Ausbeutung auf Bestellung
Die Ausbeutung von Migrant:innen in Österreich hat strukturelle Gründe. In seinem neuen Buch geht der Journalist Johannes Greß der Frage nach, wie sich daran etwas ändern ließe. Ein Auszug.
Text: Johannes Greß.
Ein Beitrag im neuen MO - Magazin für Menschenrechte.
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In Österreich arbeiten ungarische Paketzusteller bis zu 17 Stunden täglich und syrische Essenslieferanten für sechs Euro pro Stunde. In den vergangenen Jahren starben in Österreichs Wäldern mehr als ein Dutzend rumänische Forstarbeiter und indische Reinigungskräfte beklagen sexuelle Übergriffe, während sie ohne Papiere die Wohnungen von Diplomat:innen und Professor:innen putzen.
Sich gegen Ausbeutung zu wehren, fällt den Betroffenen schwer: Migrant:innen sind vom Wahlrecht größtenteils ausgeschlossen, in Gewerkschaften sind sie kaum vertreten, Betriebsräte sind in migrantischen Branchen eine Seltenheit. Mangelnde Sprach- und Rechtskenntnisse, fehlende Alternativen am Arbeitsmarkt, ein unsicherer Aufenthaltsstatus und die Angst, gekündigt zu werden, erschweren es ihnen, auf ihre Rechte zu pochen.
Dass Migrant:innen in Österreich zu fragwürdigen Bedingungen arbeiten und im Schnitt weniger verdienen, ist kein Naturgesetz. Deren Arbeitsbedingungen sind keine unglückliche Fügung des Schicksals, sondern das Resultat wirtschaftlicher und politischer Entscheidungen, die von den Machtverhältnissen geprägt sind. Das bedeutet, dass es immer auch anders hätte kommen können – und dass es nicht auf alle Ewigkeit so sein muss.
Ein nicht für alle goldenes Zeitalter
Im 19. Jahrhundert etwa schlossen sich Arbeiter:innen zusammen, traten in den Streik oder demonstrierten, sie gründeten Gewerkschaften. In Österreich mündeten diese Kämpfe nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in einen gut ausgebauten Sozial- und Wohlfahrtsstaat, schlagkräftigen Gewerkschaften und den Abschluss zahlreicher Kollektivverträge, die Mindestlöhne und Arbeitnehmer:innenrechte garantieren. Rückblickend gelten die Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg gerne als „Goldenes Zeitalter“, in dem die Wirtschaft brummte, die Arbeitslosigkeit nahezu verschwand und sich Arbeitende Jahr für Jahr über ordentliche Lohnzuwächse freuen konnten. Ausgeblendet wird, dass diese Zeiten vor allem für in Österreich geborene männliche Arbeiter „golden“ waren – während Frauen unbezahlt im Haushalt arbeiteten und die sogenannten Gastarbeiter:innen die, gelinde gesagt, weniger angesehene Arbeit erledigten.
Innerhalb der österreichischen Gewerkschaften wirkt diese Entwicklung bis heute nach. Einen besonders hohen Organisationsgrad weist die Gewerkschaftsbewegung vor allem im Bereich der Industrie- und Automobilbranche auf; also dort, wo eine relativ einheitliche deutschsprechende, männliche Gruppe Schicht für Schicht geschlossen in die Fabrik schlendert. Je weiblicher und migrantischer eine Branche, desto schlechter ist es um die Macht der Lohnabhängigen bestellt.
Um die Arbeitsbedingungen von Migrant:innen zu verbessern, sind herkömmliche gewerkschaftliche Methoden wie Kollektivvertragsverhandlungen und Betriebsräte nur mehr bedingt geeignet. Es braucht neue Instrumente, Strategien, Organisationsformen und Bündnisse. Bei Arbeitsbedingungen handelt es sich um ein politisches Problem. Und ein politisches Problem braucht politische Lösungen.
Johannes Greß
Ausbeutung auf Bestellung
ÖGB Verlag 2024
268 Seiten, 22,90 €
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