Best Practice - sicher nicht mit uns!
SONDERECKE. Beim Kinder einsperren will sich die Bundesregierung von niemandem dreinreden lassen. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. um die Ecke gedacht mit Philipp Sonderegger, Illustration: Petja Dimitrova
Die Bundesregierung hat sich also aus dem UN-Migrationspakt zurückgezogen. Das stößt selbst in den Kernschichten der ÖVP sauer auf. Der Ausstieg wäre vielleicht die erste Bruchlandung von Kanzler Kurz geworden, befände sich die Kritik daran nicht ebenso im Blindflug.
Als Vorsitzland der EU-Ratspräsidentschaft war Österreich bei der Ausformulierung des Paktes federführend. Vor dem Rückzug haben wir noch eine Reihe von Verschärfungen hinein verhandelt. Das Ansehen Österreichs als verlässlicher Partner ist nach dem Abgang angeknackst. Der Schaden beträchtlich. Damit nicht genug. Ohne Not rechtfertigte die Bundesregierung den Rückzug mit der hanebüchenen Behauptung, der Migrationspakt schaffe ein verbindliches Recht auf Migration. Aber im Pakt wird die nationalstaatliche Hoheit auf dem Gebiet der Migration ausdrücklich anerkannt. Also verstieg sich die Staatsspitze in immer absurdere juristische Erklärungen.
Warum der angeblich so begabte Kanzler das stümperhafte Narrativ aufgriff, weiß Gott allein. Hätte er den Rückzug mit politischen Folgen und nicht juristisch begründet, wäre die Volte unangreifbar, ihre Motive nachvollziehbar und glaubwürdig gewesen. Klarheit haben wir nun über die türkise Absicht, noch die eine oder andere Koalitionsperiode mit den Freiheitlichen anzuhängen. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Wolfgang Schüssel lässt Kurz den Junior nicht an der Hand verhungern, man gönnt sich gegenseitig Tore. Türkis hält den Schuhlöffel, wenn die FPÖ den verhassten Multilateralismus torpediert. Im Gegenzug halten die Blauen still, wenn ihr Klientel durch die Abschaffung der Notstandshilfe enteignet wird. Nationalismus und Sozialabbau.
Nicht minder dilettantisch ist die Performance der KritikerInnen. Anstatt die Welle zu reiten und für die Ziele des Paktes zu werben, tun auch sie so, als sei ein Beitritt zur Vereinbarung ohne Konsequenzen. In der Hoffnung, billige Punkte gegen die Regierung zu landen, bleibt deren zentraler und falscher Claim unwidersprochen – die Umsetzung des Migrationspaktes müsse verhindert werden. Das Gegenteil ist der Fall: die meisten Forderungen des Katalogs sind sinnvoll, nationaler Widerstand dagegen muss gebrochen, die nationale Souveränität eingeschränkt werden.
Das zeigen schon die Forderungen, mit der die Bundesregierung ihren Rückzug begründet. Darunter finden sich Dauerbrenner wie die Anstrengungen gegen „ethnic profiling“ – eine in liberalen Demokratien verpönte und überdies ineffiziente Polizeipraxis – oder die Aufklärung gegen rassistische Vorurteile. Gänzlich absurd wird das türkis-blaue Bestreben, „nationale Eigenheiten“ gegen die Einmischung von außen zu schützen, wenn die internationale Gemeinschaft die „Zurverfügungstellung von Schulressourcen“ oder die „Übernahme von Best Practice in der Integration“ anregt. Best Practice – sicher nicht mit uns!
Aber der Irrsinn ist real. Der Pakt will unter anderem die Praxis beenden, Kinder einzusperren. Wenn es auch nicht mehr Schubhaft sondern gelinderes Mittel heißt – Österreich trennt Zweijährige, wie jüngst, von ihrer Mutter und sperrt sie (mit dem Vater) ein. Als internationale Menschenrechtsbewegung werden wir auch diese unmenschliche Praxis früher oder später abstellen und viele andere sinnvolle Ziele des Migrationspaktes durchsetzen. Und zwar gegen den Willen der Nationalstaaten.
Philipp Sonderegger ist Menschenrechtler, lebt in Wien und bloggt auf phsblog.at
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