
Bis zum Wohnungsverlust?
Mit der „Mindestsicherung Neu“ wird das letzte Auffangnetz beseitigt. Statt Armut werden Arme bekämpft. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Kommentar: Sandra Keinberger, Lucia Pallas.
Nach längeren hin und her steht nun der neue Mindestsicherungsentwurf der Regierung fest, der vor allem Kürzungen beinhaltet. Während 2011 der Begriff Mindestsicherung eingeführt wurde, um ihn von der Sozialhilfe abzugrenzen und den Rechtsanspruch darauf herauszustreichen, wird im neuen Entwurf wieder von Sozialhilfe gesprochen. Die politische Debatte selbst ist vor allem von rassistischen Zuschreibungen und der Darstellung von BezieherInnen der Mindestsicherung als „faule Sozialschmarotzer“ geprägt. Trotz massiver Kritik von ExpertInnen zeigt die Regierung keine Bereitschaft, ihren – vermutlich nicht rechtskonformen – Entwurf zu überarbeiten. Als SozialarbeiterInnen wären wir mit den Auswirkungen der Kürzungen direkt konfrontiert. Deshalb wollen wir unser politisches Mandat nutzen, um aufgrund unserer Expertise und Erfahrungen Stellung zu beziehen.
Was passiert gerade?
Durch die geplanten Gesetzesänderungen wird die Grundidee eines letzten Auffangnetzes außer Kraft gesetzt. Etliche Personen wären von den Auswirkungen betroffen, besonders jene, die ohnehin schon eine schlechtere Ausgangslange haben. Das sind vor allem Alleinerzieherinnen (sowie Frauen generell), Kinder, MigrantInnen, „Randgruppen“ wie wohnungslose und/oder psychisch erkrankte Menschen sowie Menschen mit Behinderungen. Für sie wird es noch schwieriger, den Alltag zu bestreiten. Zu befürchten ist, dass die ohnehin steigenden Mieten für sie nicht mehr leistbar sind und damit mehr Menschen in die Obdachlosigkeit getrieben werden. Betroffen sind vor allem Menschen mit „nicht ausreichenden Deutschkenntnissen“, die fortan von weniger als 600 Euro im Monat leben sollen. Die Arbeit im Sozialbereich ist bereits in vielerlei Hinsicht fordernd. SozialarbeiterInnen beschäftigen sich mit Menschen, die aufgrund unterschiedlicher persönlicher Erfahrungen sowie soziostruktureller Bedingungen von Armut betroffen sind und bereits jetzt vermehrt in diese gedrängt werden. Ein Grundpfeiler der Professionsethik Sozialer Arbeit ist es, Menschen darin zu unterstützen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten selbstbestimmt leben zu können. Dafür braucht es professionelle Beziehungsarbeit, um Vertrauen und Stabilität erlangen aufgrund erschwerter struktureller Bedingungen fehlt. Viel (Arbeits-)Zeit wird schon jetzt in akute, existenzielle Krisen gesteckt. Diese Krisen werden sich häufen, wenn Menschen weniger Geld zur Verfügung haben und größerem Druck ausgesetzt sind, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Schon jetzt wird davon berichtet, dass sich der Ton gegenüber Personen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, verändert. Immer öfter berichten KlientInnen von schikanierenden Erfahrungen bei Ämtern. Weil dem AMS Förderungen für Kurse gestrichen wurden, müssen KlientInnen diese Leistung nun allein erbringen. In der Folge müssen sich SozialarbeiterInnen mit langen und häufig nicht nachvollziehbaren Geldsperren des AMS herumschlagen, das stürzt Menschen in prekäre Lagen und in psychische und existenzielle Krisen. Ein weiteres Problem: Menschen mit Hauptwohnsitz in Wien werden unter Androhung von Geldsperren verpflichtet, sich im Saison-Gewerbe am anderen Ende Österreichs zu bewerben – die Pflicht zu arbeiten scheint hier über dem Grundrecht auf freie Wahl des Wohnortes zu stehen. Auch die langfristigen Konsequenzen spielen offenbar keine Rolle. Langjährig wohnungslose Personen, die endlich einen fixen, betreuten Wohnplatz gefunden haben, sollen diesen aufgeben und in ein anderes Bundesland ziehen. So wären sie nach einem Jobverlust erneut wohnungslos und müssten wieder ganz unten anfangen. Viel sinnvoller wäre es, Unterstützungsangebote zu erarbeiten, die sich an der individuellen Lebenssituation der Menschen orientieren. Davon sind wir momentan aber weit entfernt. Jetzt schon kommt es häufig vor, dass Personen unverhältnismäßig lange auf Bescheide vom Sozialamt warten müssen und somit über kein oder nur ein niedrigeres Einkommen verfügen, obwohl sie fristgerecht alle Unterlagen eingereicht haben. Mit der neuen Regelung soll die Bearbeitungsfrist aus dem Gesetz gestrichen werden. Damit wird es schwieriger, gegen Verzögerungen aktiv zu werden, die Folgen können bis zu Wohnungsverlust reichen. Die geplanten Änderungen zur Mindestsicherung sehen wieder vermehrt Sachleistungen vor, wodurch die einkommensbedingt ohnehin schon geringe Selbstbestimmung der Menschen angegriffen wird. Auch die Freiheit, die den Ländern in Bezug auf die Gestaltung der Wohnzuschläge gegeben wird, führt nicht nur zu noch größeren finanziellen Unterschieden innerhalb Österreichs, sondern begünstigt auch behördliche Willkür. Die sozialarbeiterische Praxis wird damit zunehmend ein Kampf durch die immer enger werdenden behördlichen Strukturen.
Armut erwünscht?
All diese Veränderungen finden nicht im luftleeren Raum statt, sondern sind Ausdruck einer politischen Stimmung in der nicht Armut, sondern die Armen selbst bekämpft werden. Während AMS-Leistungen, die Menschen aus der Arbeitslosigkeit helfen sollen, gestrichen wurden, wird arbeitslosen Menschen – vor allem BezieherInnen von Mindestsicherung – Faulheit vorgeworfen. Die wirtschaftsliberale, unternehmensfreundliche Politik, die Kanzler Kurz vertritt und die durch Sozialabbau am Rand der Gesellschaft spart, wird durch den von der FPÖ wieder populär gemachten Begriff des „Sozialschmarotzers“ ergänzt. Das hat für Menschen, die auf sozial staatliche Leistungen angewiesen sind, verheerende Folgen. Einerseits müssen sie mit wenig Geld und oft sehr schweren persönlichen Schicksalen zurechtkommen, andererseits nimmt auch die gesellschaftliche Stigmatisierung zu. Wer aus der Erwerbsarbeit herausfällt wird als „gescheitert“ angesehen und noch höherem Druck ausgesetzt. Während die Lebenshaltungskosten steigen, werden jene, die ihre Arbeit verlieren wieder, zu Bittstellern degradiert. Dazu passt auch, dass im neuen Entwurf der Regierung wieder von „Sozialhilfe“ statt von Mindestsicherung gesprochen wird.
Aus der Ohnmacht austreten
Wir SozialarbeiterInnen arbeiten dort, wo die Grenzen des Systems und seine Problemlagen sichtbar werden. Für uns sind Kürzungen bei Sozialleistungen und Angeboten nicht einfach abstrakte Zahlen, sondern reale Menschen und deren Lebenslagen. Wir können und wollen nicht zusehen, wie dort gespart wird, wo ohnehin schon immer wenig vorhanden war. Gute Sozialarbeit setzt voraus, dass Möglichkeiten da sind – auf einer strukturellen, wie auch individuellen Ebene. Wenn diese Möglichkeiten zerstört werden, können wir nichts weiter tun als Elend zu verwalten. Das steht sowohl der humanistischen Grundhaltung, als auch dem kritischen Blick der Sozialen Arbeit fundamental entgegen. Im Sozialbereich tut sich daher etwas. Viele SozialarbeiterInnen wollen diese Politik der neoliberalen, rassistischen Ausschlüsse nicht mittragen. In den letzten Jahren haben sich unterschiedlich Netzwerke im Sozialbereich gegründet. Zum Beispiel das kritische Netzwerk Aktivistischer Sozialer Arbeit von Sozialarbeitsstudierenden, oder auch Raum für Alle, das Bündnis Flüchtlingsarbeit in Wien, Sozial Aber nicht blöd in Wien und Linz, sowie Resilienz in Innsbruck. Für alle die in diesen Bündnissen aktiv sind ist klar, dass es solidarisches Handeln der SozialarbeiterInnen untereinander und solidarisches Handeln mit den KlientInnen braucht. Wir werden nicht schweigen, sondern gemeinsam gegen die Kürzung der Mindestsicherung und die Zerschlagung des Sozialstaates eintreten.
Sandra Keinberger ist Sozialarbeiterin in der Wohnungslosenhilfe in Wien. Lucia Palas ist Sozialarbeiterin in der Wohnungslosenhilfe in Wien und aktiv beim „Kritischen Netzwerk Aktivistischer Sozialer Arbeit“ (KNAST) und „Raum für alle“.
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