Ausbeutung auf Bestellung
Drei Plattform-Beschäftigte erzählen über ihre Jobs: 4 Euro Grundlohn, weder Kranken- noch Urlaubsgeld und die erbarmungslose öffentliche Bewertung der eigenen Arbeit – das ist der Arbeitsalltag für Internetplattform-ArbeiterInnen. Sie erzählen von ihrer Arbeit und warum sie sich Freiheit versprochen, aber Aubeutung bekommen habe. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Veronika Bohrn Mena
„Gig Economy“ wird er genannt, dieser neue Teil des Arbeitsmarkts. Arbeitsaufträge werden häppchenweise über Online-Plattformen vergeben, die Beschäftigten nur pro Auftrag („Gig“) gebucht. Sonst gibt es keine Absicherung. Die Arbeitsgeräte müssen die Beschäftigten selbst bereitstellen, der Lohndruck ist groß und auch das Risiko tragen die Beschäftigten allein.
Schuften im Akkord
Wer über Online-Plattformen wie foodora (*), uber oder extrasauber arbeitet, kennt in der Regel weder KollegInnen noch Vorgesetzte. Wer einen Auftrag will, muss sich in Rufbereitschaft befinden – nur wird das Bereitstehen nicht oder kaum entschädigt. Bezahlt werden die Beschäftigten nach „Stückzahl“, also nach Lieferung, Fahrt oder geputzter Wohnung – unabhängig davon, wieviel Zeit sie dafür benötigen.
Für Eva bedeutete das einen durchschnittlichen Stundenlohn von 8,30 Euro. Sie hat als freie Dienstnehmerin Essen für foodora ausgeführt, ihr Grundlohn lag bei vier Euro pro Stunde. Für jede Zustellung erhält man zwei weitere Euro. Mit zwei Lieferungen pro Stunde kommt man auf durchschnittlich acht Euro – bei Schnee, roten Ampeln oder langen Wegstrecken können es aber auch nur vier oder sechs Euro sein.
Das gleiche gilt für Dinko, den uber-Chauffeur, der für seine Fahrten zwischen 2,25 Euro und maximal 25 Euro erhält. 25 Prozent des Fahrpreises behält sich uber für die Vermittlung über seine Plattform. Bei kürzeren Strecken reicht das Geld nicht einmal aus, um die Kosten für Dinkos Wagen zu decken.
Hohes Risiko für teure Miete
Bei Arbeitsaufträgen über Internet-Plattformen müssen die Beschäftigten ihre Arbeitsinstrumente selbst finanzieren. Am härtesten trifft das die ChauffeurInnen von uber. Dinko fährt seit drei Monaten für uber, anfangs hat er sich von dem Job viel Freiheit versprochen: Bewerbung und Dienstbeginn waren schnell und einfach, nur seine Führerscheinnummer musste er angeben. Der einzige persönliche Kontakt zu uber war bei der zweistündigen „Einschulung“, gemeinsam mit acht anderen Personen in einem kleinen Raum im Wiener Gasometer. Dort lief eine Präsentation über die Handy App.
In der folgenden Woche musste er 400 Euro Miete für das zugelassene uber-Auto vorstrecken. Nach zehn Tagen, in denen er täglich rund acht Stunden unterwegs war, hatte er gerade einmal 1.000 Euro verdient. 700 Euro davon musste er für Wagenmiete und Tank abziehen. Und dabei blieb es nicht: Als Neuer Selbstständiger musste er von dem Geld auch noch seine Sozialversicherung bezahlen.
Auf den Fahrtpreis hat Dinko keinen Einfluss, den legt alleine uber fest. Und beschwert sich ein Fahrgast nachträglich, wird dem Fahrer der Fuhrlohn abgezogen. So muss Dinko mindestens 50, eher 60 Stunden pro Woche arbeiten, um ansatzweise über die Runden zu kommen. Anspruch auf Arbeitslosengeld hat er keinen. Krankengeld gibt es auch keines, erst ab dem 43. Krankheitstages würden ihm knapp 9 Euro zustehen. Freie Tage oder Urlaub kann sich Dinko also nicht leisten, längst ist er auf der Suche nach einem anderen Job. Ihm ist egal was er macht, sagt er, nur für uber will er auf keinen Fall mehr arbeiten.
Bewertet und öffentlich zur Schau gestellt
Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert extrasauber.at, wo Reinigungskräfte um Putzaufträge buhlen. Je nach Wohnungsgröße, Fenster und Anzahl von Bädern und Toiletten wird im Vorfeld ein fixer Preis vorgegeben. Vanessa arbeitet seit zwei Monaten für extrasauber und erzählt, wie sich Reinigungskräfte und Firmen dort gegenseitig unterbieten. Bei einer 100 Quadratmeter großen Wohnung ergeben sich enorme Preisunterschiede, das kostet zwischen 74,95 Euro und 149,95 Euro.
Der Preis steht fest, egal wie lange Vanessa für das Putzen tatsächlich benötigt und wie unsauber die Wohnung ist. „Wenn du Glück hast, wurde das letzte Mal vor einer Woche geputzt. Aber oft hast du Pech, die Wohnung ist extrem dreckig und du musst den Schmutz von Monaten wegschrubben. Das schaffst du in der vorgegebenen Zeit nicht. Dann kommst du zu spät zur nächsten Wohnung und wirst schlecht bewertet“, erzählt sie.
Die Putzkräfte werden auf der Plattform mit Sternen und Kommentaren bewertet. Neben dem Preisdruck sorgt die gnadenlose öffentliche Bewertung durch die KundInnen für enorme Konkurrenz zwischen den Putzkräften. Unter den Fotos der Reinigungskräfte bei extrasauber.at kann man etwa lesen: „Sprachkenntnisse hätten besser sein können“ oder „Bei oberflächlicher Besichtigung in Ordnung, bei genauerem Schauen nicht so ganz. Ich würde mir mehr Aufmerksamkeit beim Staubwischen/Staubsaugen wünschen“.
Über solche Kommentare schüttelt Vanessa den Kopf: „Ich verstehe diese Leute nicht. Wenn du ihnen sagst, du putzt seit zwanzig Jahren, zehn Stunden pro Tag und du weißt, dass du diese Wohnung in den vorgegebenen Stunden zu dem Preis unmöglich sauber bekommst, dann machen sie dich und deine Arbeit auch noch schlecht“.
Neues Geschäftsmodell, altes Tagelöhnertum
Zwischen den Versprechungen der Plattformen und der Arbeitsrealität der Beschäftigten ist viel Abstand. „Dein Tag gehört dir“ schreibt uber auf seiner Homepage – für Dinko gilt das allerdings nicht, denn sein Tag gehört uber. foodora verspricht seinen FahrerInnen „Du bist einer von uns“ und stellt einen Stundenlohn von bis zu zwölf Euro in Aussicht, Eva kommt durchschnittlich auf 8,30 Euro. Und extrasauber wirbt mit „handverlesenen“ Reinigungskräften, doch Vanessa steht der Schrecken im Gesicht, wenn sie an den nächsten Kommentar unter ihrem Profilbild denkt.
Viele neue Plattformen und „Start ups“ stützen ihr Geschäft auf altes Tagelöhnertum. Doch sie müssen mit Gegenwind rechnen. Gegen das Geschäftsmodell uber gibt es bereits eine einstweilige gerichtliche Verfügung. Die Beschäftigten von foodora haben vor kurzem einen Betriebsrat gegründet (Stand 2018, Anm.) und fordern einen Kollektivvertrag. Und auch für alle anderen Plattform-Beschäftigten gilt vor allem eines, wenn sie ihre Situation verbessern wollen: Organisiert euch! Denn auch für neue Jobmodelle ist und bleibt dieses zeitlose Rezept am erfolgreichsten.
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung von Kontrast.at. Erschienen am 29.3.2018.
(*) foodora wurde in Österreich im Februar 2019 zu „mjam“. Beide Essensbestellplattformen gehören zu „Delivery Hero“ mit Sitz in Berlin.
Veronika Bohrn Mena arbeitet in der Gewerkschaft GPA-djp als Expertin für atypische Beschäftigung.
Unterstützen Sie jetzt unabhängigen Menschenrechtsjournalismus mit einem MO-Magazin-Solidaritäts-Abo