Bock-Haus getroffen, wo eine von Jörg Haider abgeschobene tschetschenische Familie eine Wohnung gefunden hat. Die Mutter war damals ganz tragisch gestorben.
Schwester Andreas bei der Ute-Bock-Preisverleihung von SOS Mitmensch: Einsatz für jene, die nicht „auf die Butterseite“ gefallen sind.
Was treibt Sie an?
Meine Eltern waren sehr sozial eingestellt. Ich habe von daheim mitgekriegt, auf die zu schauen, die nicht auf der Butterseite des Lebens liegen. Ich wollte unbedingt nach Afrika und habe das Kloster ausgesucht, von dem man am sichersten nach Afrika kommt: Wernberg. Und dann bin ich in Villach gelandet. Heute bin ich dafür dankbar. Nach meinem damaligen Kirchenverständnis hätte ich den Afrikanern einen geharnischten religiösen Imperialismus aufgedrückt. Als ich eingetreten bin, war ich Volksschullehrerin. Man hat mir aufgetragen, in Salzburg Theologie zu studieren. Das war die Zeit des Konzils. Es war faszinierend, die neue Sicht der Kirche zu entdecken, wo Kirche sich selber relativiert und sagt, Kirche ist nicht Selbstzweck, sie ist nur ein Werkzeug für die Einheit und den Frieden in der Menschheit.
Mit Ihrem Einsatz für Flüchtlinge, Ihrem Kampf gegen die berüchtigte Unterbringung auf der Saualm und gegen die Haider-Kampagne „Kärnten wird Tschetschenen-frei“ sind Sie bekannt geworden. Was hat Sie dazu gebracht, sich mit den Mächtigen anzulegen?
Haider hat hier in einer Ortschaft 60 Flüchtlinge untergebracht. Das gab einen Wirbel in der Bevölkerung. Zu einem „Tag der offenen Tür“ sind nur Schwester Antonia, Pfarrer Jurij Buch und ich gekommen. Es war erschütternd. Dort waren 16 oder 17 Kinder, kein Kind hat gelacht. Es war die Zeit des Ramadan, an dessen Ende man in muslimischen Ländern das Zuckerfest feiert. Da haben wir mit Schwester Monika, unserer Kindergärtnerin, für die Kinder ein Fest gemacht. Ich muss heute noch weinen, wenn ich daran denke: die Kinder haben angefangen zu lachen, die Mütter haben angefangen zu lachen. Das war für mich eine Bekehrung. Der damalige Villacher Bürgermeister Helmut Manzenreiter hat, um es Haider zu zeigen, das Heim sperren lassen. Die Menschen sind auf verschiedene Heime aufgeteilt worden. Ich bin überall hingekommen und habe gesehen, wie manche Heime schlecht geführt wurden. Das habe ich einer Beamtin des BFA (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) gesagt. Zwei Wochen später gab es ein strenges Besuchsverbot, das gab es in keinem anderen Bundesland. Den Betreibern wurde mit Kündigung des Vertrags gedroht, wenn gegen das Verbot verstoßen würde. Das war existenzbedrohend, so unter Druck sind die Leute gesetzt worden. Dann war die Geschichte mit der Silvester-Schlägerei in Villach. Die Familie, die ich später in Wien besucht habe, hat überhaupt nichts dafürkönnen, es war niemand bei der Schlägerei dabei. Aber sie musste weg. Man hat einfach Namen von den Listen herausgepickt, um zu zeigen, wir sind die Chefs.
„Ich wollte unbedingt nach Afrika, dann bin ich in Villach gelandet. Heute bin ich dankbar dafür.“
Hatten Sie persönlich Kontakt mit Jörg Haider?
Hier in Wernberg, da ist er öfter zu Veranstaltungen hergekommen. Wegen der Flüchtlingsthematik nicht. Da hatte ich es mit dem Flüchtlingsbeauftragten Gernot Steiner zu tun …
... und der hat eine üble Rolle gespielt.
... ja, es war eine Katastrophe.
Das berüchtigte Quartier Saualm?
Als eine Köchin, Pfarrer Johann Nepomuk Wornik und ich die Zustände aufgezeigt haben, war es ein Glück, dass die Journalistin Elisabeth Steiner dabei war; sie hat die Sache in den „Spiegel“ gebracht. Mich hat Bischof Alois Schwarz im Juli 2012 gebeten, mit dem Pfarrer zu Landeshauptmann Gerhard Dörfler zu gehen, weil die Betreiberin den Pfarrer anzeigen wollte. Ich sollte vermitteln. Ich bin draufgekommen, welchen Vertrag die Betreiberin des Quartiers mit dem Land ausgehandelt hatte: 40 Euro pro Tag, weil es als Sonderanstalt behandelt wurde. Und sie hatte einen Vertrag für 25 Personen, meistens waren aber nur zehn bis vierzehn Personen oben. Doch sie hat jeden Tag für 25 Leute kassiert, zuerst drei Jahre unter Haider, Dörfler hat den Vertrag verlängert. Ich habe Dörfler gesagt, es ist Steuergeld, das da verschwendet wird. Seine Antwort: Schwester Andreas, Sie können Kopf stehen, die Saualm wird nicht geschlossen. Dann war die Geschichte im „Spiegel“, und es war gelaufen.
War Angst für Sie irgendwann ein Thema?
Einmal, als ich eine Frau ins Frauenhaus bringen musste. Die Männer hinter dieser Frau schienen mir gefährlich. Da habe ich gebeten, dass die Polizei hinter mir herfährt. Angst kenne ich eigentlich nicht.
Ist die Ordenstracht ein Schutzmantel?
Das Ordenskleid hat mir bei den Tschetschenen sehr viel geholfen. Diese Männer sind nicht so ohne. Dass sie mich ernst genommen haben, da war der Schleier hilfreich.
Ihre schönste Erfahrung?
Wie wir Zwentendorf abgewehrt haben. Ich habe das Jugendzentrum in Villach geleitet, neben meiner Lehrverpflichtung in der Schule. Da haben wir mit Schulklassen sehr viel gearbeitet. Und dann sehr schön gefeiert.
Und Ihre traurigste Erfahrung?
Diese Ohnmacht! Die Atmosphäre gegen Ausländer hat sich in der Haider-Ära so verschlechtert, das ist in den Menschen noch drinnen. Ich habe 1995 für eine rumänische Familie mit drei Kindern eine Wohnung gesucht. Ich habe 80 Anrufe getätigt. 50 Prozent haben Nein gesagt, weil es Rumänen waren. 50 Prozent haben nein gesagt, weil drei Kinder da waren. Das waren sehr schmerzliche Erfahrungen. Und in den letzten Jahren diese Ohnmacht gegen das BFA. Die urteilen einfach negativ und wissen, dass dahinter Menschen leben. Oder zuletzt: Bei uns wurde ein Afghane auf die Taufe vorbereitet, ein sehr patenter Bursche, der in Hermagor beste Zeugnisse vom Alpenverein und dem Roten Kreuz hat, weil er überall mitmacht. Dann urteilt jemand, der mit Kirche nichts am Hut hat, darüber, ob dessen Konfession echt ist oder nicht. Das kann nicht richtig sein. Sie schieben Entscheidungen hinaus und hinaus, der Mensch verliert wieder ein Jahr seines Lebens und noch ein Jahr. Das macht denen überhaupt nichts aus. Die sitzen in ihrem Büro, haben einen sicheren Job, haben ein Monatseinkommen. Ob da drei Jahre draufgehen oder sechs, ist denen wurscht. Dieses Gefühl hat man.
Ihr Urteil über die aktuelle Flüchtlingspolitik?
Die finde ich furchtbar. Als Österreich den EU-Vorsitz hatte, ist es keinen Millimeter weitergangen. Ich bin auch von Ursula von der Leyen enttäuscht, dass Europa nicht fähig ist, eine klare Migrationspolitik vorzulegen, die den alten Werten Europas entspricht. Dieses Arbeiten mit der Angst ist so lächerlich.
Welche Erfahrungen haben sie gemacht, wenn Sie von bekannten Menschen Hilfe haben wollten?
Nicht nur gute. Ich habe sehr demütigende Szenen erlebt. Etwa wenn ich in ein großes Geschäft fünf Mal hineingegangen bin und dann ein Handtuch gekriegt habe oder so.
Gespräch im Kloster Wernberg. Schwester Andreas: „Ich habe nie das Gefühl gehabt, dass ich in der Kirche nicht tun kann, was ich will. Aber ich kenne Frauen, die sich zur Priesterin berufen fühlen. Ich denke mir, die müssen ständig frustriert sein.“
Was gibt es für Sie noch zu tun?
Momentan engagiere ich mich für Leute, die schon da sind, damit die Integration besser gelingt, mache denen Mut. Denn Integration ist schon sehr schwierig. Ein Beispiel: Wir haben vor drei Jahren zwei Iraner hier in Wernberg getauft. Ich habe in unserer Kirche gefragt, ob jemand bereit wäre für die Patenschaft – nichts, niemand. Und nach der Taufe in der Osternacht haben ihnen drei Leute gratuliert, alle anderen haben das nicht einmal zur Kenntnis genommen. Ich bin so erschüttert, dass auch fromme Kirchgänger selten einen Beitrag liefern, damit Menschen sich integrieren. Es gibt Einzelne, in vielen Gemeinden, doch das ist eine kleine, manchmal sehr kleine Gruppe. Jetzt kommt noch die öffentliche Hetze gegen Muslime dazu. Ich habe mit Muslimen schon viel mehr Kontakt gehabt als jetzt. Sie ziehen sich zurück, schließen sich in ihrem Kulturkreis ab und dann entstehen Ghettos, und Ghettos sind immer gefährlich. Ich verstehe nicht, dass uns nicht gelingt, die Menschen davon zu überzeugen, dass die Begegnung mit einer anderen Kultur eine enorme Bereicherung ist.
Feministinnen und Ordensfrauen haben eine Gemeinsamkeit: Es wird immer gemutmaßt, dass eine schlechte Erfahrung sie zur Ordensfrau oder zur Feministin werden hat lassen, und das insinuiert natürlich immer eine schlechte Erfahrung mit Männern. Wurden Sie damit auch konfrontiert?
Nein. Man hat es nur nicht verstanden, auch meine Familie nicht. Meine Geschwister haben einen Lachkrampf gekriegt, wie ihnen meine Eltern das erzählt haben. Ich war zutiefst überzeugt, dass das mein Weg ist. Und es hat mich bis heute nicht gereut. Der sehr kluge Satz einer Schweizerin: Gott gegenüber gibt es nur die totale Kapitulation mit der Übergabe aller Schlüssel. Das Wort gilt, genau so ist es.
Wirklich nie bereut?
Schon, es hat mir vieles nicht gepasst. Manchmal ist mir die Entwicklung viel zu langsam gegangen. Nach dem Konzil habe ich gemeint, es müssten viele größere Änderungen in den Klöstern kommen. Da war ich oft im Clinch. Aber die grundsätzliche Entscheidung habe ich nie bereut. Drei Tage vor dem Klostergang habe ich noch die ganze Nacht durchgetanzt, weil ich gedacht habe, ich kann jetzt nie mehr tanzen.
Haben Sie nie mehr getanzt?
Wohl. Hier immer. Ich habe es genossen. Ich habe gute Freunde gehabt. Diese Enttäuschungen habe ich nicht erlebt.
Und haben Sie nie damit gehadert, dass die Frauen in der Kirche diskriminiert werden?
Ich habe mit Bischof Egon Kapellari oft einen Clinch gehabt. Doch ich habe nie das Gefühl gehabt, dass ich in der Kirche nicht tun kann, was ich will. Aber ich kenne Frauen, die sich zur Priesterin berufen fühlen. Ich denke mir, die müssen ständig frustriert sein. Heute überhaupt, bei diesem Gejammere über Priester-Mangel. Wenn ich die Heilige Schrift richtig verstehe, dann sind wir alle zum allgemeinen Priestertum berufen, jeder Getaufte hat priesterliche Elemente. Nur in der Katholischen Kirche hat man das Weihe-Priestertum so furchtbar hinaufgehoben, man hat die Laien klein gehalten, man hat nie von der Würde des Menschen gesprochen.
Wie geht es Ihnen mit den Missbrauchstaten in der Kirche?
Der Sohn meiner Firmpatin hat mit 32 Jahren Suizid begangen. Er ist in den 1960er-Jahren in einem katholischen Internat missbraucht worden. Es hat niemand gewusst, er hat es sich nicht auszusprechen getraut. Als ihn seine Mutter tot gefunden hat, hatte er Dante Alighierie, die Passage vom Lustknaben, vor sich aufgeschlagen. Durch diese private Erfahrung war ich nicht überrascht, als der Fall von Kardinal Hans Hermann Groer aufkam. Schlimm war diese Vertuschung, aus dem überhöhten Priesterbild heraus. Und das Schlimmste war, dass die Kirche selbst immer sehr hohe moralische Ansprüche an die Menschen stellt und diese selber nicht erfüllt. Als jüngst die Mißbrauchsfälle in Frankreich untersucht wurden, war ich sehr berührt. Das erste Wort von Papst Franziskus war: Ich bedanke mich bei allen Opfern, dass sie den Mut gehabt haben, sich zu melden. Er hat versucht, diesen Menschen jetzt ihre Würde zurückzugeben.
Das Gespräch führte Antonia Gössinger, frühere Chefredakteurin der Kleinen Zeitung Kärnten & Osttirol.
Schwester Maria-Andreas Weißbacher, studierte Theologie in Salzburg, arbeitete als Volksschullehrerin und leitete ein Jugendheim. Sie ist Leiterin im Referat für interreligiösen Dialog der Diözese sowie des Ausschusses „Kirche und Migration“. Sie ist Expertin für Asylfragen, hält Vorträge in Pfarren und ist im besten Sinn eine Brückenbauerin. Im Jahr 2021 erhielt sie den Ute-Bock-Preis für Zivilcourage, den SOS Mitmensch seit 1999 vergibt.
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