Anti-Rassismus im Nachrichten-Geschäft
In den letzten Monaten ist viel über die Partizipation von Menschen mit Migrationsgeschichte in den Medien publiziert worden. Ein Rückblick auf unsere Initiativen in Österreich, das Bild von Einwander*innen in den Medien durch Teilhabe mitzubestimmen. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: simon INOU
Die Wiener Zeitung ist derzeit in aller Munde. Die älteste noch erscheinende Zeitung der Welt ist in Gefahr zugesperrt zu werden. Die ÖVP-Grüne Bundesregierung will die Publikation der Zeitung ab 2022 in dieser Form und in Print beenden. Als Grund wird dafür angegeben, dass die Pflichtinserate im Amtsblatt der „Wiener Zeitung“, die einen großen Teil der Einnahmen ausmachen, ausgelagert werden. Hoffen wir, dass diese Zeitung uns erhalten bleibt.
Eine von vielen erfolgreichen Kampagnen, die der Journalist und Aktivist simon INOU mit angestossen hat.
Die Pionierarbeit der Wiener Zeitung
Nur wenige Menschen wissen, dass die Wiener Zeitung die allererste Zeitung war, die sich im Herzen der damaligen Schwarz-Blauen Koalition nach dem Tod von Marcus Omofuma (1. Mai 1999 unter Schwarz-Rot) durch Polizeigewalt klar positioniert hatte. Sie produzierte damals monatlich eine vierseitige Afrika-Beilage von in Wien ansässigen afrikanischen Journalist*innen. Das Projekt „Tribüne Afrikas Print“ (die erste Schwarze Zeitschrift in Österreich), produziert von Radio Afrika, startete im März 2000 und lief bis April 2004. Ziel war es, eine ausgewogene Berichterstattung im Bezug auf Menschen afrikanischer Herkunft in Österreich zu ermöglichen. Diese Beilage der Wiener Zeitung leitete ich als Chefredakteur mit einer Gruppe anderen Journalist*innen und Studierenden, die bei Radio Afrika beschäftigt waren.
Die Themen waren vielfältig: Von der gesellschaftlichen Inklusion von Menschen afrikanischer Herkunft in Österreich, über die kritische Betrachtung der österreichischen Entwicklungspolitik in Afrika bis hin zum aktiven Thematisieren von kulturellen Beziehungen zwischen Österreich, Afrika und deren Diaspora. Das bot für uns die Möglichkeit, in der Zeitung der Republik über Anti-Rassismus-Arbeit aus unserer Perspektive zu berichten. Auch wenn die Wiener Polizei damit nicht immer glücklich war. In der Ausgabe Nummer 6 im September 2000 schrieben wir über die rassistische Attacke auf den in Österreich lebenden Sudanesen Stevenson Anthony Maw mit seinem Kind. Maw beschrieb in einem Beitrag, dass anwesende Polizist*innen zugesehen haben ohne etwas zu unternehmen. Als Chefredakteur war ich der Meinung, wir sollten ein Selbstverteidigungskomitee gründen. Der Polizeipräsident sah meine Position als eine subjektive Meinung an und betonte die Rolle der Polizei: Sicherheit für Alle. Für ihn war die Polizei nicht rassistisch. Später wurden wir wegen unserer kritischen Berichte über die österreichische Entwicklungszusammenarbeit mehrmals ins Außenministerium zitiert. Wegen eines kritischen Artikels strich man Radio Afrika sogar die Finanzierung eines Projekts, das bereits genehmigt war. Alexis Neuberg, der damalige und heutige Leiter von Radio Afrika TV fand das bedauerlich für eine Demokratie.
Nein zu Gefälligkeitsjournalismus
Im Jahr 2009 war ich Projektleiter von „MigrantInnen schreiben für Die Presse“. Die Redaktion wollte damals den 10. Todestag von Marcus Omofuma gedenken. Ich verfasste eine Chronologie der polizeilichen Misshandlungen von Schwarzen Menschen in Österreich. Nach dem Erscheinen wurden ich und die damalige Chefredakteurin Clara Akinyosoye ins Innenministerium eingeladen. Als Ko-Finanzier des Projekts wollte man wissen, warum wir das auf der Seite, auf der sich auch ein Logo des BMI befand, berichteten. Unsere Antwort: Weil es um Fakten geht und wir keinen Gefälligkeitsjournalismus in der „Presse“ machen.
Ziel verschiedener Initiativen im Medienbereich: eine ausgewogene Berichterstattung in Bezug auf Menschen afrikanischer Herkunft in Österreich zu ermöglichen.
Migrant*innen schreiben für die „Die Presse“
Wie hatte sich die Situation ein paar Jahre später entwickelt?
Auf der einen Seite gab es die Mainstream-Medien, deren Berichterstattung über Menschen mit Migrationsgeschichte überwiegend problemorientiert war. Auf der anderen Seite gab es eine sehr aktive interkulturelle Medienlandschaft. (Wir nennen sie „interkulturelle Medien“ statt „Community Medien“.) Beide Welten hatten ihre Existenzberechtigung. Was fehlte, war eine Brücke zwischen beiden. Es ging darum, beide Seiten aus ihren eigenen Ghettos zu befreien.
Statt den Diskurs in den jeweiligen Ghettos zu belassen war es für mich als Projektleiter von M-MEDIA (Verein zur Förderung interkultureller Medienarbeit, der bis heute aktiv ist) wichtig, eine Brücke zwischen diesen aufzubauen. Das Ziel des Projekts war es u.a. die Bilder von Einwander*innen durch journalistische Teilhabe mitzubestimmen. Ziel war es, ein Printmedium zu finden, das unabhängig von der Redaktion eine vierseitige Monatsbeilage produziert. Fast alle lehnten ab. Michael Fleischhacker, damals Chefredakteur der „Presse“ meinte hingegen bei unserem ersten Treffen: „Dieses Projekt wird auch unserer Redaktion dabei helfen, die Migrant*innen besser zu verstehen und über sie zu berichten.“ Somit war das Projekt geboren. Statt einmal vier Seiten pro Monat ließ Fleischhacker uns eine Seite pro Woche produzieren. Und noch ein wichtiger Schritt: Es gab Seminare innerhalb der Presse, und Redakteur*innen wurde es möglich, auch Stammmitglieder der Redaktion zu sein.
Das Ergebnis: 40 Journalist*innen, Fotograf*innen, Karikaturist*innen arbeiteten in fünf Jahren an 700 Artikel. Das ist einmalig in der österreichischen Mediengeschichte. Von ihnen sind bis heute drei als feste Redakteur*innen bei der „Presse“ beschäftigt. Das Projekt erhielt nationale und internationale Auszeichnungen. Ich wurde auch mehrmals nach Deutschland eingeladen, um das Projekt vorzustellen. Der aktuelle Chefredakteur der Presse, Rainer Nowak, beendete das Projekt. Die Begründung damals gegenüber Clara Akinyosoye und mir war: „Sebastian Kurz habe bei einem Treffen erklärt, er wolle das Projekt nicht mehr finanziell unterstützen.“ Auf meine Frage, was Rainer Nowak getan habe, um die Kooperation zu verteidigen, erhielt ich keine Antwort. Aber dazu muss man auch sagen, dass ich damals abgelehnt hatte, die Chefredakteurin zu entlassen, wie die Entourage von Kurz das wollte. Ihre kritischen Berichte waren dem damaligen Staatssekretär für Integration offenbar ein Dorn im Auge.
Kampagne gegen das Logo von Meinl (gemeinsam mit M. Wailand, Toledo i Dertschei).
Meinl reagierte und änderte das Sujet.
Politische Rahmenbedingungen
Ohne die richtigen politischen Rahmenbedingungen sowie die Bereitschaft von Entscheidungsträger*innen in Medienunternehmen wäre ein Projekt wie M-MEDIA nicht geboren worden. Im Jahr 2007 initiierte der damalige Innenminister Günther Platter die Taskforce Integration. Sie veröffentlichte Anfang 2008 den Integrationsbericht „Gemeinsam kommen wir zusammen“. Obwohl der Bericht nicht explizit von Rassismus sprach, zeigte er Diskriminierungen auf und die Notwendigkeit, diese zu bekämpfen. In ihrem Kapitel „Kultur und Medien“ zeigten Wilhelm Sandrisser (BMI) und Hans Winkler (Kleine Zeitung) auf, welche wichtige Rolle Medien im Integrationsprozess spielen. Die Autoren zitierten auch Positionen von M-MEDIA und damit unsere Forderungen: „Migranten aus der Rolle von Opfern oder Tätern, von Objekten der Berichterstattung oder auch der Wohltätigkeit herauszubringen.” Bei der Gründung des Vereins im Jahre 2005 war unser primäres Ziel jenseits der Problemberichterstattung zu agieren und Migrant*innen als aktive Gestalter*innen unserer Gesellschaft zu zeigen.
Zur Zukunft
Damit Inklusion rascher geht, sollte eine gezielte und vom Staat finanzierte Inklusionspolitik in den Medien stattfinden. Eine Möglichkeit wäre, im Bereich der Presseförderung jene Medien zu fördern, die sich zur Diversitätspolitik bekennen. Zudem sollte in allen Journalismus-Ausbildungsstätten Rassismus und Antirassismus im Nachrichtengeschäft als Pflichtfach eingeführt werden. Zuletzt sollten auch Interkulturelle Medien wissenschaftlich gefördert werden, um zu ermöglichen, dass wir in Österreich den Mainstream-Medien entgegenwirken. Gerade sie produzieren sehr oft eine problematische Fremddarstellung, die die Stimmung massiv beeinflusst.
simon INOU ist Journalist, Bildungs- und Antirassismus-Aktivist. Er ist ehemaliger Chefredakteur von Radio Afrika, Tribüne Afrikas Print in der Wiener Zeitung (1999-2004); Projektleiter des Medienprojekts „Migrantinnen schreiben für die Tageszeitung Die Presse“ (2007-2012); Initiator der Anti-Rassismus Kampagne „MeinJulius“ (2006/07) und von #NoMohr (2012) sowie der Werbekampagne BLACK AUSTRIA (2007/08). Seit 2014 ist er Herausgeber von „fresh, Black Austrian Lifestyle Magazine“ und Leiter des Projekts „Diskriminierungsfreie Schulbücher für Österreich” (2014-2016). Derzeit arbeitet er als Radioproduzent und leitet die Ausbildung und Diversity-Abteilung bei Radio ORANGE 94.0
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