
„Das ist einfach absurd“
Stephanie Krisper, Menschenrechtsexpertin und NEOS-Abgeordnete über „Sicherungshaft“, lange Verhandlungen über „Asyl und Lehre“ und das fremdenfeindliche Narrativ der ÖVP. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Interview: Alexander Pollak, Gunnar Landsgesell, Fotos: Magdalena Blaszczuk
Sie sind schon lange im Menschenrechtsbereich aktiv, haben ehrenamtlich als Rechtsberaterin für Asylsuchende gearbeitet. Was war Ihr Antrieb?
Das war während meines Jus-Studiums, ich wollte mich auf Menschenrechte spezialisieren. Das ist das Fundament des Rechtsstaates und der Demokratie. Wäre ich Ärztin geworden, dann wäre ich auch eher Kardiologin und nicht Schönheitschirurgin. Das Thema Menschenrechte war für mich das relevanteste Thema, für das es zu kämpfen gilt. Ich habe damals bei „Asyl in Not“ begonnen und habe auch Rechtsberatung gemacht. Das bot gute Einblicke auch dafür, welche Defizite es gibt.
Wie passt das damit zusammen, dass Sie sagen, Sie waren damals politisch nicht sehr interessiert.
Ja eben, das hat sich durch meine Arbeit verändert. In den 1990er Jahren gab es einen ÖVP-Innenminister, für mich war die ÖVP und deren christlich-sozialer Anspruch aufgrund ihres Umgangs mit Randgruppen aber nicht glaubwürdig. Diese Doppelbödigkeit halte ich nicht aus.
Sie haben sich dann auf Menschenrechte und Folter spezialisiert.
Ja, ich habe vor meiner jetzigen Tätigkeit sieben Jahre im Ludwig Boltzmann-Institut für Menschenrechte in der Folterprävention gearbeitet. Davor war ich für Manfred Nowak an einem Menschenrechtsgerichtshof für Sarajewo tätig, so hat sich das ergeben.
Wie sind Sie bei den NEOS gelandet?
Das war banal, ich hatte gerade ein schlechtes Bewerbungsgespräch hinter mir, als mir geraten wurde, doch ein Kommunikationstraining bei den NEOS zu machen, in Wahrheit war das aber auch ein Training für den Nationalratswahlkampf, wie man mit den BürgerInnen spricht. Das fand ich überzeugend, weil wir darauf eingeschworen wurden, authentisch zu sein. Etwa zuzugeben, wenn man bei einem Thema noch keine Position hat. Da waren auch NEOS-Gründerinnen, die in ihren Arbeitsgebieten frustriert waren und Reformen ankurbeln wollten.
Authentisch zu sein, den Anspruch haben ja alle in der Politik.
Die Medienlandschaft ist künstlich, für mich ist es immer ein Balanceakt, auf dem Bildschirm authentisch zu wirken. Man muss kurze Statements machen, ich neige zu Thomas-Bernhard-Sätzen. Ich habe auch ein Coaching gemacht, bin aber scheinbar beratungsresistent.
Authentisch ist sicherlich, dass Sie sich auch für Leute einsetzen, die von Abschiebung bedroht sind. Fühlen Sie sich manchmal auch so ohnmächtig wie Ehrenamtliche, wenn Menschen betroffen sind, die schon längst hier Fuß gefasst haben?
Ja, so etwas erinnert mich immer sehr an die Zeit, als ich Rechtsberaterin war und ich mich fast mehr als Sozialarbeiterin und Seelentrösterin gefühlt habe, da man auf juristischer Ebene rasch an Grenzen stößt, weil die Gesetze so restriktiv sind. Meistens bekomme ich abends, viel zu spät, Anrufe, wenn Menschen in Schubhaft sind. Ich versuche dann noch mit dem Anwalt zu sprechen, das ist auch ein großer Zeitfaktor meiner Arbeit. Manche haben auch einen schlechten Anwalt, dann rate ich den Betroffenen einen Anwalt, mit dem ich gute Erfahrungen gemacht habe. Es stimmt, nur sehr selten kann man etwas erreichen. Aber ich glaube, dass es im Bereich der Menschenrechte oft nur darum geht, zusammenzuhalten und gemeinsam zu artikulieren, dass etwas nicht rechtens war.
Wo sehen Sie die wichtigsten Hebel, dass es weniger Härtefälle gibt?
Die Härtefälle gibt es in erster Linie immer noch wegen der langen Verfahren aus den Jahren 2015/2016. Damals hat man Asyl auf Zeit eingeführt und vielfach subsidiären Schutz gegeben, den man verlängern muss. Das heißt, hier werden permanent Menschen in der Warteschleife gehalten, die sich während dieser Zeit aber in die Gesellschaft integrieren. So kommt es, dass bestens integrierte Familien mit Kindern, die zum Teil hier geboren sind, vom Gesetz her abzuschieben sind. Deshalb brauchen wir schnelle Verfahren, die fair sind. Und für die Menschen, die hier sind, sollte man eine menschliche, vernünftige Lösung finden. Wenn ich denke, wie viele Stunden an Verhandlungen wir Parteienvertreterinnen bei Innenminister Peschorn wegen 800 Menschen geführt haben, obwohl sie von Unternehmern bis zu den Ortsbewohnern als bereichernd wahrgenommen werden, dann ist das einfach absurd.
Wie erklären Sie sich, dass die Politik so „absurd“ agiert?
Weil sich mittlerweile auch die ÖVP in einem fremdenfeindlichen Narrativ bewegt und die Grünen es leider auch nicht geschafft haben, im Regierungsprogramm den Fuß auf den Boden zu bekommen. Es gibt zum Beispiel kein klares Bekenntnis, dass es bei dem Herzensthema von Sozialminister Rudi Anschober, „Asyl und Lehre“, zu einer offeneren Position kommen könnte. Es bleibt offenbar dabei, dass Asylwerber gleich am Tag nach dem Lehrabschluss abgeschoben werden sollen. Menschlich gesehen ist das ein Wahnsinn, wirtschaftlich aber so unvernünftig, dass ich der ÖVP mittlerweile die Wirtschaftskompetenz abspreche.
Ist das aus Ihrer Sicht eine Koalition um jeden Preis?
Ich habe mich gefreut, dass die Grünen wieder im Parlament sind. Aber in meinem Bereich Asyl, Migration halte ich das Verhandlungsergebnis für desaströs schwach. Bei Migration gibt es sogar einen koalitionsfreien Raum und auch im Bereich des Inneren möchte die ÖVP so weiterzumachen wie unter Türkisblau. Was die Verstaatlichung der Rechtsberatung im Asylbereich betrifft, haben die Grünen es nicht geschafft, das wieder herauszuverhandeln.
Sehen Sie auch Entschärfungen?
Beim Beschwerdeverfahren bei Polizeigewalt gibt es eine Willensbekundung nach Verbesserung. Allerdings hängt das im Detail von der Umsetzung ab, ob das Verfahren fair wird, sofern es überhaupt kommt. Schlimm finde ich auch, dass das Thema der „Sicherungshaft“ überhaupt ins Regierungsprogramm gelassen wurde. Das steht klar für eine Erosion des Rechtsstaates, abgesehen davon, dass wir jetzt schon alle rechtlichen Mittel ausschöpfen können, wenn es um gefährliche Menschen geht. Relevanter wäre es, mehr Geld in den Maßnahmenvollzug, in die Nachbetreuung und in psychosoziale Einrichtungen zu investieren. Die psychische Gesundheit wird in Österreich viel zu wenig unterstützt. Die Willkürhaft ist inhaltlich eine Nullnummer, aber für Stimmungsmache sicherlich gut. Was die Machbarkeit betrifft, sind die Türkis-Grünen jetzt in der Bringschuld.
Sind Sie froh, dass Sie nicht in der Bringschuld sind und Oppositionspolitik machen können?
Ich fühle mich auch in der Bringschuld, bei dem, was ich alles an Missständen wahrnehme. Wir stellen permanent Anträge, wollen einen Initiativantrag zum Transparenzpaket stellen, für das wir sehr genau Gesetzesvorschläge ausarbeiten. Die gestalterische Freude wäre durchaus da, aber die Anträge der Opposition werden generell vertagt oder abgelehnt.
Sie sind seit zwei Jahren in der Spitzenpolitik. Wie erleben Sie den Parlamentarismus? Gibt es Gestaltungsmöglichkeiten in den Ausschüssen?
Wo soll ich da bloß anfangen (lacht). Ich weiß schon vorher, dass mein
Antrag abgelehnt wird, selbst wenn es Copy&Paste aus dem Regierungsprogramm ist. Spannend ist nur, wer den Antrag mit fadenscheinigen Erklärungen ablehnt. Türkis-Blau hatte in dieser Hinsicht nahtlos die Praxis von Schwarz-Rot fortgesetzt. Seit die Regierungparteien das Verlangen von SPÖ und uns auf Einsetzung des „Ibiza“-U-Ausschusses in den meisten Beweisthemen für unzulässig erklärt haben, bin ich skeptisch, dass sich etwas ändert.
Sie haben davon gesprochen, die guten Kräfte zu bündeln. Bei Menschenrechtsfragen vertreten Sie eine klare Position. Zur Sozialpolitik scheint es aber ein Spannungsfeld bei den NEOS zu geben, Stichwort „weniger Staat“ und „weniger Steuern“.
Also mir wird ganz übel, wenn ich denke, wie viel Geld der Staat vergeudet. Bei der Steuerlast in Österreich wäre es unlogisch, wenn es sich nicht ausgeht, den sozial Schwächeren mehr zu geben und ein besseres Gesundheitssystem für alle zu finanzieren. Aber wir sind gegen ein Gießkannenprinzip und waren deshalb letztes Jahr die einzigen, die gegen eine Erhöhung der Pensionen gestimmt haben, weil davon auch die Höchstpensionen profitiert hätten. Das war Populismus vor der Wahl.
Ist die Forderung nach einer Steuersenkung für alle kein Populismus?
Wir wollen über Steuern insgesamt diskutieren, weil dies ja mittlerweile inkonsistent ineinandergreifen. Klar ist, dass wir einen der höchsten Steuersätze in Europa, aber nicht den besten Wohlfahrtsstaat für alle haben. Da besteht Reformbedarf. Dazu zählt auch die Abschaffung der kalten Progression, also ja: eine Steuersenkung für alle.
NEOS fordert auch, die Mindestsicherung und Notstandshilfe zusammenzuführen. Das hat schon Türkis-Blau angedacht. Es gab damals große Bedenken, dass die Notstandshilfe abgeschafft und durch die Mindestsicherung ersetzt wird. Die ist aber rechtlich wesentlich schwächer verankert, da werden keine Pensionszeiten angerechnet, sie wird auch nur 12 Mal im Jahr ausbezahlt.
Unsere Intention ist es, dass unser Sozialsystem einfach und treffsicher ist. Die, die staatliche Hilfe benötigen, sollen sie so einfach wie möglich bekommen, und auch so lange wie nötig. Wichtig ist, dass die Betroffenen so schnell wie möglich wieder auf eigenen Beinen stehen können. Die meisten Menschen, die Mindestsicherung/ Sozialhilfe beziehen, sind „Aufstocker“. Da kommen die Leistungen dann aus zwei Systemen, das wird bürokratisch und schwierig. Das wollen wir gerne für die Betroffenen vereinfachen.
Es gibt bei den NEOS keine Bruchlinien zwischen einer eher neoliberalen und einer sozialen Richtung?
Nein, ich sehe keine neoliberale Seite. Auch in unseren Besprechungen sehe ich das nicht, wenn es um Anträge geht, die wir im Plenum einbringen, oder jene, die von Regierungsseite kommen. Da wird lange diskutiert, ob wir einem der Wahlzuckerl zustimmen sollen. Falls wir ein Zuckerl inhaltlich ablehnen, wird uns manchmal gleich klar: Ah, großartig, dann werden wir wieder als neoliberal rüberkommen. Wir überlegen aber dann nicht, wegen dieses Risikos mitzumachen, sondern wie wir es schaffen, unsere Ablehnung möglichst verständlich zu kommunizieren. Das gelingt nicht immer.
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