
Aufstand im Ländle
In Vorarlberg fühlen sich viele, die sich seit 2015 ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit engagieren, von der harten Abschiebepolitik der Bundesregierung vor den Kopf gestoßen. Rund um die Sonntagsdemos formierte sich ein Netzwerk, das eine menschlichere Asylpolitik fordert. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Bernadette Schönangerer.
In der Vorarlberger Bevölkerung hat es große Emotionen ausgelöst, dass Leute, die gut integriert sind, einen Job haben und hier auch gebraucht werden, plötzlich morgens um 6 Uhr früh in Handschellen abgeführt werden und abgeschoben werden sollen“, sagt Burkhard Walla. Gemeinsam mit Pfarrer Christian Stranz hat er im Jänner in Dornbirn eine Sonntagsdemonstration organisiert. Zwei besonders aufsehenerregende Abschiebefälle lösten im Ländle eine Welle des Protests und eine Diskussion um das humanitäre Bleiberecht aus: In Sulzberg kollabierte eine schwangere Frau bei einer versuchten Abschiebung, sie wurde von ihrem Mann und ihrem dreijährigen Kind getrennt. Und in Lustenau riss man einen Kochlehrling nach sechs Jahren in Österreich aus seinem Umfeld und schob in von einem Tag auf den anderen nach Pakistan ab. Die zunehmend unmenschliche Politik und die von der Regierung vorangetriebene Polarisierung, die geflüchtete Menschen pauschal als „Illegale“ bezeichnet und die negative Stimmung, die gegen sozial Benachteiligte aufgebaut wird, waren für Burkhard Walla der Anlass „nicht nur im kleinen Kreis, sondern auch laut Gegenposition zu beziehen.“ Den Anstoß, selbst aktiv zu werden, gaben die Sonntagsdemonstrationen, die Klaus Begle im November in Hohenems initiiert hat - und die bis Jahresende wöchentlich in Hohenems, dann parallel auch in Rankweil und Bregenz stattgefunden haben. Für Klaus Begle, Psychiater und ÖVP-Gemeindevertreter in Hohenems, der selbst zwei afghanische Pflegesöhne aufgenommen hat, gab es mehrere Gründe, in die Öffentlichkeit zu gehen. Einerseits, so erzählt er, war es die Stimmungsmache gegen Organisationen wie „Ärzte ohne Grenzen“ und andere NGOs, die Flüchtlinge unterstützen, andererseits die Tatsache, dass Menschen, die hier angekommen sind und „Wurzeln geschlagen“ haben, jetzt abgeschoben werden sollen. Das ist für Begle „menschlich und sachlich Unsinn“, da habe er den Mund nicht mehr halten können – auch wenn er sich dadurch Feinde mache.
Dem Ländle reicht‘s
Organisiert und koordiniert werden die Sonntagsdemos mittlerweile von der Plattform „Uns reicht’s“, einem überparteilichen, zivilgesellschaftlichen Bündnis. Eigentlich schon seit Regierungsantritt, spätestens jedoch seit dem Sommer, als immer wieder NGOs und Freiwillige in der Flüchtlingsarbeit verunglimpft wurden, gab es bei vielen Initiativen das Bedürfnis, sich zu vernetzen und gemeinsam aktiv zu werden, erklärt Katharina Leissing. Sie ist die Sprecherin der Plattform und Geschäftsführerin der IG Kultur in Vorarlberg. Auch sie tut das „aus persönlicher Überzeugung, aus Empörung und Wut“, wie sie sagt, und auch, um „gegen das Gefühl der Ohnmacht über die Dinge, die unter dieser Regierung passieren“, anzutreten. Zur Zeit, als man sich zu einem ersten Treffen in Hohenems versammelte, fand auch die erste Sonntagsdemonstration statt. Mit der Plattform, die man kurzerhand „Uns reicht’s“ benannte, sollten die Kräfte gebündelt werden. Man beschloss, die Sonntagsdemonstrationen, die zunächst bis Weihnachten geplant waren, auch im neuen Jahr fortzuführen. Das Interesse wuchs, bald kamen auch Menschen von außerhalb auf Leissing zu, die die Plattform unterstützen oder selbst Demos organisieren wollten. Nach und nach haben sich verschiedene lokale Teams gebildet, die nun alle zwei Wochen an unterschiedlichen Orten in Vorarlberg Sonntagsdemonstrationen veranstalten.
Flucht-Punkt-Ländle
Bereits 2016 hatte sich die Gruppe Flucht- Punkt-Ländle organisiert. Das ist eine Initiative von privat in der Flüchtlingsarbeit engagierten Menschen in der Region um Götzis, einer beschaulichen Gemeinde mit 12.000 Einwohnern, die man sonst von den dort ausgetragenen Mehrkampf-Meetings kennt. Für die Demonstrationen stellte die Gruppe kurzerhand ihre Website zur Verfügung, um die Demos dort anzukündigen. In einem kleinen Land wie Vorarlberg vernetzt man sich eben ganz unkompliziert, sagt Christine Böhmwalder. Sie hat gemeinsam mit ihrem Mann mehrere geflüchtete Jugendliche in einer Art Paten-Stateschaft unterstützt und die Gruppe Flucht- Punkt-Lände mitinitiiert. Alles begann mit einer Protestaktion gegen Abschiebungen in Kriegsgebiete. Die AktivistInnen versandten jeden Tag Postkarten mit den persönlichen Geschichten geflüchteter Menschen an das Innenministerium – oder steckten sie an heliumgefüllte Luftballons, die ins Ungewisse davonschwebten. Böhmwalder ist es wichtig, die Leute, die ansonsten nur ganz abstrakt zum Thema der Politik werden, aus der Anonymität zu holen. Die Initiative plant ihre Aktionen ganz bewusst mit den geflüchteten Menschen, um dabei deren Geschichten in den Vordergrund zu bringen und abstrakten Feindbildern etwas entgegenzuhalten. 2018 veranstaltete man gemeinsam mit der Gruppe Plan W in der Marktgemeinde Wolfurt und in Bludenz ein „Seifenblasenfest für Flüchtlingsträume“, wobei die Seifenblasen, die platzenden (Lehrlings-)Träume der jungen Menschen symbolisieren sollten. Gleichzeitig startete man eine Petition und eine Briefaktion an Bundeskanzler Sebastian Kurz, mit der Forderung: „Keine Abschiebung von Lehrlingen“. Das traf auf viel Unterstützung, sagt Böhmwalder, auch bei der Wirtschaft. Das Bild, das KritikerInnen der Sonntagsdemonstrationen von „links-linken Demonstranten“ bemühen, stimme so nicht, erklärt Burkhard Walla. Es sei eine „Bewegung der Mitte“, die sich in Vorarlberg für eine menschlichere Politik einsetzt. Getragen von einer christlich- sozialen Gesellschaftsschicht, die von verschiedenen Milieus getragen wird. In Dornbirn und Rankweil hat man sich beispielsweise mit der Kirche kurzgeschlossen; und auf den Sonntagsdemos finden sich Leute aus der ÖVP ebenso wie UnternehmerInnen, die sich gegen die Abschiebung von Lehrlingen und anderen Arbeitskräften in Mangelberufen aussprechen.
„Wütende Bürger“ vs Sebastian Kurz
Eine Woche nach der ersten Sonntagsdemonstration hatte eine Veranstaltung des Vorarlberger Landtages, zu der auch Kanzler Kurz eingeladen war, für einigen Medienrummel gesorgt. Von „Tumulten“ und „wütenden Bürgern“, die Kurz den Weg versperrten, war zu lesen. Eine Konfrontation, die so nicht geplant gewesen sei, erzählt Klaus Begle. Doch als Kurz, der mit Verspätung eintraf, nach einem kurzen State ment die Veranstaltung wieder verlassen wollte, ohne auf die jüngsten Abschiebefälle einzugehen, hatten er und andere im Saal eine Diskussion mit dem Kanzler eingefordert. „Seine Bodyguards waren ziemlich verunsichert“, lacht Begle, „ob der gute Begle jetzt handgreiflich wird oder nicht.“ Dabei habe er nur gestikuliert. Es habe ihn einfach wütend gemacht, dass ein „Bürgerdialog zu den Zukunftsfragen der Europäischen Union“ angekündigt worden war, und dann die Themen Asyl und Migration, auf die Kurz seine Kanzlerschaft ja aufgebaut habe, nicht angesprochen wurden. Am Ende hatte sich Kurz dann doch den Fragen des Publikums gestellt. Eine politische Verantwortung für die Abschiebefälle wies er allerdings von sich. Kurz argumentierte, dass keine dieser Entscheidungen von einem Politiker getroffen worden sei, und dass die Gesetze aus einer Zeit lange vor seiner schwarzblauen Regierung stammen würden. Dass Kurz sich dann doch einer Diskussion gestellt hatte, respektiert Begle, die Antworten, die der Kanzler gab, findet er allerdings „unbefriedigend“. Man kann, so Begle, die Probleme nicht allein auf die Abschiebepraxis schieben, sondern müsse auch über die rechtlichen Rahmenbedingungen sprechen. Das Problem sieht Begle einerseits darin, die Beweislast den geflüchteten Menschen zuzuschieben. Von ihnen wird erwartet, mit Dokumenten zu belegen, dass sie verfolgt werden. Andererseits sei die Länderdokumentation zu hinterfragen, wenn sich diese auf „einseitige und unsachliche“ Gutachten stützt. Etwa jene des umstrittenen und mittlerweile aus der Gutachterliste gestrichenen Karl Mahringer, auf deren Basis Österreich Rückschiebungen nach Afghanistan durchführt. Eine große Gefahr für faire Asylverfahren sieht er in der geplanten Abschaffung der unabhängigen Rechtsberatung durch Caritas und Diakonie, die durch eine bundeseigene Betreuungsagentur ersetzt werden soll.
Bund vs Länder
Nach dem Fall in Sulzberg hat sich eine politische Diskussion über die Mitsprache der Länder in Fragen des Aufenthaltsrechts entsponnen. Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner forderte, den Bundesländern wieder die Kompetenz einzuräumen, humanitäres Bleiberecht auszusprechen. Die Bundesregierung in Wien lehnt das jedoch ab. Seit im Jahr 2014 die Kompetenz von den Ländern zum Bund zurückgewandert ist, werden die Entscheidungen von Wien aus getroffen. Auf der Landeshauptleutekonferenz im November 2018 fand sich keine Mehrheit für eine Forderung, diese Regelung wieder zu ändern. Immerhin richtete man einen Appell an die Bundesregierung, eine „höhere Sensibilität“ walten zu lassen. Tirols LH Günther Platter kann sich eine Regelung vorstellen, wonach AsylwerberInnen trotz negativen Bescheids ihre Lehre abschließen können. Offene Unterstützung erhielt Wallner für seinen Vorstoß bislang also nicht, dennoch hoffte Peter Kaiser, dass „das letzte Wort“ in dieser Frage noch nicht gesprochen sei. In Vorarlberg war das zivilgesellschaftliche Engagement in der Flüchtlingsbetreuung 2015 von Seiten der Landesregierung durchaus gefördert worden. Die Flüchtlingsarbeit ist dezentral und familiär organisiert und „in die Gemeindestrukturen und Vereine hineingewachsen“, so Klaus Begle. Für seine Kritik an der Asylpolitik der Bundesregierung sieht Begle durchaus auch Rückhalt in der eigenen Partei, denn die ÖVP in Vorarlberg sei „schwarz geblieben und nicht türkis geworden“. Der Konflikt über das humanitäre Bleiberecht sei freilich das beste Beispiel, wie die Kompetenzen der Bundesländer eingeschränkt wurden. Statt den „Dialog der Mitte“ zu suchen, würden Entscheidungen zentralisiert, um Maßnahmen möglichst schnell umsetzen zu können, glaubt Begle: „Denn wenn viele mitreden, geht es langsamer“. In Vorarlberg bleibt hingegen der Anspruch, weiterhin mitzureden. Hier fehlt das Verständnis, Menschen, die hier Fuß gefasst haben, abzuschieben. Bis Mai sind die Termine für weitere Sonntagsdemonstrationen bereits festgelegt.
Bernadette Schönangerer ist Redakteurin der Zeitschrift MALMOE.
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